Mathematik für Schulanfänger:Pi mal Däumchen

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Für Rechenanfänger ist mathematische Genauigkeit offenbar gar nicht so wichtig, wie sie Generationen von Lehrern zu vermitteln versucht haben. Wichtiger sei das Zahlen-Gefühl, wie eine Studie beschreibt: Kinder lernen exakt zu rechnen, indem sie schätzen üben.

Johann Osel

Religion und Mathematik sind "nur verschiedene Ausdrucksformen derselben göttlichen Exaktheit", ist als Bonmot des einstigen Münchner Erzbischofs Kardinal Michael von Faulhaber (1869-1952) erhalten. Gerade die Genauigkeit ist es, die Schüler oft zur Weißglut treibt. Tatsächlich aber sei ebenso wichtig die Fähigkeit, Größenordnungen ungefähr schätzen zu können - und diese Kompetenz werde in den ersten Klassen als vermeintlich zweitrangig vernachlässigt, heißt es nun in einer Studie von Bildungswissenschaftlern der Technischen Universität München.

Gut rechnen kann, wer das Schätzen gelernt hat. (Foto: dpa/dpaweb)

Die Ergebnisse, die an diesem Montag der Öffentlichkeit vorgestellt werden und der SZ in Auszügen vorliegen, besagen, dass ein "Zahlen-Gefühl" als Basis für ein späteres mathematisches Verständnis dienen kann und in Schulen besser gefördert werden sollte.

Die Forscher haben das Rechenverhalten von 200 Erstklässlern mehrere Wochen lang analysiert. Kinder, deren Schätzgefühl in der Studie speziell trainiert wurde, verbesserten sich auch beim exakten Rechnen; und zwar in gleichem Maße wie Kinder, die den exakten Umgang mit Zahlen eigens einstudiert hatten. Eine Gruppe übte zusätzlich zum üblichen Unterricht den "approximativen Umgang mit Zahlen" (also Überschlagsrechnen oder das Schätzen einer Zahl von Punkten unter Zeitdruck); eine andere wurde im exakten Berechnen geschult. Davor und danach testeten die Forscher die Kompetenz im Umgang mit Zahlen. Beide Gruppen hatten einen gleich großen Lernfortschritt erzielt.

Der Unterricht sei zu Beginn der Grundschule in erster Linie darauf ausgerichtet, Ergebnisse für Aufgaben wie vier plus sechs zu ermitteln. "Eine gute Zahlenvorstellung hat aber nur, wer Größenordnungen auch ohne exakte Berechnung einordnen kann", sagt Andreas Obersteiner vom Heinz-Nixdorf-Stiftungslehrstuhl für Mathematik-Didaktik.

Dass etwa die Differenz von 85 zu 100 geringer ist als die zu 25, ist ohne Nachrechnen nur für Kinder plausibel, die diese Vorstellung haben. Damit könnten sie Strategien für das exakte Rechnen entwickeln. Kurzum: Kinder lernen Rechnen durch Schätzen - die Genauigkeit stellt sich dann von selbst ein. "Die Frage ist deshalb, ob nicht die Förderung dieses Zahlengefühls eine stärkere Basis des Unterrichts sein sollte", sagt Obersteiner und plädiert für geänderte didaktische Konzepte.

Das Projekt an der School of Education der TU München wird vom Bundesbildungsministerium gefördert. Die Einrichtung wurde 2009 als bundesweit erste Fakultät für Lehrerbildung und Bildungsforschung gegründet. Forschungserkenntnisse fließen direkt ins Studium der Lehramtskandidaten ein.

© SZ vom 02.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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