Süddeutsche Zeitung

Münchner Universitäten:Das Elite-Experiment

Zwischen gesundem Wettbewerb und zeitfressendem Wahnwitz: Die Exzellenzinitiative geht in die letzte Runde. Die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und die Technische Universität sind Elite-Unis - heute wird entschieden, ob sie diesen Status behalten und mit weiteren Forschungsgelder rechnen können.

Sebastian Krass und Martina Scherf

Es wird ein Moment der Gemeinsamkeit, immerhin das ist sicher. In beiden Münchner Universitäten werden sich an diesem Freitag Gruppen von aufgeregten Menschen vor Bildschirmen versammeln - zum Exzellenzinitiative-Gucken. Sie werden gemeinsam bangen und hoffen, dass sich all die Mühen der vergangenen drei Jahre gelohnt haben. Um 15 Uhr werden in Bonn die Ergebnisse der zweiten und letzten Runde des Förderprogramms von Bund und Ländern bekanntgegeben. Dann wird sich zeigen, wer wie viele Millionen Euro bekommt.

Sowohl die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) als auch die Technische Universität (TU) haben einiges zu gewinnen, aber auch zu verlieren. Die erste Runde der 2006 gestarteten Exzellenzinitiative war für beide ein Erfolg. Die LMU bekam Förderzusagen in Höhe von 216 Millionen Euro, Bestmarke in Deutschland. Die TU durfte 150 Millionen Exzellenzeuros investieren. Beide Unis erhielten auch die sogenannte dritte Förderlinie zugesprochen, das heißt, sie firmieren als Exzellenz-Unis, griffiger: "Elite-Unis". Alle Zusagen, die sie damals bekamen, haben nun die Chance auf Fortführung. Zudem ist die LMU mit vier Neuanträgen im Rennen. Die TU hofft, dass zwei neue Vorhaben bewilligt werden.

In der gesamten Bewerbungsphase war bei den Hochschulleitungen ein nervöses Bemühen um Perfektion zu beobachten. Anstrengungen, die manchmal kuriose Auswüchse produzierten. Im vergangenen Herbst etwa bekamen LMU und TU mehrtägigen Besuch von Gutachtern, die die Zukunftskonzepte der Unis unter die Lupe nahmen, mit denen sie sich um den Elite-Status bewerben.

Die Präsentationen wurden akribisch vorbereitet, Kleiderordnung und Verhaltensmaßregeln bei kniffligen Fragen erlassen. Es gab eine große Anhörung mit geladenen Gästen aus der Universität und viele Einzelgespräche, alles auf Englisch, denn das gute Dutzend Gutachter kam mehrheitlich aus dem Ausland. Sie betrachteten die Universitäten im internationalen Maßstab. Zentrale Frage dabei: Welche Ziele steckt sich die Universität, und wie will sie diese erreichen, um internationales Ansehen zu gewinnen? Da musste man gelegentlich erklären, sagt ein Teilnehmer, dass in Deutschland Professorengehälter und Studentenzahlen begrenzt sind, das weiß ein amerikanischer Professor nicht.

Dieses Schaulaufen behagte längst nicht jedem. Insgesamt aber sei die Exzellenzinitiative ein "großartiges Experiment", meint Volker Rieble, Arbeitsrechtler an der LMU. Ein Experiment, das die Universitäten wach gerüttelt habe. "Früher gab es manchen Lehrstuhl nur deshalb, weil es ihn immer schon gab", sagt Rieble. Heute müsse sich jeder Wissenschaftler fragen lassen, ob seine Forschung die Universität insgesamt nach vorne bringe. Der Wettlauf um Geld und Renommee findet ja nicht nur zwischen Aachen und München, Konstanz und Berlin statt, sondern an jeder Universität zwischen den einzelnen Lehrstühlen. Das führt zu Neid und Konkurrenz. Auf der anderen Seite hat es, das sagen fast alle, eine neue Kommunikationskultur in den Institutionen geschaffen.

"Ich hätte nie gedacht, was das für eine Dynamik auslösen würde", erzählt Gunther Friedl, Dekan der Wirtschaftswissenschaften an der TU. Faszinierend sei es zu beobachten, wie Fakultätsgrenzen gesprengt würden und Forscher, die sich vorher nicht mit Namen kannten, jetzt intensiv zusammenarbeiteten. An dem Projekt zur künstlichen Intelligenz an der TU ("Cognition for Technical Systems") sind mehr als 100 Psychologen, Biologen, Ingenieure und Informatiker beteiligt. Die Exzellenzinitiative bewirkt zudem, dass sich die Unis mit externen Forschungseinrichtungen wie Max-Planck-Instituten oder der Helmholtz-Gesellschaft vernetzen. Auch untereinander sollen sie besser kooperieren.

Die beiden Münchner Unis bringt das in eine ambivalente Lage. Sie haben ein paar gut gedeihende gemeinsame Exzellenz-Projekte laufen, wie auch TU-Präsident Wolfgang Herrmann in diesen Wochen gern betont - just der Mann, der sonst so gern öffentlich die LMU piesackt. Dennoch befördert die Exzellenzinitiative die historische Konkurrenz zwischen beiden. Gerade beim Zukunftskonzept sei doch ganz schön auf die anderen geschielt worden, sagt einer, der das Treiben seit Jahren aus der Nähe beobachtet.

Am meisten Geld fließt in die naturwissenschaftlich-technischen Fächer. Das erregt bei jenen, die vom Goldregen nichts abbekommen, häufig Unmut. "Aber auf der Technologie fußt nun einmal der Wohlstand einer Industrienation", meint der Jurist Rieble. Die Physik sei eben relevanter "als die Deutung juristischer Keilschriften", da helfe kein Gejammer. So gelassen sehen das aber nicht alle seine Kollegen.

Manche sprechen angesichts des enormen Aufwands, den die Exzellenz-Anträge erfordern, gar von einem "zeitfressenden Wahnwitz". Andere befürchten eine langfristige Umverteilung von den Geistes- zu den Naturwissenschaften. Schon jetzt müssen Kunstpädagogen oder Germanisten um Stellen kämpfen, weil Kapazitäten in die Exzellenz-Cluster fließen. Wenn die Förderung ausläuft, muss die Universität die Projekte selbst weitertragen, dafür werden schon jetzt Stellen und Mittel reserviert. Immer wieder ist auch zu hören, die Exzellenzinitiative fördere allein die Forschung, nicht die Lehre. Die Studenten hätten also wenig davon. Die Programme, die zur Förderung der Lehre aufgelegt werden, nehmen sich im Vergleich bescheiden aus.

Niemand glaubt jedoch ernsthaft, dass LMU und TU ihren Elite-Status verlieren könnten. Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) sagte schon vor Wochen bei einer Veranstaltung in der LMU en passant: "Da wird sich wenig ändern nach dem, was ich mitbekommen habe." Aber im Detail kann es auch noch auf ihn ankommen an diesem Freitag. Denn die Fachminister der Länder werden in Bonn zugegen sein, wenn die Experten aus der Wissenschaft ihre Ergebnisse verkünden. Vor der Veröffentlichung dürfen sie noch Stellung nehmen. Und dann, so ist es aus dem Umfeld der Minister zu erfahren, geht es zu wie auf einem "türkische Basar". Die Politiker werfen sich für ihre Universitäten in die Bresche und versuchen, für sie und ihr Land das Beste herauszuholen.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2012/wolf
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