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Lehrstuhl für Alters- und Palliativmedizin:Lehre vom Altern und Sterben

Wie erkennt man, ob ein dementer Patient unter Schmerzen leidet? Wann ist es Zeit, einen Kranken sterben zu lassen? In Lausanne ist die weltweit erste Professur für Alters- und Palliativmedizin ausgeschrieben - ein zukunftsweisender Lehrstuhl.

Von Nina von Hardenberg

Das Alter ist ein Kreuz, sagt man. Tatsächlich leiden alte Menschen häufig an gleich mehreren Krankheiten - an Diabetes, Herzschwäche und schmerzenden Gelenken zum Beispiel, und häufig verwirrt sich im hohen Alter dann auch noch der Geist. Im Jahr 2050 wird jeder vierte Europäer älter als 80 Jahre sein. Damit werden auch sehr viele Menschen erst in einem hohen Alter sterben. Wie können diese Sterbenden optimal betreut werden? Dieser Frage will sich ein neuer Lehrstuhl der Universität Lausanne widmen. Die Uni in der Schweiz hat eine Professur für Geriatrie (Altersmedizin) und Palliativmedizin ausgeschrieben.

Gesucht wird also ein Bewerber, der sich sowohl mit den Leiden des Alters auskennt, als auch mit der medizinischen Begleitung Sterbender. Die Kombination erscheint naheliegend, ist aber weltweit einmalig, wie der Lausanner Palliativmediziner Gian Domenico Borasio betont. Borasio ist der Initiator des von drei privaten Stiftungen getragenen und für die kommenden zehn Jahre mit etwa 3,2 Millionen Euro ausgestatteten Lehrstuhls.

Altersmediziner konzentrierten sich traditionell darauf, ihre betagten Patienten wieder fit zu machen. Die Begleitung Sterbender stehe bislang nicht im Fokus. Die Palliativmedizin wiederum sei von ihrer Geschichte her auf den etwa 60-jährigen sterbenden Krebspatienten ausgerichtet, erklärt er. Sie sei geübt darin, diesen Kranken ihre Schmerzen und auch die Angst zu nehmen. In Zukunft aber werde ein Großteil der Patienten auf Palliativstationen sehr viel älter und vor allem häufig dement sein.

Alters- und Palliativmediziner sollen voneinander lernen

Wie erkennt man, ob ein geistig verwirrter Patient Schmerzen leidet? Wie begleitet man ihn am besten? Wann ist etwa eine künstliche Ernährung sinnvoll, wann wird sie zur Qual? Dies Fragen würden Palliativ- und Altersmediziner gleichermaßen betreffen, und beide könnten voneinander lernen, glaubt Borasio.

Auch in Deutschland ist man sich der Nähe beider Fächer bewusst. Die Ausschreibung des fachübergreifenden Lehrstuhls stieß bei den Fachgesellschaften auf Interesse. Es gäbe auch hierzulande bereits viele Kooperationen, sagt Ralf-Joachim Schulz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. In Köln etwa forsche man gemeinsam, um die Grenze auszuloten, wann Behandlungen sinnlos werden; wann es also an der Zeit ist, einen Kranken sterben zu lassen. Schulz hat in Köln den Lehrstuhl für Geriatrie inne. Seine Universität verfügt zugleich auch über einen Lehrstuhl für Palliativmedizin.

Auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, sieht Überscheidungen beider Fächer. Die Palliativmedizin müsse sich vor allem stärker als bislang um alte Menschen in Heimen kümmern. In Deutschland stirbt mehr als die Hälfte der Heimbewohner im ersten Jahr nach dem Einzug. Das Pflegepersonal ist dafür aber häufig nicht ausreichend geschult. Immer wieder werden darum Heimbewohner am Ende ihres Lebens in Kliniken verlegt, dabei könnten sie mit der richtigen medizinischen Betreuung im Heim sterben.

Einen speziellen Lehrstuhl für geriatrische Palliativmedizin hält Radbruch trotzdem für problematisch. Es sei noch zu früh für spezialisierte Lehrstühle. "Wir sind noch so damit beschäftigt, die Palliativmedizin überhaupt voranzubringen." Auf dem Land sei die Versorgung vielerorts noch schlecht.

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