Mathe-Abitur:"Es gab einfach zu viel zu lösen"

Landesabitur in Hessen

Vielen Abiturienten erschienen die Matheaufgaben in den Prüfungen 2019 zu schwer. (Archivbild)

(Foto: dpa)

Mathelehrer Hartmut Stäker hat die umstrittenen Abi-Aufgaben nachgerechnet. Er brauchte deutlich länger als die vorgegebene Bearbeitungszeit. Die Noten der Schüler würde er trotzdem nicht heraufsetzen.

Interview von Susanne Klein

Seit den Mathematik-Abiturklausuren am vergangenen Freitag ist die Bildungsrepublik in Aufruhr. Zehntausende Schüler kritisieren in Online-Petitionen die angeblich zu schweren Aufgaben. Eltern unterstützen die Proteste. Gewerkschafter fordern, die Noten für beanstandete Klausuren heraufzusetzen. Philologen sind über diese Forderung entsetzt, sie fürchten um den Wert des Abiturs. Inzwischen haben mehrere Kultusminister angeordnet, die Aufgaben zu überprüfen. Bislang wissen sie nur: Sie stammen zum Teil aus dem gemeinsamen Aufgabenpool der Länder, andere aus dem jeweiligen Bundesland selbst. Das ist auch in Brandenburg so. Dort begutachtet der Lehrer Hartmut Stäker seit vier Jahren als Zweitkorrektor Mathe-Abiturklausuren - und rechnet die Aufgaben vorher selbst durch.

SZ: Herr Stäker, auch Schüler in Ihrem Bundesland schwimmen per Petition auf der Protestwelle mit. War die Mathe-Klausur wirklich so schwer?

Hartmut Stäker: Ich kann nicht bestätigen, dass die Aufgaben zu schwer waren. Ich fand eher, dass sie zu umfangreich waren. Es gab einfach zu viel zu lösen in der vorgegebenen Zeit.

Interview am Morgen

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Wie haben Sie das festgestellt?

Ich habe mich gleich am Samstag an sämtliche Aufgaben gesetzt, die den Schülern vorgelegt wurden. Als unabhängiger Zweitkorrektor muss ich mich ja vorbereiten auf die Klausuren, die auf mich zukommen. Zumal ich zurzeit nur Physik und kein Mathe unterrichte.

Wie lange haben Sie gebraucht?

15 Stunden, verteilt auf drei Tage. Montagabend war ich fertig. Die Schüler wählen zwar nur die Hälfte der Aufgaben aus, aber sie hatten auch nur fünf Stunden Zeit dafür. Ich habe also länger gebraucht, als ihnen Zeit gegeben wurde.

Und Sie konnten lange Pausen einlegen. Noch mehr Zeit zum Denken.

Es gab noch einen Unterschied: Ich hatte die Lösungen, ich konnte kiebitzen.

Haben Sie das gemacht, kiebitzen?

Klar, wenn ich mal nicht weiterwusste, habe ich in die Lösung geguckt. Die ist nie umfangreich, aber Anhaltspunkte für den Lösungsweg gibt sie schon. Und wenn ich mir doch unsicher bin, ob mein Lösungsweg gangbar ist, rufe ich meine Tochter an, die ist Profi-Mathematikerin.

Ziemlich viele Vorteile gegenüber Abiturienten.

Stimmt, aber die sind ja in der Regel durch ihre Fachlehrer sehr gut fürs Abitur trainiert worden.

Was macht die Aufgaben so umfangreich?

Mathe-Abitur: Hartmut Stäker, 57, ist Lehrer für Mathematik und Physik und Präsident des Brandenburger Pädagogenverbandes. Er unterrichtet am Oberstufenzentrum Dahme Spreewald in Lübben.

Hartmut Stäker, 57, ist Lehrer für Mathematik und Physik und Präsident des Brandenburger Pädagogenverbandes. Er unterrichtet am Oberstufenzentrum Dahme Spreewald in Lübben.

(Foto: privat)

Viele sind stark untergliedert, von a bis h, mit jeweils mehreren Arbeitsaufforderungen: Berechne das, begründe dies, erkläre, zeichne. Man muss oft umdenken und zurückblättern, weil zwischen den Teilaufgaben häufig Querverbindungen bestehen. Das klappt nur bei anständigen Aufzeichnungen, in denen man schnell etwas wiederfindet. Die kosten also auch Zeit.

Das klingt jetzt schon ziemlich schwer.

Nicht, wenn man den Rechenweg findet, dann ist die Sache machbar. Deshalb lasse ich auch das Argument der Schüler nicht gelten, dass die Aufgaben zu schwer waren. Das Problem ist eher, dass sie nicht so formuliert sind, wie es die Schüler aus dem Unterricht kennen. Sie müssen den Aufgabentext quasi erst in ihre gewohnte Denkweise übersetzen.

Es gibt also nur ein Verständnisproblem?

Die Aufgaben werden von Menschen gemacht, die wohl tief in der Mathematik, aber nicht tief im Klassenraum stecken. Sie orientieren sich zu wenig daran, was in den Lehrbüchern steht. Und wir arbeiten nun mal mit Lehrbüchern.

Verschiedene Kultusminister lassen die Aufgaben gerade überprüfen. Was sollte geschehen, wenn sich herausstellt, dass sie wirklich eine Überforderung waren?

Dann muss man die Mängel im nächsten Jahr ausmerzen.

Sonst nichts?

Von Nachschreibeklausuren oder besseren Noten halte ich nichts. Nachschreiben macht die Schüler verrückt, und für das Heraufsetzen von Noten gerechte Maßstäbe zu finden, ist praktisch unmöglich.

Zu dieser Frage könnten sich die Kultusminister zusammensetzen.

Die Kultusministerkonferenz hätte an dieser Stelle eine noch viel grundsätzlichere Aufgabe. Sie muss sich endlich darüber einig werden, was das Abitur überhaupt ist. Soll es der höchste Abschluss der Allgemeinbildung sein oder der niedrigste Abschluss einer Spezialbildung? Von dieser Frage hängt alles ab. Das fängt an bei der Gewichtung der Grundlagen in der Grundschule und hört auf bei den Abituraufgaben.

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