Lernhilfe von Gleichaltrigen:Tüfteln am Text

In anderen Ländern ist das Prinzip längst etabliert, in Deutschland fristet es noch ein Schattendasein: Peer Tutoring, Lernhilfe unter Gleichaltrigen. In verschiedenen Projekten werden derzeit Jugendliche zu Schreibberatern für ihre Mitschüler ausgebildet. Doch der Erfolg stellt sich manchmal erst auf Umwegen ein.

Marie-Charlotte Maas

Auf dem Zettel vor dem Kellerraum stehen ruppige Worte: "Schreiben ist... langweilig, zeitraubend, nervig, doof." Dahinter allerdings haben Josephin, Annika und Tina ein Fragezeichen gesetzt. Die drei jungen Frauen haben hier an der Rahnschule im brandenburgischen Fürstenwalde ihr Büro, sie sind Schreibberaterinnen und geben Mitschülern einmal pro Woche in der Mittagspause Hilfestellung, wenn diese bei Facharbeiten, Aufsätzen, Praktikumsberichten oder Bewerbungen nicht weiterkommen. Und sie wollen beweisen, dass der Satz, den sie da auf das Plakat geschrieben haben, nicht wahr ist.

Ausgewählt wurden die Berater von Simone Tschirpke und Luise Herkner, Studenten am Schreibzentrum der Universität Frankfurt an der Oder. Schreibberatungen für Studenten gibt es inzwischen an gut einem Dutzend Hochschulen, in Bochum, Hildesheim, Darmstadt oder Göttingen etwa - weil viele Studenten einfach Hilfe brauchen. Manche Unis laden gar zu Aktionen wie der "Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten". Dass man bereits früher ansetzen kann, in Schulen nämlich, will das Frankfurter Studenten-Projekt nun zeigen.

"Bei der Entscheidung, wer Schreibberater wird, geht es nicht um die Deutschnote, sondern um die Motivation und darum, wie gut jemand mit anderen Menschen umgehen kann", erklären Tschirpke und Herkner. Alle zwei Wochen fahren sie nach Fürstenwalde zum Teamtreffen mit den Schüler-Schreibberaterinnen, um zu sehen, wie sich das Projekt entwickelt. Die Schüler, die zu Beratern ausgebildet werden, sind in der Regel zwischen 17 und 19 Jahre alt, die Zielgruppe des Angebots sind Gleichaltrige oder Jüngere.

"Schreiben kommt zu kurz"

Begonnen hat es vor zwei Jahren mit anderen Schulen im Umkreis von Berlin, seit Anfang 2011 gibt es die Beratung an der Rahnschule. "Schreiben kommt an der Schule zu kurz", sagt Herkner, "das merken viele erst, wenn sie an die Uni kommen. Dann denkt man plötzlich, dass man gar nicht viel gelernt hat. Den Schock kann man Schülern ersparen." Sabine Willer, Leiterin der Rahnschule, sieht das Projekt als gute Ergänzung zum Unterricht, gerade weil die Schüler-Berater aus Zeitgründen eher ansprechbar seien als Lehrer: "Durch die Beratung lernen sie bereits jetzt, was an der Hochschule wichtig sein wird."

Anders als in den USA, wo "Peer-Tutoring", die Lernhilfe durch Gleichaltrige, an vielen Schulen umgesetzt wird, ist das Konzept in Deutschland kaum verbreitet. "Man muss erst Akzeptanz für den Gedanken schaffen, dass Schüler Schüler beraten können", meint Tschirpke. "Ein solches Projekt zu starten, bedeutet aber, es in die schon bestehenden Strukturen der Schule zu integrieren - und das braucht seine Zeit." Lehrer müssten begeistert, Schüler überzeugt werden. Denn wer als Berater arbeitet, investiert Freizeit. Während also die meisten Mitschüler schon zu Hause sind, arbeiten Josephin, Annika und Tina noch im Büro und erarbeiten Tipps für besseres Schreiben. Gewürdigt wird das nicht immer. Oft sitzen sie während der Sprechstunde alleine im Schulkeller.

Die Hemmschwelle von Schülern, Probleme vor den jungen Beratern auszubreiten, ist höher als erwartet. Zu sehen etwa an jenem Erlebnis: Zusammen mit ihren Teamleiterinnen gaben sie kürzlich in ihrer eigenen Klasse einen Workshop zum Thema Facharbeit: Wie finde ich die passende Fragestellung, wie plane ich mein Vorgehen? Grundlegendes, das später im Studium wichtig sein wird. "Fast die ganze Klasse hat mich später im Chat angeschrieben und sich noch mal Dinge erklären lassen", erzählt Tina. "In die Sprechstunde zu kommen, trauen sie sich nicht." Josephin meint: "Keiner will zugeben, dass er Probleme hat. Über Internet ist das leichter."

Angst muss niemand haben

Dabei muss keiner vor dem Konzept Angst haben - im Gegenteil: Zu Beginn des Projekts waren die Leiterinnen zusammen mit den anderen teilnehmenden Schulen auf einem Ausbildungswochenende. Drei Tage lernten sie Methoden, erprobten in Rollenspielen, wie man mit den Ratsuchenden umzugehen hat. "Wichtig ist, dass die Schreibberater die Mitschüler nicht von oben herab behandeln. Sie sollen sich auf Augenhöhe begegnen", sagt Studentin Tschirpke. Die Verantwortung für den entstehenden Text bleibe immer in den Händen der Autoren.

Ziel sei es, gemeinsam Konzepte zu entwickeln, die Schreibberater sollen "keine reinen Korrekturhilfen" sein. Sie sollen vielmehr nachfragen, nicht bloß auf Fehler hinweisen. Wenn Passagen unklar sind, sprechen die Berater die missverständlichen Lesarten an, anstatt eine neue Formulierung vorzugeben. So soll der gesamte Schreibprozess verbessert werden und nicht nur ein einzelner Text.

Studentin Tschirpke ist überzeugt davon, dass in Deutschland eine "Feedback-Kultur" fehlt. Durch die Schreibberatungen lernen Schüler, präziser zu formulieren und Füllwörter, Wiederholungen und umständliche Formulierungen zu vermeiden. Und vor allem: "Sie lernen, über ihre Texte nachzudenken."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: