Minderjährige Abiturienten an der Uni:Vater, Mutter, Student

LMU, Studium

Junge Abiturienten brauchen mehr Unterstützung bei der Studien- und Uni-Wahl - darauf stellen sich auch die Hochschulen ein. (Im Bild: Tag der Offenen Tür an der LMU in München)

(Foto: Stephan Rumpf)

Einst war die Immatrikulation eine Unabhängigkeitserklärung. Heute brauchen minderjährige Erstsemester fürs Einschreiben die Unterschrift von Mutter oder Vater. Auch bei der Uni-Wahl entscheiden Helikopter-Eltern mit - Szenen eines Familienausflugs.

Von Laura Díaz, Düsseldorf

Zwei Stunden ist Familie Lambers mit dem Auto gefahren, um den Hörsaal 3A zu bestaunen. "Bisschen wie ein Fußballstadion, findest du nicht, Ino?", fragt der Vater seinen Sohn. Der zuckt mit den Schultern. Es ist Samstagmorgen, Ino Lambers, 17, sieht müde aus. "So, und jetzt weiter zur Mensa, alle Eltern und Kinder mir nach", sagt ein Mitarbeiter der Hochschule.

Gut 60 Mütter und Väter spazieren mit ihren Sprösslingen über den Campus. Wie ein Familienausflug, nur ohne selbstgeschmierte Stullen. "Eltern@Uni" heißt die Infoveranstaltung der Uni Düsseldorf, die nach jugendlichem Twitter-Jargon klingt, sich aber vor allem an die Eltern richtet. An Eltern junger Abiturienten. Eine Campus-Tour, ein Blick ins Wohnheim und Vorträge stehen auf dem Programm.

"Wir haben die Veranstaltung ins Leben gerufen, weil die Eltern mittlerweile eine entscheidende Rolle bei der Studienwahl einnehmen", sagt Uni-Mitarbeiterin Sandra Warren. "Durch die verkürzte Schulzeit und den Wegfall der Wehrpflicht sind viele Studienanfänger jünger als noch vor einigen Jahren, viele Eltern machen sich daher Sorgen, haben großen Informationsbedarf."

Welches Fach ist geeignet? "Auf jeden Fall kann mir die Mama weiterhelfen."

Kamen früher die Studieninteressierten meist alleine zum Tag der offenen Tür, bringt die G-8-Generation zur Unterstützung Mama und Papa mit. Die Verjüngung der Erstsemesterriege lässt sich aus Daten des Statistischen Bundesamtes ablesen, seit Kurzem erst führt die Behörde eine U-18-Sparte. Im Wintersemester 2012/13 gab es bundesweit mehr als 2000 minderjährige Studenten, 43 000 waren 18 Jahre und 136 000 immerhin 19 Jahre alt. Drei Jahre zuvor lag die Zahl der gerade Volljährigen nur bei einem Drittel davon und auch die der 19-Jährigen deutlich niedriger.

Die Hochschulen reagieren darauf: Bei der Einschreibung Minderjähriger zum Studium müssen sie Vollmachten verlangen oder Eltern einbestellen - weil der Nachwuchs die Dokumente noch gar nicht unterschreiben darf. Und bei der Information und der Studienwahl: An immer mehr Standorten lädt man mittlerweile, wie in Düsseldorf, die ganze Familie zum Schnuppern.

"Wir beide zusammen"

Alessa Wiechers, 18 Jahre alt, ist mit ihrer Mutter Susanne gekommen. Die Schülerin aus Mülheim will in ein paar Monaten ein naturwissenschaftliches Studium beginnen, ob Biologie oder Chemie, das ist noch nicht entschieden. "Auf jeden Fall kann mir die Mama weiterhelfen, die kennt mich ja am besten und weiß meine Fähigkeiten einzuschätzen, deswegen habe ich sie auch mitgenommen." Susanne Wiechers nickt. Mutter und Tochter haben sich bereits einige Vorträge an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät angehört.

