Medizinstudium:"Irgendwann ist man so verzweifelt, dass man alles tut, um reinzukommen"

Medizinstudium an der Universität in Leipzig

Medizinstudenten an der Universität in Leipzig

(Foto: dpa)
  • Mit dem "Masterplan Medizinstudium 2020" will die Politik das Studium reformieren, die Allgemeinmedizin soll dabei einen zentraleren Platz bekommen.
  • Im Rahmen einer Landarztquote sollen Menschen bei der Studienplatzvergabe bevorzugt werden, wenn sie sich verpflichten, später als Hausarzt auf dem Land zu arbeiten.
  • Studierende lehnen die Quote jedoch mehrheitlich ab.
  • Da die Finanzierung nicht geklärt ist, haben die Kultusminister die Abstimmung über den Masterplan vorerst vertagt.

Von Larissa Holzki und Matthias Kohlmaier

90 000 Studierende waren vergangenes Jahr in Deutschland im Fach Humanmedizin eingeschrieben, so viele wie seit den 90er Jahren nicht. Immer mehr Abiturientinnen und Abiturienten wollen Arzt werden, was angesichts des hohen Numerus clausus für das Fach kein leichtes Unterfangen ist. Doch auch für solche, bei denen die Abi-Note für einen der begehrten Studienplätze bislang nicht gut genug war, gibt es wohl bald eine neue Option.

Der "Masterplan Medizinstudium 2020" macht's möglich, über den die Kultusminister an diesem Donnerstag entscheiden wollten - kurzfristig wurde das Thema aber noch von der Tagesordnung genommen. Neben vielen anderen kleinen und mittelgroßen Neuerungen beinhaltet er die seit Jahren diskutierte Landarztquote. Die besagt: Wer sich vor Studienbeginn verpflichtet, nach dem finalen Examen bis zu zehn Jahre als Allgemeinmediziner auf dem Land zu arbeiten, kann unter Umständen auch ohne eine Eins vor dem Abiturnotenkomma Arzt werden. Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, dass die Länder dafür über die Stiftung für Hochschulzulassung bis zu zehn Prozent der Medizinstudienplätze für entsprechende Bewerber vorab vergeben können.

Eine gute Sache, könnte man meinen, endlich wird das Medizinstudium etwas weniger abhängig von der schnöden Abinote. Und dass auf dem Land immer mehr Hausärzte fehlen, ist ja tatsächlich Fakt. Trotzdem gibt es eine Menge Kritik an dem Passus. Man lehne es kategorisch ab, dass "Zulassungs- und Ausbildungsbedingungen mit dem Ziel verändert werden, regionale und fachspezifische Versorgungsprobleme zu lösen", hieß es kürzlich in einer gemeinsamen Stellungnahme der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland, des Bündnisses Junge Ärzte sowie der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und des ärztlichen Berufsverbandes Hartmannbund. Dem Landarztmangel müsse man vielmehr dadurch begegnen, dass die Arbeitsbedingungen in dünn besiedelten Gebieten besser werden.

"Die Landarztquote ist Schwachsinn", sagt auch Nils Nüßle von der Fachschaft Medizin der Uni Tübingen. Zwar könne sie erst einmal helfen, den Ärzte-Notstand im ländlichen Raum zu lindern. Dennoch fürchtet er langfristig Probleme: "Dann sitzt ein junger Mediziner im Schwarzwald, obwohl er gar nicht hin will, und ist überhaupt nicht motiviert, seine Arbeit gut zu machen."

Bis zu 150 000 Euro Strafe für vertragsbrüchige Absolventen

Nüßle befürchtet sogar, dass der Masterplan zu sozialen Ungerechtigkeiten führen könnte. Denn wer die Landarzt-Verpflichtung vor dem Studium unterschreibt, danach aber keine Lust mehr auf den Job hat, wird vertragsbrüchig. Für diesen Fall haben die Rechtsgutachter des Bundesgesundheitsministeriums eine Strafzahlung bis zu 150 000 Euro veranschlagt. Für die meisten Studierenden dürfte das ein abschreckender Betrag sein, Nüßle aber fürchtet ein "Zwei-Klassen-Bewerber-System", das Studienbewerber mit entsprechender finanzieller Absicherung ausnutzen könnten. "Wer wohlhabende Eltern hat, der kann sich den Studienplatz kaufen, die Chancen für Studenten aus ärmeren Familien werden dann noch schlechter."

Nicht nur die allerjüngsten Studienbewerber können bei einem so komplexen Fach wie der Medizin vor Studienbeginn kaum eine Vorstellung haben, was sie Jahre später einmal machen möchten. "Viele Erstsemester sind heute ja nicht mal volljährig", sagt Tobias Hauser von der Fachschaft Medizin der Uni Würzburg. Dass sie Neurologie, Chirurgie oder Gynäkologie viel mehr begeistert als Allgemeinmedizin, könnten sie ohnehin erst im Studium feststellen. "Junge Menschen, die den Herzenswunsch haben, Medizin zu studieren, sehen die Quote als Chance, einen Platz zu bekommen. Damit werden sie in einen Beruf gedrängt, den sie unter Umständen gar nicht haben wollen", sagt Hauser.

