Süddeutsche Zeitung

Lehrermangel in Sachsen-Anhalt:Gewerkschaft sieht Schulpflicht gefährdet

Sachsen-Anhalt spart so drastisch wie kaum ein anderes Land: Aus Sicht der Gewerkschaft stellt das Bundesland zu wenige Lehrer ein. In einem Gymnasium mussten bereits ganze Unterrichtstage entfallen.

Von Cornelius Pollmer

Die Direktorin des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Weferlingen hatte es noch mit einer Generalmobilmachung aller Kollegen versucht, aber am Ende sah sie sich doch gezwungen, einen Hilferuf abzusetzen. Die Personaldecke an der Schule von Kornelie Wahner-Willems ist ohnehin schon dünn, vier von 34 Kollegen sind zudem dauerhaft erkrankt. Wahner-Willems setzte sich hin und ein Schreiben an die Eltern auf. Sie bedauere es sehr, aber der Unterricht müsse leider ganztägig ausfallen - eine Vertretung der Kollegen sei nicht zu organisieren, nicht einmal die nackte Aufsicht auf dem Gang. In der Magdeburger Volksstimme ergänzte die Direktorin warnend: "Im nächsten Jahr wird es noch dramatischer."

Das Kultusministerium in Sachsen-Anhalt beeilte sich, die Notlage als krassen Einzelfall einzuordnen, aber selbst in diesem kann Thomas Lippmann den "Vorboten einer Entwicklung" erkennen. Sachsen-Anhalt stelle zu wenige Lehrer ein, sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Bleibe dies so, dann sei sogar die Schulpflicht gefährdet. "Wir können nur so viel Schule machen, wie wir Lehrer haben - wenn das so weiter geht, wird der Unterricht nicht mehr das sein, was wir unter Schulpflicht verstehen." Stundentafel, Fächerkanon, all dies werde man nicht mehr abbilden können.

Ziemlich spät hat sich das Land Sachsen-Anhalt auf den Weg gemacht, seine Strukturen an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen: Konsolidierung bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen aus Länderfinanzausgleich und den Töpfen der EU. Fast alle Fachminister kommen deshalb ins kurze Gras. Über die Finanzierung von Kultur und Hochschulen gab es bereits erbitterten öffentlichen Streit, vor den Kommunalwahlen im Mai rückt nun die Schule wieder einmal in den Fokus. GEW-Chef Lippmann kritisiert vor allem die "extreme Vorstellung" der Landesregierung und dort des SPD-Finanzministers Jens Bullerjahn, dass öffentliche Aufgaben mit immer noch weniger Geld gleichbleibend ordentlich erledigt werden könnten.

Keine Partei will als Sensenmann erscheinen

Wegen seiner Siedlungsstruktur ergeben sich für Sachsen-Anhalt noch einmal zusätzliche Probleme. Schon jetzt hat das Land im bundesweiten Vergleich mit die kleinsten Schulen und mit die größten Einzugsbereiche dieser vorzuweisen. Die große Koalition hatte unter dem euphemistischen Schlagwort einer Schulentwicklungsplanung beschlossen, dass Häuser im ländlichen Raum mit weniger als 52 Schülern ab diesem Sommer zugemacht würden.

Weil aber keiner der Regierungspartner vor den Kommunalwahlen als Sensenmann erscheinen will, gab es nun wieder Streit. CDU-Bildungspolitiker ließen ihre Idee durchsickern, Lehrer zwischen kleinen Schulen pendeln zu lassen und so deren Schließung abzuwenden. Die SPD tobte, die CDU zog zurück. Gemeinsame Mitteilung: Es bleibt beim ursprünglichen Plan, beide Parteien stehen gemeinsam für den strengen Kurs ein.

Die CDU also zeigte Schwäche bei dem Versuch, sich aus der Verantwortung zu nehmen - und die SPD eine Härte, die sich ihre Anhänger bei der letzten Wahl so gewiss gar nicht erhofft hatten. Da warb die Partei auf Plakaten noch doppeldeutig: "Wir streichen nicht eine Schule, sondern alle."

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SZ vom 12.03.2014/kjan
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