Schule:Mobbing muss man bitter ernst nehmen

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Hänseln ist, wenn Kinder jemanden doof nennen. Ein unschöner Teil des Entwicklungsprozesses, den Lehrer beobachten müssen. Bei Mobbing reicht das nicht.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Der Tod einer Berliner Grundschülerin wühlt Eltern, Lehrer, Kinder und Politiker auf. Das elf Jahre alte Mädchen war wohl an den Folgen eines Suizidversuchs gestorben. Es ist von Mobbing die Rede. Es fanden Mahnwachen vor der Schule statt. Es gibt Appelle von Psychologen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Bislang gibt es keine belastbaren Hinweise, dass das Mädchen nicht mehr leben wollte, weil es von Mitschülern gemobbt wurde. Die Ursachen für den mutmaßlichen Suizid werden sich vielleicht nie ergründen lassen. Dass der Tod dieses Mädchens aber so bewegt, ist ein Hinweis auf Unsicherheit; auf Ängste vor einer womöglich neuen Dimension des Mobbings in einer sich verändernden Gesellschaft.

Nach einer monokausalen Erklärung zu suchen, greift zu kurz. Davor warnen auch die Suizidforscher. Eine Selbsttötung ist ein extremer Entschluss, bei dem vieles zusammenkommt, bei dem auch Einsamkeit oder psychische Probleme eine Rolle spielen können. Von dem Mädchen weiß man nichts Genaues - nur, dass es laut Schulleiterin im vergangenen Jahr Opfer von Angriffen geworden sei und zwei Mitschülerinnen deshalb die Klasse hätten verlassen müssen. Darum die Aufmerksamkeit, obwohl es guter Usus ist, sich wegen der Gefahr von Nachahmung beim Thema Suizid zurückzuhalten.

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Ausgrenzung, Häme, Gemeinheiten und Beleidigungen gibt es immer dort, wo Menschen sind - und auf dem Schulhof gibt es auf engem Raum ziemlich viele noch unreife Menschen. Soziale Gruppen stabilisieren sich dadurch, dass sie äußere Feinde haben oder sich diese bewusst suchen. Auch in Kinderbuchklassikern von Erich Kästner bis Astrid Lindgren werden andere gehänselt und ausgeschlossen, um dann irgendwann, meist reuevoll, von der Gemeinschaft wieder aufgenommen zu werden. Wenn es gut ausgeht. Seit man das deutsche Wort Hänseln mit Mobbing übersetzt, wird es inflationär gebraucht. Es entsteht der Eindruck, als ob sich da etwas Neues, Schlimmes zusammenbrauen würde. Und der stimmt so pauschal nicht.

Natürlich gibt es neue, grausame Werkzeuge, um jemanden fertigzumachen. Diese Werkzeuge finden sich im Internet, in Whatsapp-Gruppen, in Chatrooms. Man muss aber unterscheiden: Hänseln ist, wenn unreife Kinder jemanden doof nennen. Das ist Teil des Entwicklungsprozesses, kein schöner, aber ein normaler; gleichwohl muss er im Auge behalten werden, weil er Kinder sehr verletzen kann. Mobbing jedoch ist mehr. Es bedeutet systematisches, fortgesetztes Bedrohen, es ist psychische und auch physische Gewalt, sie zielt auf die Vernichtung der Persönlichkeit. Dieses Mobbing traumatisiert Kinder, man muss es bitter ernst nehmen. Es ist ja auch nicht das Problem verschwindend weniger Außenseiter. Laut Pisa-Studie erlebt fast jeder sechste 15-Jährige seelische oder teils massive körperliche Misshandlung durch Mitschüler.

Die Politik geht das Problem seit einiger Zeit an, schickt Anti-Mobbing-Profis und Respekt-Coaches in die Klassen. Krisenpsychologen greifen ein. Doch was passiert, wenn die wieder weg sind? Die meisten Eltern und Lehrer haben das Thema zwar auf dem Schirm, aber keinen Einblick dahinter, in die digitalen Kanäle. Lehrer sollten also Zeit haben, Vertrauen zu erwerben, um mal hineinschauen zu dürfen. Und könnte man nicht die Dynamik und Wortwahl im Klassenchat zum Unterrichtsstoff machen? Vielleicht wäre das ja ein Tor zu mehr Empathie untereinander.

© SZ vom 07.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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