Personalmangel an Grundschulen:Kultusminister finden 1700 Lehrer, Experten wundern sich

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Zukunft Deutschland: So könnte sie aussehen - ohne die Frau an der Tafel. (Foto: dpa)

Vor kurzem schlug die Bertelsmann-Stiftung Alarm: 26000 Grundschullehrer könnten bald fehlen. Jetzt haben die Bildungspolitiker nachgerechnet - und kommen zu ganz anderen Zahlen.

Von Susanne Klein und Bernd Kramer

Lehrerinnen und Lehrer fehlen schon jetzt an vielen Schulen im Land, und die Lücke dürfte in den kommenden Jahren noch größer werden. Bloß wie groß genau?

Die zuständigen Kultusminister lagen mit ihren Prognosen in der Vergangenheit oft daneben. Nun haben sie ihre Zahlen aktualisiert, wenn auch zwei Monate später als angekündigt. Laut nun offizieller KMK-Prognose fehlen durchgängig bis 2030 vor allem an Haupt-, Real- und Berufsschulen Lehrkräfte. An den Grundschulen schließe sich die Lücke bereits 2025, zuvor jedoch sei sie mit rund 12 400 fehlenden Lehrern sehr groß.

Auf deutlich höhere Zahlen war erst im September die Bertelsmann-Stiftung gekommen: Nach ihrer Prognose fehlen 26 300 Grundschullehrer bis 2025 - mehr als doppelt so viele wie die KMK annimmt. Warum liegen die Politik und Bildungsexperten der Stiftung in ihrer Einschätzung schon wieder so weit auseinander? Und vor allem: Welche Zahl stimmt denn nun?

Die Bertelsmann-Stiftung erklärt die Differenz auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung mit Unterschieden in der Berechnung. Drei Punkte erklären laut der Denkfabrik, warum der Kreis der Kultusministerinnen und Kultusminister die Lücke geringer ansetzt:

- Anderes Vergleichsjahr: Die Kultusminister beginnen ihre neue Berechnung mit dem Jahr 2019 und addieren die jeweils fehlenden Lehrkräfte für die kommenden Jahre auf. Die Bertelsmann-Stiftung beginnt ihre Rechnung ein Jahr früher. Daher fließt in ihrer Berechnung auch mit ein, wie viele Lehramtsabsolventen im Jahr 2018 bereits fehlten, um alle Stellen an den Schulen zu besetzen. Daraus ergibt sich ein Unterschied von 3260 fehlenden Lehrkräften an den Grundschulen.

- Weniger Schüler: Die Kultusminister gehen von deutlich geringeren Schülerzahlen für die kommenden Jahre aus als die Stiftung. Die Minister rechnen damit, dass im Jahr 2025 3,192 Millionen Kinder einen Platz in einer Grundschule brauchen werden. Die Bertelsmann-Stiftung rechnet mit 3,232 Millionen Grundschülern im Jahr 2025 - also 40 000 Grundschulkinder mehr. Sie stützt sich dabei auf - vergleichsweise konservativ geschätzte - Bevölkerungsprognosen des Statistischen Bundesamts. Die Kultusminister ziehen dagegen laut Stiftung zum Teil andere Daten heran, die stark von der offiziellen Statistik abweichen. Bei 40 000 zusätzlichen Grundschülern bräuchte es laut Bertelsmann-Stiftung bis 2025 auch 2600 Lehrkräfte mehr, als nun von der Kultusministerkonferenz veranschlagt.

- Mehr Lehramtsabsolventen: Besonders erstaunlich ist für die Bertelsmann-Stiftung, dass die Kultusminister in ihrer Berechnung plötzlich neue Lehramtsabsolventen aus dem Hut zu zaubern scheinen. So geht die Ministerrunde nun davon aus, dass bis 2025 in Niedersachsen 6500 Grundschullehrkräfte mehr die Universitäten verlassen werden, als bislang prognostiziert. Dahinter steckt aber vor allem eine Umetikettierung: An den Gesamtschulen in Niedersachsen sollen künftig nur noch Gymnasiallehrkräfte eingestellt werden. Die Absolventen, die bisher für die Gesamtschulen vorgesehen waren, werden in der Statistik daher nun als potenzielle Grundschullehrkräfte gezählt. Rätselhafter ist für die Fachleute der Stiftung, wie die Kultusminister auf 1700 Grundschullehrkräfte bis 2025 in Baden-Württemberg kommen, die bei der letzten Prognose im vergangenen Jahr noch nicht einberechnet waren. "Auf den ersten Blick ist nicht nachvollziehbar, woher die zusätzlichen Absolventen in Baden-Württemberg so kurzfristig herkommen sollen", sagt Dirk Zorn, Bildungsexperte der Bertelsmann-Stiftung. "Dafür müssten sie ihr Studium ja bereits aufgenommen haben, bislang aber nicht mitgezählt worden sein."

Der Lehrermangel war nicht das einzige brisante Thema beim Treffen der Kultusminister. Auch mit dem Nationalen Bildungsrat befasste sich die Runde. Wochenlang war heftig über ihn gestritten worden, dann galt er als gescheitert, nun sieht es nach einer Wiederauferstehung aus - allerdings in neuer Gestalt. Anstelle eines Bildungsrats unter Beteiligung des Bundes, wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen war, wollen die Bundesländer nun ohne Zutun von oben für ein Expertengremium sorgen, das ihnen hilft, sich bildungspolitisch besser zu koordinieren. Und das sogar zügig, wie der hessische Kultusminister und Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) Alexander Lorz (CDU) am Freitag versprach, soll heißen: im neuen Jahr.

"Mit unserem neuen Vorschlag bieten wir einen Ausweg aus der Blockade", sagte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) nach der KMK-Tagung in Berlin. Alle Kultusminister seien sich darin einig, "dass ein Bildungsrat entscheidend dabei helfen kann, mehr Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen der Länder sicherzustellen". Nach dem Zwist der letzten Wochen darf das als Fortschritt gelten, war doch der von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) favorisierte Nationale Bildungsrat vor allem am zornigen Veto aus Bayern und Baden-Württemberg und nicht etwa am Widerstand aller Länder gescheitert. Nun hat man sich bei der Ersatzlösung offenbar zusammengerauft. "Es ist gut, dass die Kultusminister diesen Handlungsbedarf sehen", kommentierte die düpierte Ministerin, nicht ohne zu betonen, das deutsche Bildungssystem müsse "tatsächlich verbessert" werden.

Nötig dafür wären in jedem Fall: genügend gute Lehrer.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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