Muslimische Schüler:Fasten während der Schulzeit? "Das war schon hart"

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Beim Fastenbrechenfest am Sonntag ist Hamza Kebede 15 Jahre alt geworden. Davor hat der Schüler des Werner-Heisenberg-Gymnasiums in Garching bei München erstmals einen Monat lang durchgängig gefastet. (Foto: Alessandra Schellnegger)

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Wenn Hamza seine jüngere Schwester auf dem Schulflur sieht und sie sich mal wieder "total peinlich" benimmt, schluckt er seinen bissigen Kommentar herunter und bittet sie, das Hüpfen und Springen doch bitte zu lassen. Sonst würde er seine elfjährige Schwester häufiger anfahren, sagt Hamza, doch während des Ramadan reiße er sich zusammen. Das lernt auch seine Mutter, Zaynab Khafagy, zu schätzen, die regelmäßig Streit schlichten muss. "Zumindest im Ramadan bleibe ich davon verschont", sagt sie und lacht. Ihr Sohn Hamza ist 14 Jahre alt und er fastet zum ersten Mal im Ramadan auch während der Schulzeit. Hamza geht in die achte Klasse eines Gymnasiums in einem Münchner Vorort.

Während des Ramadans dürfen gläubige Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder essen noch trinken, das sind hierzulande mehr als 17 Stunden. Auch für Jugendliche gilt ab der Pubertät das Fasten als religiöse Pflicht. Der Ramadan, neunter Monat im islamischen Mondkalender, verschiebt sich von Jahr zu Jahr um elf Tage im Jahresverlauf nach vorne. In diesem Jahr begann der Fastenmonat am 27. Mai und endete am 24. Juni. Da zwei Wochen Pfingstferien dazwischenlagen, fastete Hamza insgesamt zwei Wochen während des Unterrichts. Er habe es sich schwieriger vorgestellt, sagt er nun. Vor allem die Mittagspause in der Schule sei langweilig gewesen. "Einmal habe ich sogar das Geschichtsreferat über Belgien vorbereitet, als die anderen zu Mittag aßen. Das war schon hart", erzählt Hamza.

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Zum diesjährigen Ramadan veröffentlichte das Bezirksamt Berlin-Neukölln eine Broschüre, die sich an Eltern, Schüler und Lehrer richtet. Eine Art Ramadan-Knigge, der mit zwölf Empfehlungen die Kommunikation zwischen den Gruppen verbessern will. Die "Neuköllner Leitsätze", wie Bildungsstadtrat Jan-Christopher Rämer sie in einer Pressemitteilung nennt, sollen "mehr Sicherheit im gegenseitigen respektvollen Umgang" geben und zeigen, "dass Schule und Ramadan gleichzeitig funktionieren können". Ein Leitsatz erklärt, es gebe "keinen Zwang in der Religion", eine gesundheitliche Gefährdung der Schüler sei nicht im Sinne des Islam. Ein anderer lautet: "Wer wahrhaft fastet, äußert dies nicht: Fasten ist kein Freischein, um schulische Pflichten zu umgehen. Fasten heißt also auch nicht, die Teilnahme am Sportunterricht zu verweigern."

Viele Lehrer nehmen Rücksicht auf fastende Schüler

Hamzas Mutter findet die Initiative richtig. Eltern dürften ihre Kinder weder überfordern noch moralischen Druck aufbauen. Am vergangenen Freitag schrieb Hamza seine erste Klassenarbeit im Ramadan, Französisch in der fünften und sechsten Stunde, davor hatte er Sportunterricht. "Diese Kombination schien mir echt mies, ich habe ihm gesagt, er soll sein Fasten brechen und Wasser trinken, damit er sich besser konzentrieren kann." Doch Hamza wollte nicht. Er sei gerade gut drin im Fasten und wolle so kurz vor Schluss nicht aufgeben. Zaynab Khafagy überließ ihm die Entscheidung, er sei alt genug, so hofft sie, um sich selbst einschätzen zu können. Im Sportunterricht mache er einfach mehr Pausen, sagt Hamza, "die Lehrer haben uns das auch angeboten". Ramadan in der Schule generell zu verbieten, fänden beide falsch. Auch Jugendliche müssten ihre Religion frei leben dürfen, findet die Mutter.

Die Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, wo viele Muslime leben, sorgt sich allerdings um die wachsende Zahl fastender Kinder. Gemeinsam mit der Schulaufsicht wandte sich Franziska Giffey (SPD) an rund 20 Moscheevereine und bat um Unterstützung für die Neuköllner Empfehlungen. Nur drei Vertreter von Moscheevereinen seien der Einladung gefolgt. "Wenn das Fasten im Ramadan dazu führt, dass es Kindern in der Schule nicht gut geht, sie nicht am Sportunterricht teilnehmen und in Prüfungen schlecht abschneiden, ist das ein Problem", sagt Giffey. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk zweifelte sie die "viel gerühmte freie Entscheidung" an. Ob gefastet werde oder nicht, sei von einer "gewissen Gruppendynamik" bestimmt.

In Hamzas Klasse haben drei Mitschüler mit ihm gemeinsam gefastet. Wenn jemand mal einen Tag Pause gemacht hätte, wären schon "lustige Sprüche" gekommen, erzählt Hamza. "Mein Kumpel hat dann zu demjenigen gesagt: Jaja, ich dachte, du fastest! Aber wir haben alle gelacht, weil wir seinen Humor ja kennen." Unter Druck gesetzt habe sich niemand gefühlt, glaubt er. "Letztlich kann ja jeder selbst entscheiden, ob er fastet oder nicht."

Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrates, der in diesem Jahr erneut einen Ratgeber für das Fasten in Schulen veröffentlicht hat, spricht von einer "persönlichen Angelegenheit zwischen dem Gläubigen und Allah". Eine "allgemeine Befreiung vom Fasten" schließt der Islamrat aus, vielmehr müsse man die Situation jedes einzelnen Schülers betrachten. Grundsätzlich sei das Fasten Pflicht für jeden, der die nötige geistige und körperliche Reife erlangt habe. Der Ratgeber räumt allerdings zahlreiche Ausnahmen von dieser Verpflichtung ein. Auch die Möglichkeit, das Fasten nachzuholen, wenn jemand verhindert sei, ist erwähnt. Insofern könnten Eltern oder Lehrer dem Schüler keine Verpflichtung auferlegen, sondern ihn nur beraten.

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Schon als Kind wurde Hamza nach und nach mit der "Ramadan-Atmosphäre" vertraut gemacht, wie seine Mutter sagt. Sie und ihr Mann hätten für eine feierliche Stimmung zu Hause gesorgt, eine Art Adventskalender für den Fastenmonat gebastelt, das Haus mit Girlanden und bunten Laternen geschmückt und abends oft das Lieblingsessen der Kinder zubereitet.

Als kleiner Junge lernte Hamza während des Ramadan auf kleine Dinge im Alltag zu verzichten, etwa fernzusehen oder Süßigkeiten zu essen. Als ihr Sohn mit zwölf in die Pubertät kam, fastete er an den Wochenenden halbe Tage mit. Als 13-Jähriger fastete er dann auch nach der Schule, sodass er abends "die Freude beim Essen spürte", das sei ihnen wichtig gewesen, so Khafagy. Und in diesem Jahr war es ihr Sohn, der es den ganzen Monat probieren wollte.

Am gestrigen Sonntag, dem Tag des großen Fastenbrechenfestes, hat Hamza seinen 15. Geburtstag gefeiert. Als ihr Sohn ihr ein paar Tage zuvor ganz aufgeregt erzählt habe, es sei ja schon bald so weit, habe sie gedacht, er meine seinen Geburtstag, berichtet die Mutter. "Ich war dann total überrascht, als er sagte, er freue sich mehr auf das Fastenbrechenfest als auf seinen Geburtstag", so Khafagy. Das habe ihr gezeigt, dass sie ihm etwas mitgeben konnte von ihrer Ramadan-Atmosphäre.

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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