Süddeutsche Zeitung

Lehrer-Vertreter Kraus zum Fall Henri:"Das hilft dem Kind nicht"

Sollte ein Junge mit Down-Sydrom ein Gymnasium besuchen dürfen? Im Interview mit der SZ spricht sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, klar dagegen aus. Die Inklusion aller Schüler mit geistiger Behinderung sei "illusorisch".

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, spricht sich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gegen den Besuch des behinderten Henri an einem Gymnasium aus. Der Grundschüler hat das Down-Syndrom. Er würde ihn "nicht aufs Gymnasium lassen", sagte Kraus. "Das hilft dem Kind nicht."

Der Fall des Elfjährigen sorgt derzeit für Kontroversen: Seine Eltern möchten Henri auf ein Gymnasium schicken, obwohl er kein Abitur anstrebt. Sie berufen sich auf das Recht für behinderte Kinder, in Regelschulen unterrichtet zu werden. Sowohl das Gymnasium im baden-württembergischen Walldorf, als auch die Realschule im Ort haben es jedoch abgelehnt, ihn aufzunehmen. Rückendeckung bekommen sie aus der Politik: Der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch (SPD) hat Verständnis für die Entscheidung der Schulgremien gezeigt.

Kraus, der am Sonntagabend auch bei Günther Jauch zum Fall Henri mitdiskutierte, argumentiert, ein Gymnasialbesuch diene in solchen Fällen nicht dem Kindeswohl. Er habe die Sorge, dass Henri - und andere Kinder mit Down-Syndrom - täglich Enttäuschungen erlebten, weil er bald spüren werde, dass er "nicht das leisten und in den Unterricht einbringen kann, was die anderen einbringen". Er werde frustriert sein, weil er nicht mithalten könne. "Das kann sehr kränkend sein", so Kraus im SZ-Interview.

Inklusion in der Praxis

Doch es gibt auch Befürworter einer uneingeschränkten Eingliederung Behinderter ins Regelschulsystem; Kraus stellt sich einer großen Gruppe von Menschen entgegen, die Henris Aufnahme im Gymnasium fordern. Dies sei Inklusion in der Praxis, und die Aufnahme dürfe nicht nur an Leistungsmaßstäben gemessen werden, argumentieren diese. Allein eine entsprechende Online-Petition hat bereits fast 26.000 Unterstützer.

Kraus hält es hingegen für "illusorisch", alle fast 400.000 Schüler mit Behinderung oder anderen Einschränkungen aus den Förderschulen in Regelklassen unterzubringen. "Gerade wenn es um Kinder mit geistigen Einschränkungen geht." Er sieht die Inklusion vor allem als machbar bei Schülern mit körperlichen Einschränkungen. Der Lehrerverbands-Präsident verteidigt die Förderschulen zudem gegen die weitverbreitete Kritik. Kinder mit geistigen Einschränkungen seien in "unseren erstklassigen Förderschulen" gut aufgehoben, diese könnten sich in kleinen Gruppen besser um die Schüler kümmern.

Josef Kraus leitet ein Gymnasium in Niederbayern, das selbst Inklusionskinder aufgenommen hat. Der 64-Jährige ist seit 1987 Präsident des Deutschen Lehrerbverbandes, der als Dachorgansiation etwa 160.000 Pädagogen vertritt.

Das vollständige Interview mit Josef Kraus lesen Sie in der Ausgabe der Süddeutsche Zeitung vom 19.05.2014.

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