Süddeutsche Zeitung

Luxus-Studieren in Erlangen:Protest gegen das teuerste Semesterticket Deutschlands

243,70 Euro kostet in Erlangen das Semesterticket künftig - für vier Monate. Die Studenten finden das unzumutbar und protestieren gegen den hohen Preis. Uni und Verkehrsverbund zeigen Verständnis und hätten auch eine Lösung. Doch die birgt ein juristisches Risiko.

Martina Scherf

Nirgendwo sonst in Deutschland zahlen Studierende so viel für ihr Bahnticket wie in Erlangen-Fürth-Nürnberg. 243,70 Euro wird die ermäßigte Verbund-Fahrkarte im kommenden Semester kosten - für vier Monate, denn sie gilt nicht für die Prüfungs- und Semesterferienzeit. Das bedeutet einen Monatspreis von 60,93 Euro.

Unzumutbar finden das die meisten Studenten. Sie fordern seit Jahren ein halbjährliches Semesterticket für den Großraum, wie es in vielen Städten üblich ist. Gegen die Tariferhöhung regt sich nun Protest.

Wenn Till M., Student in Erlangen, seinen guten Freund in Regensburg besuchen will, zahlt er für die Fahrt doppelt so viel wie sein Freund für die umgekehrte Richtung. Denn in Regensburg gibt es ein Semesterticket, das im gesamten Verkehrsverbund gilt: Der erstreckt sich bis Neumarkt, das ist der halbe Weg nach Erlangen. Das Ticket gilt in Regensburg sechs Monate - und kostet nur knapp acht Euro im Monat.

In der fränkischen Metropolregion herrscht eine besondere Situation: Viele Studenten müssen zwischen Erlangen und Nürnberg pendeln, weil ihre Institute über beide Städte verteilt sind. Weil viele außerhalb der Drei-Städte-Achse wohnen, kommen in diesen Fällen zu den Kosten für das Studententicket auch noch die Fahrten zum Wohnort dazu.

Till M. hat ein Forum bei Facebook eröffnet, um Erfahrungen zu sammeln - und an nur einem Wochenende mehr als 2500 Zuschriften erhalten. "Komme aus Altdorf bei Nürnberg, studiere in Erlangen, zahle 123,30 Euro im Monat", schrieb ein Student. "Wohne in Bad Windsheim, zahle 172,90 Euro", ein anderer, oder: "Forchheim-Erlangen, zahle 80,70 und das für sieben Minuten im Regionalexpress."

Rechnet man Studiengebühren von 83 Euro, den Studentenwerksbeitrag von 42 Euro und die Miete dazu, kämen manche auf monatliche Fixkosten von 1000 Euro - "Wer kann da noch sorgenfrei studieren?", fragt Deborah Woznicki, die sich jetzt auch in der Arbeitsgruppe Semesterticket engagiert. Ohne Unterstützung der Eltern sei dies nicht möglich, deshalb würden manche Abiturienten erst gar kein Studium in Erlangen beginnen, es gebe ja günstigere Städte.

Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, haben die Studenten einen nationalen Vergleich angestellt: Danach beträgt der bundesweite Mittelwert für ein Semesterticket derzeit 18,67 Euro/Monat, in Bayern liegt er bei 7,38 Euro. Nirgendwo sonst gibt es eine Begrenzung auf die reine Vorlesungszeit. Und in den meisten Ländern wie Berlin, Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen gilt das Semesterticket im ganzen Bundesland.

Die Erlanger Universitätsleitung hegt große Sympathie für ihre Studierenden. "Die hohen Fahrtkosten sind für unseren Standort nicht von Vorteil", gibt Kanzler Thomas Schöck zu. Seit Jahren führt er Gespräche mit dem Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) und den zuständigen Ministerien - ohne Ergebnis.

Auch der VGN steht den Forderungen der Studenten prinzipiell wohlwollend gegenüber, wie ein Sprecher bestätigt. Allerdings brauche der Verbund dann höhere Zuschüsse. Dies hat der Freistaat aber immer abgelehnt - genauso wie im Falle München, wo es überhaupt kein Semesterticket und seit Jahren Protestaktionen gegen die teuren Fahrpreise gibt.

Als einzig mögliche Lösung erscheint daher ein Solidarmodell, wie es in anderen Städten praktiziert wird: Alle Studierenden tragen über ihren Studentenwerksbeitrag die Finanzierung mit, unabhängig davon, ob sie die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen oder nicht. Der VGN käme dann auf einen Semesterpreis von gut 90 Euro. Doch dieses Modell birgt ein juristisches Risiko: Studenten, die den öffentlichen Verkehr nicht nutzen, könnten gegen den Pflichtbeitrag klagen. Dann müsste das Studentenwerk dem VGN Millionenbeträge erstatten.

Andere Bundesländer teilen diese Bedenken offenbar nicht: Im Rhein-Main-Verkehrsverbund kostet das Ticket 155 Euro, im Verkehrsverbund Stuttgart 179 Euro. "Dort wird möglicherweise eine andere Rechtsauffassung vertreten, das werden wir jetzt prüfen", sagt Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD). "Wenn andere das machen, muss es doch auch bei uns gehen".

Maly will Bewegung in die stockenden Verhandlungen bringen. Mit den Partnern im VGN habe man beschlossen, die Zahl der studentischen Nutzer neu zu ermitteln und daraus einen aktuellen Preis zu kalkulieren.

Denkbar sei dann, so Maly, eine Testphase, in der man das Risiko einer Klage auf mehrere Partner verteilt - für Studenten immerhin ein Hoffnungsschimmer, auch wenn sich die Vorbereitungen laut Maly bis in nächste Jahr ziehen werden.

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SZ vom 06.02.2012/tob
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