"Also Medizin wird es nun nicht werden, das passt nicht zur Alessa", sagt die Mutter. Die 18-Jährige bejaht: "Ne, genau, also Ärztin steht nicht mehr auf dem Plan." Und wer entscheidet jetzt? "Wir beide zusammen", antwortet Alessa.

Gedränge herrscht vor dem Wohnheim, die Besucher schieben sich nach und nach in das kleine Appartement. 17 Quadratmeter hat die Nummer 18: Bett, Kochnische, Bad mit Dusche. "Oh, das ist aber ein großer Kleiderschrank, schau, da passen all deine Sachen rein", sagt eine Mutter euphorisch. "Kann man den Tisch abmontieren?", fragt ein offensichtlich handwerklich interessierter Vater. Es sind vor allem die Eltern, die nachfragen, die sich etwa um die Qualität der Matratze sorgen oder nach der Miete fragen. Viele der Kinder - und einige sehen wirklich noch aus wie Kinder - halten sich eher zurück, überlassen das Sprechen den Eltern.

Die Uni als Verlängerung der Kindheit

Kaum hat sich die Besuchergruppe aus der winzigen Bude hinausbewegt, geht es weiter - in den Hörsaal 5F. Familie Pesch aus Neuss hat dort in Reihe 9 Platz genommen. Gleich geht der Vortrag los. Thema: "Wie unterstütze ich mein Kind bei der Studienauswahl?" "Unser Ältester will im Oktober nämlich Informatik studieren, der ist dann aber erst 17", erklärt die Mutter. Bei der Immatrikulation wird sie mitunterschreiben müssen, ebenso bei der ersten Prüfungsanmeldung. Das ist ja keine Seltenheit mehr in Düsseldorf. 2010 waren gerade mal vier Minderjährige hier eingeschrieben, im vergangen Wintersemester waren es schon 66. Tendenz steigend.

Einst war die Immatrikulation eine Unabhängigkeitserklärung, raus aus dem Kinderzimmer, rein ins wilde Leben. Zwar oft weiter nah an Papas Portemonnaie, aber weg aus dem elterlichen Zugriff. Nun scheint die Uni nicht mehr das Sprungbrett ins Erwachsenleben zu sein, eher die Verlängerung der Kindheit. "Man merkt, dass die jungen Studierenden heutzutage weniger Lebenserfahrung mitbringen, vor allem wenn es um das eigenständige Arbeiten geht", sagt Professor Stefan Süß, Dekan der Wirtschaftsfakultät in Düsseldorf. Er hält einen Vortrag heute, zu den Perspektiven im Fach BWL - die Hälfte der Zuhörer sind Eltern.

Man hört Propeller kreisen

"Manche Erstsemester wirken noch etwas unsicher auf dem Campus", meint Süß. Er hat im Uni-Alltag schon seine Erfahrungen mit G-8-Eltern gemacht. "Neulich hat eine Mutter angerufen, um ihren Sohn zu entschuldigen, er könne wegen Krankheit nicht an der Vorlesung teilnehmen", erzählt er und lacht. Klingt nach Schule.

"Helikopter-Eltern" werden diejenigen Mütter und Väter gerne genannt, die ihre Sprösslinge nicht loslassen wollen und in jedem Moment drohender Schwäche zum Landeanflug ansetzen. Auch beim Informationstag in Düsseldorf hört man den einen oder anderen Propeller kreisen.

Ino Lambers hat mit seinen Eltern mittlerweile alles erkundet. "Schon spannend", sagt sein Vater. Ja, doch, ein Chemie-Studium hier in Düsseldorf kann sich die Familie für den Sohn gut vorstellen. "Dann wirst du aber hierhin ziehen müssen, die 160 Kilometer kannst du ja schlecht pendeln", sagt die Mutter und klingt durchaus besorgt. Der 17-Jährige reagiert gelassen, er werde schon ein nettes Zimmer finden.

"Na ja", sagt schließlich der Vater, "früher oder später muss sich ja jedes Kind vom Elternhaus abnabeln."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: