Mormonen-College BYU in Utah:"Die Herrlichkeit Gottes ist Intelligenz"

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Uni mit Ehrenkodex: Weder Alkohol, Kaffee, Tee noch Sex vor der Ehe. Die Brigham Young University in Utah hat strenge Regeln. Im Gegenzug gibt es gute Bildung. Ein Besuch an der früheren Uni des US-Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney.

Matthias Kolb, Provo

Tyson Eckersley wartet, bis es ganz still im Zimmer ist. Er verbindet sich die Augen mit einem roten Tuch und setzt den Kopfhörer auf. "Bühne frei für Tyson", ruft einer seiner Kumpel, drückt den Play-Knopf des iPods und stellt die Lautstärke auf das Maximum. "Sing us a song, you're the piano man", trällert der 23-Jährige. Dass sich Tyson selbst nicht hören kann, ist der Reiz am iPod-Karaoke, das drei Studenten und sechs Studentinnen an diesem Abend spielen. Sie lachen, scherzen, reichen Kekse herum. Es wird dabei viel getrunken - und zwar stilles Wasser aus Plastikflaschen.

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Mitt Romney vermeidet es, im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft über seinen Glauben zu sprechen - weil Mormonen bei vielen Amerikanern als umstritten gelten. Dabei hat die Religionsgemeinschaft zahlreiche bekannte Anhänger, darunter Vampir-Mütter, Hotelmagnaten und Hollywood-Stars.

Friederike Hunke

"Jeder an der Brigham Young University hat einen Ehrenkodex unterzeichnet", sagt Tyson. Die 33.000 BYU-Studenten verzichten auf vieles, was im restlichen Amerika oft zum Alltag gehört: Alkoholische Getränke sind ebenso verboten wie Zigaretten, kein Kaffee oder Tee hält die Studenten beim Lernen wach, Sex vor der Ehe ist tabu. Tyson weiß, dass der Kodex auf Außenstehende befremdlich wirkt: "Wir Mormonen wachsen mit ähnlichen Regeln auf. Für uns sind sie keine Belastung und alle halten sich daran. So können wir alle Energie in die Ausbildung stecken." (mehr über den Alltag der Mormonen in dieser Süddeutsche.de-Reportage)

Diese Meinung hört man oft an der Brigham Young University in Provo, Utah. Das inoffizielle Motto der drittgrößten Privat-Hochschule der USA lautet "Die Herrlichkeit Gottes ist Intelligenz"; weil sie von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage finanziert wird, sind 98,5 Prozent der Studenten Mormonen und die Gebühren mit 2280 Dollar pro Semester für angloamerikanische Verhältnisse vergleichsweise niedrig - Nichtmormonen zahlen das Doppelte.

Auf dem Campus wirkt auf den ersten Blick alles normal: Die Studenten gucken ständig auf ihre iPhones, aus vorbeifahrenden Autos dröhnt Popmusik und viele tragen T-Shirts mit dem "Cougars"-Schriftzug - das erfolgreiche Football-Team war auch ein Grund für Tyson, nach Provo zu kommen. Erst allmählich bemerkt man, dass die Wege blitzsauber und alle Jungs glatt rasiert sind. Niemand ist tätowiert, kein Mädchen trägt einen kurzen Rock oder lässt die Schultern unbedeckt.

"Der 1949 eingeführte Ehrenkodex fordert, gehorsam zu sein und sich auf eine saubere und würdige Art zu präsentieren", sagt Sean Hollingshead. Den 14 Millionen Mormonen in aller Welt wird gepredigt, dass jeder durch sein Handeln das Image der Kirche präge. Der 24-jährige BWL-Student, der in der Pressestelle jobbt, sieht im Kodex nur Gutes: Wenn ein Student dagegen verstoße, werde er nicht rausgeschmissen, sondern erhalte Hilfe. So arbeite der Basketball-Star Brandon Davies, der aus dem College-Team flog, weil er Sex mit seiner Freundin hatte, weiter auf seinen Abschluss hin - und werfe nun wieder Körbe. Auch ohne Alkohol sei immer viel los: "2009 haben 794 BYU-Studenten einen Weltrekord aufgestellt, indem sie gleichzeitig Stein, Schere, Papier spielten."

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Familienurlaub ist Pflichtprogramm für die Romneys. Der US-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney zitiert seine Söhne samt Frauen und Kindern jedes Jahr in ein Ferienanwesen. Dort präsentieren der Republikaner der amerikanischen Öffentlichkeit traute Familienidylle. Eine perfekte Wahlkampfinszenierung.

Friederike Hunke

Noch lieber redet Sean über Brigham Young, der die Universität 1875 gründete, nachdem er Tausende Mormonen nach dem Tod von Joseph Smith mehr als 2000 Kilometer in die raue Berglandschaft Utahs geführt hatte. Smith wird als Prophet verehrt, weil Gott Anfang des 19. Jahrhunderts einen Engel zu ihm geschickt haben soll, der Smith zu mehreren goldenen Platten führte, auf denen das neue Evangelium stand.

Dass Sean derzeit ständig Journalisten im Golfwagen über den Campus fährt, liegt aber nicht an den Gepflogenheiten auf dem Campus - sondern an Mitt Romney: Der Herausforderer von US-Präsident Barack Obama machte 1971 hier seinen Bachelor in englischer Literatur. Doch er vermeidet im Wahlkampf kein Thema konsequenter als seine Religion (eine Analyse von Romneys schwierigem Verhältnis zu seiner Religion lesen Sie hier). Seine Berater wissen, dass Evangelikale, eine wichtige Wählergruppe der Republikaner, Mormonentum als seltsamen Kult sehen, und die Bürger insgesamt eher skeptisch sind: Jeder fünfte Amerikaner kann sich laut Umfragen nicht vorstellen, einen Mormonen ins Weiße Haus zu wählen (wenngleich die Vorbehalte unter Anhängern der Republikaner jüngst etwas zurückgingen).

Romney war nach Utah gezogen, weil er es seiner Freundin Ann versprochen hatte, die er 1969 heiratete. Damit entsprachen die Romneys der Vorstellung des Uni-Chefs Ernest Wilkinson, der den Studenten zurief, wichtiger als der Abschluss sei es, den richtigen Partner zu finden. 1970 wurde Tagg Romney geboren.

Dieser Lebensentwurf ist noch heute attraktiv: Auf der Rundfahrt weicht Sean einigen Kinderwagen aus und berichtet, dass jeder vierte BYU-Student verheiratet sei. Die Uni unterhält übrigens ein Marriage Resource Center, das Workshops für Verlobte anbietet und Ehepaare in Krisen berät. Auch für die Lehramtsstudentin Carlie Smith, 18, steht fest, dass sie einen Mormonen heiraten wird. Sie ist begeistert, wie viel Platz die Religion an der BYU einnimmt - auch Ann und Mitt Romney genossen es, ihren Glauben in den Uni-Alltag integrieren zu können, erinnern sich Kommilitonen.

Jeden Sonntag treffen sich die Studenten drei Stunden zu Seminaren und Gottesdienst, am nächsten Tag findet der "family home evening" statt - wo sonst Eltern Zeit mit ihren Kindern verbringen, diskutieren die Studenten in Gruppen über ihren Glauben. Anschließend wird jedoch eher iPod-Karaoke gespielt oder Sport getrieben. Dienstags halten Professoren oder Kirchenvertreter eine spirituelle Andacht ab und wenn einmal im Monat Prominente wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg über Karriereplanung sprechen, sind alle 20.000 Plätze der Basketball-Arena an der Hochschule belegt.

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Während Carlie von einer "Familie außerhalb der Familie" schwärmt, blickt John Forbyn mit gemischten Gefühlen auf seine BYU-Zeit zurück: "Das soziale Umfeld hat mich fertiggemacht." Den 26-Jährigen störte es, an Treffen teilnehmen zu müssen, die mit der Frage verknüpft waren, ob der eigene Glaube stark genug sei. Wer nicht überall mitmache, werde misstrauisch beäugt: "Wenn eine Andacht stattfand und du nicht sofort hingestürmt bist, wurde ein enormer Druck aufgebaut: Zweifelst du, rebellierst du?"

Nonkonformisten haben es an der BYU schwer: Zwar müssen etwa Schwule nicht mehr fürchten, nach einem Outing rausgeschmissen zu werden; doch im Internet klagen sie über Diskriminierung. Die Kirche hatte 2008 Millionen in eine Kampagne investiert, um die Homo-Ehe in Kalifornien zu verhindern. Wiederholt, zuletzt 1993, wurden Dozenten entlassen, die etwa über Feminismus forschten, Themen, die den Kirchenoberen nicht genehm sind.

Ähnliches hat John während seines Filmstudiums nicht erlebt: "Ich hatte tolle Professoren und habe viel gelernt." Ihn verbindet noch etwas mit Romney: John ging zwei Jahre als Missionar in die Schweiz, während Romney von 1967 an versuchte, den Franzosen den Wein auszutreiben. Jeder zweite BYU-Student unterbricht die Ausbildung, um Menschen im In- oder Ausland von Jesus Christus zu berichten. Vor dem Einsatz absolvieren sie eine mehrwöchige Ausbildung im Missionary Training Center (MTC), in dem auch Tyson Eckersley arbeitet: Er bringt den Novizen jene Sprache bei, die er für den Einsatz in der Ostukraine gelernt hat: Russisch.

Derlei Sprachenkenntnisse helfen den Studenten bei der Jobsuche. In einem Arbeitgeber-Ranking des Wall Street Journal landete das College 2010 auf Platz elf. Begehrt sind etwa die Wirtschaftsprüfer der Marriott School of Management, der Studiengang gilt landesweit als führend. Joseph Ogden von der Marriott School muss kurz überlegen, ob der Glaube auch ein Erfolgsgeheimnis sei: "Unsere Studenten sind ehrgeizig und zeigen mit dem Ehrenkodex, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren. Viele haben bereits Familie. Aus Gesprächen wissen wir, dass dies in den Personalabteilungen gern gesehen wird."

© SZ vom 23.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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