Lehrer:Mehr Lohn für pädagogische Schwerstarbeit

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Berlin will Lehrkräften an Brennpunktschulen mehr bezahlen: als Anerkennung ihrer Arbeit und Anreiz, überhaupt in die Schulen zu kommen. Denn Bewerber fehlen.

Von Jens Schneider

Montag ist immer der schwierigste Tag. Am Montag stehen viele Kinder an ihrer Schule unter Spannung, erzählt Astrid-Sabine Busse, aufgeladen von einem Wochenende ohne Bewegung. Hinter vielen liegen zwei lange Tage, an denen sich keiner für sie zuständig fühlte und sie die meiste Zeit vor Bildschirmen hockten. Sie brauchen besondere Aufmerksamkeit. Aber nicht nur an solchen Tagen ist der Job für Pädagogen an der Grundschule in der Köllnischen Heide mehr als Unterrichten, viel mehr. "Viele Kinder brauchen Zuwendung, sie wollen auch mal in den Arm genommen werden." Manche sind zu Hause die Einzigen, die am Morgen aufstehen, sie kommen ohne Frühstück. Da übernehmen Lehrer und Erzieher viele zusätzliche Aufgaben und kümmern sich intensiv um Schüler.

Die Direktorin Astrid-Sabine Busse ist Vorsitzende des "Interessenverbands Berliner Schulleitungen" IBS. Seit 26 Jahren leitet sie die Grundschule in Berlin-Neukölln, und ihr macht die Aufgabe erkennbar Freude. Es ist eine sogenannte Brennpunktschule, eine besonders hohe Zahl der Kinder kommt aus sozial schwachen Familien. Gerade sind fünf erste Klassen eingeschult worden. Busse schwärmt von den leuchtenden Augen der Kinder, die sich aufs Lernen freuen. Schüler an den Brennpunktschulen seien oft besonders wissbegierig und dankbar für die Unterstützung. "Wer sich als Lehrer darauf einlässt, der bleibt auch." Doch das Dilemma ist, dass junge Lehrer nach dem Examen das sehr selten wollen: im Wedding, in Marzahn oder in Neukölln arbeiten. Jetzt will Berlin erstmals mit finanziellen Anreizen gegensteuern.

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Im Abgeordnetenhaus wird von den Fraktionen des rot-rot-grünen Senats ein Gesetz vorbereitet, damit Lehrern und Erziehern an Brennpunktschulen Zulagen gezahlt werden können. Geplant sind ab dem Herbst 300 Euro monatlich für die Lehrer an "Schulen in schwieriger Lage". Unter diese Kategorie fallen alle Schulen, an denen mindestens 80 Prozent der Kinder von der Zahlung des Eigenanteils bei der Anschaffung von Lernmitteln befreit sind.

Diese Schüler brauchen in der Regel mehr Aufmerksamkeit, es sind intensivere Kontakte mit Eltern und oft auch Behörden nötig. Neben den Lehrern sollen auch die Erzieher an diesen Schulen im Rahmen der Initiative besser bezahlt werden. Für sie wird über die Änderung der Tarife nachgedacht. Es gehe um die Würdigung der wichtigen Arbeit, sagt die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Maja Lasić. Das Vorhaben soll den Schulen auch helfen, gute Lehrerinnen und Lehrer für sich zu gewinnen.

In Zeiten der bundesweiten Lehrerknappheit gibt es einen harten Wettstreit, selbst die Rektoren versuchen, fair miteinander umzugehen. Am Ende entscheiden die jungen Lehrer eben selbst, welche Offerten sie annehmen. Suchen Berlins Schulen Nachwuchs, wird - so nennt man es tatsächlich - zu "Castings" eingeladen. Nur laufen diese Castings unter ganz anderen Vorzeichen als die berüchtigten Vorspiel-Einladungen von Filmproduzenten, die ihre Schauspieler unter sehr vielen Bewerbern auswählen können - nämlich umgekehrt: In Berlin kämen leicht mal hundert Schulleiter auf dreißig Bewerber, berichtet Astrid-Sabine Busse.

Am Ende würden viele Bewerber es eben vorziehen, an Schulen in bürgerlichen Vierteln zu gehen. Den Brennpunktschulen bleiben oft nur die Seiteneinsteiger, von denen Berlin gerade Hunderte einstellte. Weil so viele qualifizierte Lehrer fehlen, werden Menschen aus anderen Berufen rekrutiert. Sie aber brauchen viel Eingewöhnungszeit und Unterstützung an der Schule, am besten ein erfahrenes Kollegium mit guten Lehrern, und nicht ein Umfeld mit noch weiteren unerfahrenen Seiteneinsteigern.

"Der Kardinalfehler ist, dass die Seiteneinsteiger fast alle in den Brennpunktschulen landen", sagt Busse. Das bewegt auch die Schulpolitiker der Berliner Regierungskoalition. Die Sozialdemokratin Maja Lasić ist promovierte Biochemikerin, sie hat im Rahmen der Bildungsinitiative "Teach First Deutschland", die junge Akademiker für zwei Jahre an Schulen in schwieriger Lage schickt, selbst an einer Schule im Wedding unterrichtet. Beeindruckt von der Arbeit dort gab sie einen gut dotierten Job in der Wirtschaft auf, im letzten Jahr wurde sie ins Berliner Landesparlament gewählt.

Schnell fiel ihr auf, dass es eine extreme Konkurrenz zwischen den Schulen um die besten Pädagogen gibt. "Dort, wo pädagogische Schwerstarbeit gefordert ist, soll auch Spitzenpersonal unterrichten", fordert sie. Im Klartext heißt das, dass Quereinsteiger auch an stabilere Schulen etwa in Zehlendorf kommen sollten, die besten jungen Lehrer zum Beispiel in den Wedding.

Lasić hofft, dass mit diesen und anderen Ideen ein grundsätzliches Manko von Problemschulen langfristig behoben werden kann: die Segregation der Schüler. Durch gute Lehrer und eine bessere Ausstattung sowie spannende Profile und interessante Kurse sollen die Brennpunktschulen so attraktiv werden, dass auch Eltern aus wohlhabenderen Vierteln ihre Kinder dort gern hinschicken wollen.

Davon würden alle Schüler profitieren, sagt Lasić. Wenn aber die Kinder aus bildungsfernen Familien an den Schulen unter sich blieben, könnte keine Chancengleichheit erreicht werden.

Bei einem Besuch bei Astrid-Sabine Busse, in der Schule in der Köllnischen Heide, kann man sehen, wie attraktiv gut ausgestattete Einrichtungen sein können, wenn man sie fördert. Sie hat zusätzliche Mittel vom Land und aus Bundesprogrammen intensiv eingesetzt, um für den Unterricht und das Ganztagsprofil Angebote zu schaffen. Das reicht von der imposanten Holzwerkstatt über den Raum für die Theatergruppe, den Lego-Raum und das "Märchenzimmer" und das Nähstübchen zum Musikraum mit Instrumenten. Die Schulleiterin sagt, sie bräuchten kaum Aufsicht, nur Angebote zur Anleitung durch Honorarkräfte: "Das ist das Zuhause der Kinder. Das machen die nicht kaputt."

Für eine gute Schule brauche es "die drei P...", sagt die erfahrene Direktorin: "Pädagogik, Platz und Personal. Wenn eines fehlt, ist das Mist." Gerade fehle an den Schulen zu oft Personal. Deshalb sei es gewiss gut, dass die Lehrer mehr Geld bekommen sollen. "Das ist eine Form der Anerkennung", sagt Busse. "Lange Zeit hat man ja Pädagogen nicht wertgeschätzt."

Allerdings hört sie gerade von Lehrern, denen an den schwierigen Schulen besonders viel abverlangt wird, einen anderen Wunsch. "Viele hätten lieber eine Reduzierung ihrer Stunden", von derzeit 28 auf vielleicht 23. Denn über ihre Unterrichtsstunden hinaus gebe es so viele aufreibende Aufgaben. "Die Anforderung ist sehr hoch." Aber wie sollte das gerade gehen, in einer Zeit, in der es zu wenig Lehrer gibt?

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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