Die Finanzierung der Reform ist noch unsicher

Was das in der Praxis bedeuten kann, zeigt der Fall von Johannes Eschmann. Trotz eines Einserabiturs hofft der 26-Jährige seit Jahren vergeblich auf einen Studienplatz in Medizin. Nach zehn Wartesemestern hat er sich mittlerweile für Tiermedizin eingeschrieben, um wenigstens die Grundlagen in Physik, Chemie und Biochemie lernen zu können. Das Skelett von Katzen und Hunden, die Muskulatur von Kühen und Pferden, paukt er eben zusätzlich. Er kann sich vorstellen, die Verpflichtung zu unterschreiben: "Irgendwann ist man so verzweifelt, dass man alles tut, um reinzukommen", sagt Eschmann. Obwohl er am liebsten als Chirurg an einem Klinikum arbeiten würde, ist seine Devise: Lieber kümmert er sich in einer Landarztpraxis um Omas Husten, als um die Magen-Darm-Probleme der Schweine auf dem Bauernhof nebenan.

Ob diese Situation - Bewerber verpflichten sich als Landarzt, weil sie keine andere Chance haben, um Medizin zu studieren - wirklich langfristig die Qualität der Patientenversorgung gefährdet, wie manche Experten meinen, ist ungewiss. Ebenso wie die genaue Ausgestaltung der Landarztquote. Diese ist als Kann-Regelung gedacht, welche die Bundesländer erst nutzen sollen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, Ärzte für den Job auf dem Land zu gewinnen.

Bisher hat sich nur Bayern dazu bekannt, die Quote bald einsetzen zu wollen. Bis zu fünf Prozent der Studienbewerber sollten über die Vorabquote einen Platz bekommen, wenn sie sich vertraglich verpflichten, "nach Abschluss der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin als Hausarzt in einem unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebiet tätig zu sein", schrieb das zuständige Gesundheitsministerium auf Anfrage des Tagesspiegels. Das bayerische Kultusministerium reagierte auf SZ-Anfrage zurückhaltender. Zwar bestünden Überlegungen, eine Landarztquote einzuführen, dafür müssten aber erst die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Ein konkreter Zeitpunkt für die Einführung ist daher unklar - wie auch die Finanzierung des gesamten Masterplans für das Medizinstudium.

Denn neben der kontrovers diskutierten Landarztquote beinhaltet der Plan der Ministerrunde viele weitere Änderungen im Studium: Allgemeinmedizin soll insgesamt einen prominenteren Platz bekommen, dazu von Beginn an mehr Praxis und der Umgang mit Patienten gelehrt werden. Weil es dafür unter anderem mehr Lehrpraxen braucht, hatte die Kultus- und Gesundheitsministerkonferenz die vollständige Umsetzung des Masterplans unter Haushaltsvorbehalt gestellt. Eine Arbeitsgruppe sollte den zusätzlichen Finanzbedarf erst einmal ermitteln.

Die Vorbehalte von Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) in Sachen Finanzierung waren aber offenbar dennoch so groß, dass sie dem Entwurf in der vorliegenden Form nicht zustimmen wollte. Daher kam es am Donnerstag gar nicht erst zur geplanten Abstimmung. Nachbessern muss aus Bauers Sicht nun der Bund - vom dem die Länder einen angemessenen Finanzierungsbeitrag erwarten wie auch von den für die ärztliche Versorgung zuständigen Trägern. "Sonst bleibt die Gesamtfinanzierung des Masterplans an den Wissenschaftshaushalten hängen. Und der Druck, sie anzuzapfen, wird zunehmen, sobald der Masterplan erst einmal beschlossen ist", sagte Bauer.

Am kommenden Dienstag soll es voraussichtlich ein Treffen der Staatssekretäre von Kultus- Gesundheitsministerkonferenz geben, bei dem das weitere Vorgehen besprochen werden soll.

Wo der Bürgermeister einen Hausarzt sucht

Was dabei auch herauskommen mag: Das Problem der mehr und mehr fehlenden Hausärzte auf dem Land braucht in irgendeiner Form eine Lösung. Ob über eine Quote oder andere Anreize, das ist Betroffenen wie Ditmar Köritz vorerst egal. Der Bürgermeister der Samtgemeinde Nienstädt im niedersächsischen Landkreis Schaumburg wäre glücklich, wenn sich künftig überhaupt noch jemand um die Patienten in seiner Heimat kümmern würde.

Nach dem tödlichen Unfall eines Hausarztes hatte die Gemeinde mit 10 000 Einwohnern im vergangenen Jahr nur noch drei Allgemeinmediziner, nach Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen müssten es jedoch sechs sein. "Als im Herbst die Grippewelle kam, haben unsere Hausärzte zwölf Stunden täglich gearbeitet, weil sie Kranke nicht wegschicken dürfen", sagt Köritz.

Obwohl es nicht zu seinen Aufgaben gehört, hat er sich deshalb schon zum zweiten Mal an der Suche nach einem Nachfolger für einen Mediziner beteiligt. Dass derzeit wieder vier Hausärzte in Nienstädt arbeiten, ist nicht nur glücklicher Zufall: Die Gemeinde lockt inzwischen mit kostenlosen Praxisräumen, um die Stellen attraktiver zu machen. Ob das als Argument für Nienstädt langfristig ausreicht, bleibt offen. Denn auch in den beliebteren Ballungsräumen finden approbierte Ärzte heute ohne große Probleme einen Job. Und zwei der verbliebenen Nienstädter Ärzte sind bereits über 60 Jahre alt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: