Muslimische Schüler:Stoff zum Streiten

Deutschklasse an der Simmernschule in München, 2019

Verhüllen oder nicht? Eine Schülerin mit Kopftuch im Unterricht.

(Foto: Robert Haas)

Unionspolitiker bereiten ein Kopftuchverbot für Schülerinnen vor. Ein Projekt, das die Politik spaltet - auch innerhalb der CDU.

Von Susanne Klein

Als Buse Bahcelibas am Freitag in ihrer achten Klasse fragte, was die Schüler von einem Kopftuchverbot halten, waren die 14-Jährigen sofort an Bord. Zehn Mädchen und sieben Jungen, alle aus Migrantenfamilien, so wie ihre türkischstämmige Klassenlehrerin. Die Debatte in dem Klassenzimmer, in dem ein Kreuz hängt, zeigte schnell: Die Jugendlichen halten wenig von einem Verbot. Wenn eine Schülerin Kopftuch tragen will - soll sie doch. Eins gab den Achtklässlern aber zu denken: Was, wenn ein Kind, das noch zu jung ist, um aus eigener Überzeugung zu entscheiden, ob es Kopftuch tragen will oder nicht, von den Eltern dazu gezwungen wird? Dann könnte ein Verbot vielleicht sinnvoll sein, überlegten Bahcelibas' Schüler. "Aber natürlich kam dann sofort die Frage, wie der Staat das überprüfen will", erzählt die Lehrerin. Beim Moschee-Besuch, so hätten einige angeführt, wüsste die Regierung ja auch nicht, ob die Kinder freiwillig oder auf Drängen der Eltern hingehen.

Die Diskussion in der Schiller-Mittelschule in Augsburg offenbart einen Zwiespalt im Streit ums Kopftuch, der auch Politiker umtreibt: Keiner heißt es gut, wenn schon Grundschülerinnen aus religiösen Motiven ihr Haupt verhüllen - aber ist ein generelles Verbot die richtige Antwort darauf, dass einige es trotzdem tun?

Die österreichische Regierungskoalition aus Konservativen und Rechtspopulisten hat - kurz vor ihrem Zerfall infolge der Ibiza-Affäre - diese Frage bejaht. Am 15. Mai verabschiedete sie ein Kopftuchverbot für Mädchen bis zum Ende des Schuljahres, in dem sie zehn Jahre alt werden. Dies nahm in Deutschland eine Gruppe in der Union zum Anlass, sogleich ein Vorhaben an die Öffentlichkeit zu adressieren, das eigentlich noch im Projektstadium ist: ein bundesweites Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren.

Eine aktuelle Umfrage scheint die Kopftuchgegner zu bestätigen

Über einen entsprechenden Gesetzentwurf werde man wohl erst im Herbst reden können, sagte Christoph de Vries nun der SZ. Der religionspolitische Sprecher der CDU ist neben CDU-Vizefraktionschef Carsten Linnemann einer der Initiatoren des Vorstoßes. "Zurzeit lassen wir die Möglichkeiten eines Verbots von einem namhaften Verfassungsrechtler prüfen", so de Vries. Gleichwohl haben die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, dem Vorhaben bereits ihren Segen erteilt. Letztere mit den Worten: "Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen, ist absurd - das sehen auch die meisten Muslime so." Auch de Vries gibt an, er beobachte mit Sorge, dass liberale Muslime einen steigenden religiösen Druck in Schulen beklagen: "Wurden früher mitunter Mädchen diskriminiert, weil sie Kopftuch trugen, werden heute Kinder aus modernen muslimischen Familien bedrängt, weil sie keines tragen." Mit diesem Konflikt dürfe man weder Schüler noch Lehrer alleinlassen, sondern müsse den Schulen mit einer bundesweiten Regelung Handlungssicherheit geben.

Ihr Kopftuchverbot sehen die Initiatoren als "Zeichen gegen religiösen Fundamentalismus und das Vordringen des politischen Islam", so de Vries. Religionsfreiheit sei "begrenzt von anderen Grundrechten", etwa der Gleichberechtigung von Frau und Mann. Mit dem Verbot nehme der Staat sein Wächteramt wahr und unterstreiche das Recht muslimischer Mädchen, selbstbestimmt und gleichberechtigt aufzuwachsen. Die Altersgrenze erklärt der Christdemokrat mit dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung, das hier die Religionsmündigkeit ansiedelt: Mit 14 dürfen Kinder in Deutschland selbständig über ihr religiöses Bekenntnis entscheiden. Muslime hingegen setzen die religiöse Mündigkeit in der Regel bei der Geschlechtsreife an.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov vom Donnerstag scheint die Kopftuchgegner in der Politik zu bestätigen. 57 Prozent der Deutschen lehnen Kopftücher in Grundschulen ab. Ungeklärt ist jedoch, woher diese Ablehnung kommt. Resultiert sie aus einem generellen Vorbehalt gegenüber dem Islam? Dafür spricht, dass unter AfD-Anhängern sogar 90 Prozent für ein Verbot plädieren. Oder resultiert sie aus dem Eindruck, dass immer mehr Kinder Kopftuch tragen?

Der Eindruck mag bestehen, allerdings fehlt dafür der Beweis. "Ich stelle infrage, ob wir wirklich eine Zunahme haben. Wir haben keine Daten dazu", sagt Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien. Die CDU-Politikerin ist mit ihrer Bundespartei uneins. "Immer wenn ich Grundschulen besuche, sehe ich ein, zwei Kinder mit Kopftuch, mehr nicht." Ein Verbot hält sie zudem für "verfassungsrechtlich äußerst problematisch" - und weiß damit viele Länderkollegen auf ihrer Seite. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hielt 2017 fest, dass ein generelles Kopftuchverbot für Schülerinnen das Grundrecht auf Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern berührt und verfassungsrechtlich "wohl nicht zulässig" sei.

Toleranz sei gewinnbringender als Repression, sagt Schleswig-Holsteins Bildungsministerin

Für Prien zählt noch etwas anderes. Sie wünscht sich zwar "möglichst viele Mädchen ohne Kopftuch", kritisiert jedoch die Bevormundung durch ein Verbot. "Ich kann doch im liberalen Rechtsstaat erst dann etwas verbieten, wenn ich vorher alle anderen Mittel ausgeschöpft habe." Durch intensive Gespräche mit Eltern würden Schulen, die für freiheitliche Werte werben, schließlich auch erreichen, dass muslimische Schülerinnen an Schwimmunterricht und Klassenfahrten teilnehmen. Genauso intensiv müssten Schulen nun mit Eltern übers Kopftuch diskutieren; das geschehe noch nicht oft genug.

Und wenn alles Reden nichts nützt? Dann sei Toleranz immer noch gewinnbringender als Repression, sagt Prien. Einmal habe sie eine Achtjährige mit Nike-Kopftuch in einer Grundschule Handball spielen sehen, erzählt sie. "Sie hatte Spaß und konnte sich behaupten, sogar gegen ältere Jungs." Dass ein kleines Mädchen mit Kopftuch lerne, sich in einer gemischten Mannschaft durchzusetzen, sei ihr deutlich lieber, so Prien, als wenn seine Eltern sagen, ohne Kopftuch machst du da nicht mit.

Dem dürften Bahcelibas' Schülerinnen zustimmen. "Meine türkischen Mädels sagen, das hier ist ein freies Land, und das finden wir gut", erzählt die Lehrerin. Am Kopftuchverbot störe die Mädchen, dass es ihnen diese Freiheit nimmt. Aber dabei geht es ums Prinzip: Ein Kopftuch trägt nämlich keins der Mädchen.

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