Nachruf auf die Studiengebühren:Welch eine Verschwendung

Studiengebühren sind ein sozial gerechtes Erfolgsmodell. Nun hat die Politik das wichtige Geldgeschenk für die Hochschulen verspielt - aus Populismus und Kurzsichtigkeit. Warum moderate Beiträge sinnvoll waren und eigentlich auch künftig nötig wären.

Ein Gastbeitrag von Philipp Gassert

Nun hat der Geldbeutel entschieden: Die Studiengebühren werden auch in Bayern fallen, weil kein Mensch sich ernsthaft für etwas selbst besteuert, was er umsonst haben kann. Die Politik ist eingeknickt. Sie verteidigt die unpopulären Studiengebühren nicht. Sie hat es nicht verstanden, den Betroffenen eine Eigenbeteiligung von 500 Euro pro Semester plausibel zu machen.

Das ist schade, denn die Gebühren haben den Unis gutgetan. Doch sie werden in der Öffentlichkeit nur in eine Richtung interpretiert: als negativer Anreiz, zur Ausgrenzung von Studienwilligen bei hohen Studierendenzahlen; als Selektionselement, das sozial Schwächere angeblich benachteiligt. Dabei war ihre vom Studium abschreckende Wirkung gering. Betrachtet man ihren Anteil von zehn Prozent an den Gesamtkosten eines Studiums (ohne Gebühren im Schnitt 45.000 Euro für fünf Jahre) überrascht das nicht.

Verschwiegen wird, dass es sich um eine faire Selbstbeteiligung handelt für das hohe Gut einer akademischen Ausbildung, die Einkommen und Arbeitssicherheit steigert. Verschwiegen werden die Verbesserung der Qualität des Studiums und die Wertschätzung, die in den Gebühren gerade gegenüber den lange vernachlässigten Hochschulen zum Ausdruck kommt. Denn sind wir ehrlich: Was nichts kostet, das ist in unserer Gesellschaft nicht viel wert.

Da nun auch Bayern die Gebühren kippt, ist ein Nachruf angebracht: Warum waren moderate Studienbeiträge sinnvoll und wären eigentlich auch künftig nötig?

Erstens schaffen sie mehr soziale Gerechtigkeit. Alle Untersuchungen zeigen in eine Richtung: Das deutsche Bildungssystem ist eines der am wenigsten durchlässigen der Welt. Kinder aus bildungsfernen Schichten kommen seltener zum Studium als jene, deren Eltern studiert haben. Das war vor und nach der Einführung der Gebühren so.

Bei kostenlosem Studium unterstützen alle Steuerzahler, bildungsfern oder bildungsnah, das Studium der künftigen Akademiker, die später wieder bessere Verdienstchancen haben. Die Gebühren treffen also gezielt diejenigen mit potenziell höherem Einkommen und stellen eine Art Reichensteuer dar.

Die Politik hat versäumt, bei Einführung der Gebühren diese mit einem Stipendiensystem für sozial Bedürftige zu flankieren. Das war ein kapitaler Fehler und führte zum Vorwurf der sozialen Ungerechtigkeit. Nun ist es aber bald wieder so weit, dass die Tochter eines Zahnarztes oder Professors, oder auch derjenige, der sich ein Auto und einen Urlaub in der Karibik leisten kann, umsonst studiert - auf Kosten auch der Kassiererin im Supermarkt.

Und werden Studienbeiträge abgeschafft, muss auch an anderer Stelle gespart werden - oder die Verschuldung des Staates erhöht sich. Durch Verschuldung kommt es über die Zinsen bekanntlich zur Umverteilung hin zu den Vermögenderen (denn die leihen dem Staat das Geld).

Zweitens haben die Gebühren mehr Ressourcen in die Hochschulen gebracht: Deutsche Hochschulen sind im Vergleich vor allem zu den englischsprachigen und skandinavischen Ländern chronisch unterfinanziert. Die Exzellenzinitiative hat Geld in das System gepumpt, doch nur für die Forschung. Die Grundausstattung stagniert. Die Professorenzahl hält nicht mit dem Anstieg der Studierendenzahlen Schritt.

Sparen am falschen Ende des Bildungssystems

Die Gegner sagen, Bildung ist Grundaufgabe des Staates. Richtig. Doch ist es nicht im Bereich der vorschulischen Betreuung so, dass die meisten Familien sich an Kindergartenkosten beteiligen? Hier akzeptieren wir das Modell einer Mischfinanzierung, warum nicht an der Uni?

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Kleinere Seminargrößen, längere Bibliotheksöffnungszeiten, mehr Computerarbeitsplätze: Gebühren verbessern gezielt Lehre und Studium.

(Foto: dpa-tmn)

Es wird am falschen Ende des Bildungssystems gespart. Zeit und Geld, das Finanzierungslücken an den Unis stopfen hilft, wäre besser in den schulischen und vorschulischen Bereich investiert, um Bildungsungleichheit zu kompensieren.

Drittens verbessern Gebühren gezielt Lehre und Studium: Dies zeigt sich an kleineren Seminargrößen, längeren Bibliotheksöffnungszeiten, mehr Computerarbeitsplätzen, an Tutorien, kostenfreien Studienmaterialien und Exkursionen, Blockseminaren, innovativen Lehrformaten sowie externen Lehraufträgen, die oft Praktiker an die Uni holen. Auch Gebührengegner müssen ehrlicherweise anerkennen, dass hier ein echter Beitrag zur Besserausstattung der Unis geleistet wurde.

Studienbeiträge ermöglichen zugleich die Ausbildung von qualifiziertem Personal. Allein an meiner mittelgroßen Universität in Augsburg wurden 288 Stellen geschaffen, auf denen junge Menschen erste akademische Berufserfahrung sammeln. Hinzu kommen Hunderte studentische Jobs und Tutorenstellen, die an die erfolgreichsten Studierenden gehen. Dieses mit Zeitverträgen versehene Personal könnte nun seine Stellen verlieren. Noch früher kommt es zu Einschnitten bei studentischen Hilfskraftverträgen, denn die sind ohnehin nur auf sechs Monate befristet.

Viertens eröffnen Studienbeiträge autonome Spielräume ohne staatliche Gängelung: Über den sinnvollen Einsatz der Beiträge entscheiden Lehrende und Studierende gemeinsam. Das geschieht vor Ort, "ganz nah beim Kunden" und nur im Rahmen der allgemeinen Bestimmung, dass Studienbeiträge zur Verbesserung der Lehre dienen. Keine ferne Kultusbürokratie redet uns hier hinein. Diese Freiräume werden Studierende, Lehrende und Hochschulleitungen noch vermissen. Das haben die Gegner der Studienbeiträge nicht bedacht: Sie eröffnen mehr obrigkeitsstaatlichen Zugriff und tragen zur Abschaffung autonomer Gestaltungsmöglichkeiten bei.

Fünftens: Was ist der Gesellschaft die Uni wert? Erst werden die Gehälter der Professoren und Mitarbeiter gekürzt, dann wird aus Populismus und Kurzsichtigkeit das Geschenk der Studienbeiträge verspielt, das kreative Spielräume eröffnete. Das Bittere daran ist, dass dies weitgehend über die Köpfe der Betroffen hinweg geschieht und diese keinerlei Handhabe dagegen haben.

Verloren geht der Effekt der unmittelbaren Beteiligung der Studierenden, die ihre Universität künftig wieder als Behörde verstehen, nicht als eine Institution, an der sie direkten Anteil haben: Denn wer Gebühren bezahlt, erwartet mehr als eine Massenabfertigung. Er oder sie identifiziert sich mit seiner Uni. Aber auch die Uni sieht zahlende Studierende nicht als Last, sondern wird sich mehr um sie bemühen.

Welch eine Verschwendung, in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen und großen privaten Wohlstands uns eines Instruments zu berauben, das die Situation an den Hochschulen nachweislich verbessert hat, das für mehr Bildungsgerechtigkeit steht, und zwar nicht auf Kosten der Allgemeinheit, sondern derjenigen, die am meisten davon profitieren.

Philipp Gassert, 47, lehrt transatlantische Geschichte an der Universität Augsburg, nach vorherigen Stationen in Heidelberg, München, Washington und Philadelphia.

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