Medizinstudium:Wird der Abischnitt für Medizinbewerber noch wichtiger?

Medizinstudenten beim Lernen in der Uni-Bibliothek der LMU in München.

Medizinstudenten bereiten sich in der Bibliothek der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität auf eine Prüfung vor - wie die Studierenden künftig ausgewählt werden, ist unklar.

(Foto: Robert Haas)

Noten, Eignungstest, Berufserfahrung - Mediziner und Bildungsexperten streiten darüber, wie das neue Zulassungsverfahren für Humanmedizin aussehen soll.

Von Paul Munzinger

Das jahrelange Warten auf einen Studienplatz in Medizin gehört zu den Absurditäten des deutschen Hochschulbetriebs. Wenn der Abiturschnitt nicht ausreicht, müssen Bewerber sich bislang in einer Schlange anstellen. Die führt zwar in jedem Fall zum Ziel, nämlich zum Studienplatz, es kann aber dauern: 15 Semester ist derzeit die Regel, länger also als das Studium selbst.

Doch damit dürfte bald Schluss sein, die Warteliste soll gestrichen werden. Es wäre der erste Schritt einer umfassenden Reform des Zugangs zum Medizinstudium, über die die Kultusminister der Bundesländer diese Woche in Erfurt beraten. Einer Reform, die nicht nur klären muss, wer künftig Arzt werden kann, sondern auch, was das Abitur heute noch wert ist.

Diese Neuregelung war nötig wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Im Dezember erklärten die Karlsruher Richter das komplizierte Verfahren, nach dem die bundesweit 11 000 Medizinstudienplätze unter mehr als 60 000 Bewerbern verteilt werden, für in Teilen verfassungswidrig. Bislang läuft es wie folgt ab: 20 Prozent der Plätze gehen an die Abiturbesten, in der Regel reicht dafür nur ein Schnitt von 1,0. Weitere 20 Prozent werden über die Wartezeitquote vergeben. 60 Prozent, und damit den größten Teil, vergeben die Hochschulen selbst, nach je eigenen Regeln. Manche vertrauen dabei auf aufwendige Eignungstests, andere stützen sich wiederum vor allem auf die Abiturnote.

Die Richter monierten an dem Verfahren mehrere Punkte. Sie kritisierten, dass die Wartezeit zu lang sei und die sogenannte Ortspräferenz - also die Nennung einer bevorzugten Universität - Bewerbern zum Nachteil gereichen könne. Keine Bedenken meldeten die Richter an der Abiturbestenquote an, sehr wohl aber an der Vergabepraxis der Hochschulen. Hier gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Abiturbestenquote bewertet jedes Bundesland gesondert, ein Bewerber aus Hamburg konkurriert nur mit Bewerbern aus Hamburg.

Haben Studierende jahrelang umsonst gewartet?

Anders beim Verfahren der Hochschulen. Dort treten alle gegen alle an, Sachsen gegen Bayern, Hessen gegen Saarländer. Die je nach Bundesland unterschiedlichen Anforderungen für das Abitur kommen hier nicht zum Tragen - und dafür, so die Richter, seien diese Unterschiede zu groß. Die Hochschulen müssten in ihre Entscheidung deshalb mindestens ein weiteres Kriterium einfließen lassen, einen Eignungstest etwa oder berufliche Vorerfahrungen. Für die Umsetzung gibt Karlsruhe den Ländern bis Ende 2019 Zeit.

Eine Konsequenz zeichnet sich bereits deutlich ab: Die Wartezeit soll nicht begrenzt, sondern gestrichen werden - eine "markante Entscheidung", wie Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) sagt. Eine ziemlich brisante allerdings auch. Sie könnte bedeuten, dass alle, die womöglich seit Jahren auf einen Studienplatz hoffen, umsonst gewartet hätten - und sich erneut bewerben müssen. Juristisch, glaubt Rabe, gebe das keine Probleme. Das Verfassungsgericht hatte in seinem Urteil klargestellt, dass die Warteschlange nicht zum Studienplatz führen müsse. Das "Risiko eines Fehlschlags" gehöre dazu.

Die Abinoten-Verfechter setzen sich anscheinend durch

Während es über das Ende der Wartezeit laut Rabe großen Konsens gegeben habe, sind die weiteren Bestandteile der Reform strittiger - weil es hier konkret um den Wert des Abiturs geht, das ja theoretisch noch immer als "allgemeine Hochschulreife" firmiert.

In einem gemeinsamen Vorschlag regten der Medizinische Fakultätentag und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden an, die Abiturbestenquote komplett fallen zu lassen. Kein Bewerber würde alleine aufgrund seines Abiturs zugelassen, und sei es noch so gut. Stattdessen sieht das Modell vor, das Abitur und den sogenannten Medizinertest gleichwertig einfließen zu lassen.

Der Vorschlag der Mediziner alarmierte den Philologenverband, der die Gymnasiallehrer vertritt. Kein Abschluss, vor allem kein einmaliger und damit tagesformabhängiger Medizinertest, reiche an die Prognosekraft heran, die das Abitur für den Studienerfolg biete, betont die Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing. Die Philologen schickten ein Modell ins Rennen, das den Wert des Abiturs nicht nur bewahren, sondern vergrößern würde: Statt 20 sollen demnach 30 Prozent der Plätze ausschließlich nach Note vergeben werden.

Viele Details sind dem Vernehmen nach noch ungeklärt, doch scheinen sich die Bewahrer des Abiturs gegen dessen Kritiker in den Verhandlungen weitgehend durchgesetzt zu haben. Die 20-Prozentquote für die Abiturbesten soll beibehalten werden, mindestens. In das Auswahlverfahren der Hochschulen sollen künftig sogar zwei zusätzliche Kriterien einfließen, der Wert der Abiturnote soll aber nicht angetastet werden.

Vergleichbare Abiprüfungen könnten Gemüter beruhigen

Um der Kritik an der mangelnden Vergleichbarkeit der Noten von Bundesland zu Bundesland zu begegnen, ist ein Schlüssel im Gespräch, der die Unterschiede ausgleichen soll; allerdings nur vorübergehend. Bis 2021, versprechen die Kultusminister, werden sie bei der Vereinheitlichung der Ansprüche so weit vorangekommen sein, dass sich der Ausgleich wieder erübrigt.

Rabe verweist auf den Pool gemeinsamer Prüfungsaufgaben, der im vergangenen Jahr eingeführt wurde - und der nicht nur die Prüfungen selbst, sondern die gesamte Oberstufe in den Bundesländern einander annähern soll. Dass dieser "normierende Effekt" aber tatsächlich greift, und vor allem so schnell, bezweifeln viele Bildungsforscher.

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