Lehrer:Mathe mit Migrationshintergrund

Schulbeginn in Niedersachsen

Erster Schultag in Hannover: bunte Schilder für bunte Klassen. Gut jeder dritte Schüler hierzulande hat einen Migrationshintergrund.

(Foto: Peter Steffen/dpa)
  • In Deutschland hat etwa jeder dritte Schüler einen Migrationshintergrund, bei den Lehrern sind es, je nach Quelle, aber nur ein bis vier Prozent.
  • Mehr Migranten ins Lehramt zu bringen, ist unbedingtes Ziel der Politik - die Entwicklung geht jedoch nur langsam voran.

Von Johann Osel

"Boah, Sie sind ja eine Türkin!" Den Satz bekam Fatma Konyali am ersten Tag zu hören. Dass da nicht eine Frau Schmidt oder ein Herr Müller an der Tafel stand, war für den türkischstämmigen Schüler in ihrer Klasse eine Überraschung. Fatma Konyali, 20, hatte keine Lehrer mit ausländischen Wurzeln. Nun ist sie selbst im dritten Semester, Lehramt für Grund- und Hauptschule, Mathe, Ethik, Technik. Der Satz des Schülers - halb erstaunt, halb begeistert - fiel in ihrem ersten Praktikum, in Baden-Württemberg steht es fast am Anfang des Studiums. Zufall war dieser Weg nicht, ihr Physiklehrer am Wirtschaftsgymnasium half nach. Er sagte, dass sie eine gute Lehrerin werden könnte - und dass es da eine Veranstaltung gebe, einen Schüler-Campus. Name: "Mehr Migranten werden Lehrer".

Die Zeit-Stiftung hat diese Idee nahezu bundesweit mit Partnern initiiert. Ein verlängertes Wochenende für ältere Schüler, deren Familien aus aller Welt stammen, aus der Türkei, China, Polen, Spanien, vom Balkan oder aus Afrika. Sie können sich an der Uni umschauen, mit Lehrern, Studenten, Experten reden, an einer Schule hospitieren und in Praxisübungen den Beruf kennenlernen. Ziel: informieren, bestenfalls fürs Lehramt begeistern. Bei Fatma Konyali, so erzählt sie, gab es den "Wow-Effekt. Ja, ich will jetzt Lehrer werden."

Gut zweieinhalb Millionen Schüler haben in Deutschland einen Migrationshintergrund, jeder dritte. Und bei Lehrern? Ein bis vier Prozent der Pädagogen, je nach Quelle, wenn auch mit Tendenz nach oben. Dass es mehr werden sollen, ist politisch Konsens, kein Kultusminister würde buntere Kollegien ablehnen, im Gegenteil: Sie werben dafür. Vor ein paar Monaten, beim Deutschen Fürsorgetag, gab es sogar einen Appell der Kanzlerin. "Wir brauchen mehr Lehrer mit Migrationshintergrund", sagte Angela Merkel, man müsse in dem Bereich "endlich vorankommen".

Man kann die These der Kanzlerin stützen: Solche Lehrer könnten Vorbilder sein, sie könnten einen guten Draht zu "Risikogruppen" finden. "Risikogruppen", das ist ein sperriger Begriff dafür, dass bei den Pisa-Studien 15-Jährige mit Migrationshintergrund deutlich zurückliegen. Und ist es nicht so, dass Lehrer zu selten interkulturelle Kompetenz haben? Zum Ramadan tauchen an Schulen Fragen auf: Wie soll man mit fastenden Schülern umgehen, die keinen Sport treiben wollen oder unkonzentrierter sind? Ein Muslim im Lehrerzimmer könnte vielleicht manches erklären.

Und wäre es nicht Zeichen einer modernen Gesellschaft, dass ihre Vielfalt sichtbar wird, nicht nur auf Schulbänken, sondern auch an Pulten? Pultikulti sozusagen. Zumal viele Klassen noch internationaler werden, Stichwort Flüchtlinge. Legt man die bisherige Altersstruktur von Asylbewerbern zugrunde, dürfte etwa jeder dritte minderjährig sein. Hunderttausende neue Schüler kommen ins Schulsystem.

Das deutsche Schulsystem ist auf Vielfalt kaum eingestellt

Die oft geäußerte Hoffnung aber, dass ein Schulbesuch aus jungen Syrern und Eritreern ohne Sprachkenntnisse geschwind integrierte Einwohner und Arbeitnehmer macht, ist vor allem eines: naiv. Das deutsche Schulsystem ist auf Vielfalt kaum eingestellt, Herkunft und Status sind entscheidend für Bildungserfolg beziehungsweise -misserfolg. Man tut sich noch mit der dritten und vierten Generation der Gastarbeiter schwer oder mit Spätaussiedlerkindern. Und für jene war die Idee von mehr Lehrern mit Migrationshintergrund ja gedacht.

Freilich, es wäre nur ein Baustein im System. Aber ein wichtiger. Die Rektorin einer Grundschule in Berlin-Kreuzberg, wo türkischstämmige Kinder die Mehrheit stellen und zugleich alle Lehrer Deutsche sind, sagt: "Interkulturelle Kompetenz, das ist in Kreuzberg Standard für alle. Als der Senat einen Islam-Leitfaden verschickt hat, stand nichts Neues drin." Ihr geht es um Vorbilder: "Die Kinder sehen ein Kollegium mit 30 deutschen Mittelschichtmenschen - und denken sich, dass Studieren und Deutschsein zusammengehört." Es wäre simpel: mehr Migranten ins Lehrerzimmer. Davor steht aber: Sie müssen ins Studium. Der Schüler-Campus, bei Fatma Konyali ist er in Stuttgart, weist den Weg. "Da gab es aber keinen Druck, dass wir jetzt alle Lehrer werden müssen." Manche wollten das nicht, und "das war voll okay".

"Ich bin ja mehr als eine Hautfarbe"

Fatma Konyali hingegen hat sich früh entschieden. Schon in der Kindheit habe sie "Schule gespielt" mit ihren zwei Brüdern, zu Hause mit einer Tafel. Überhaupt die Brüder: Denen hat sie immer Mathe erklärt. Einer habe gesagt: "Du musst Lehrerin werden. Bei dir verstehe ich alles besser als in der Schule." Doch als das Abitur näher rückte, war Konyali die Möglichkeit, Lehrerin zu werden, kaum präsent. Bis ihr Lehrer sagte, dass sie geeignet sei. Das dürfte stimmen: Über den Campus spricht sie im Erklärstil, man hört und schaut ihr gern zu, sie benutzt beim Sprechen die Finger, erstens, zweitens, drittens. Wobei ihr die Einblicke beim Campus-Wochenende verdeutlicht haben, was Unterrichten heißt. "Ich hab' da plötzlich die Lehrerrolle anders gesehen. Schüler spielen am Handy rum, sie haben ihr Zeug nicht dabei oder keine Lust", meint sie. "Früher habe ich immer gedacht, ein Lehrerleben ist voll gechillt."

Tatsächlich will das Projekt genau das vermitteln: die positiven und negativen Seiten des Berufs. Die Stiftung hat den Impuls gegeben, künftig sollen die Partner quer durch die Republik weitermachen, Behörden, Lehrernetzwerke, Sponsoren, Unis. Dabei helfen ihnen nun neue Daten der Stiftung, sie zeigen: Die Idee funktioniert. So ergibt eine jüngst veröffentlichte Befragung früherer Teilnehmer, etwa in München, Bremen, Frankfurt, Stuttgart: 80 Prozent von ihnen wollen tatsächlich Lehrer werden. 91 Prozent sagten: Das Projekt habe ihnen erst bewusst gemacht, dass Lehrer mit Migrationshintergrund überhaupt erwünscht sind. Es sei nötig, das Migrantenmerkmal zu betonen, sagt die Stiftung - um Aufmerksamkeit zu schaffen; aber die Atmosphäre am Campus sei nicht stigmatisierend. Weitere Forschung, von der Stiftung mitfinanziert, ergab: Jeder dritte Lehrer mit Migrationsgeschichte hat sich in seiner Schulzeit aufgrund der Herkunft benachteiligt gefühlt.

Schlechte Erfahrungen mit der Institution Schule

Wer beim Netzwerk "Schule ohne Rassismus" nachfragt, bekommt eine Reihe von Gründen zu hören, warum Beruf und Zielgruppe nicht recht zusammenpassen. Zum einen gibt es weniger Abiturienten mit fremden Wurzeln - siehe Pisa. Viele junge Menschen mit Migrationshintergrund haben schlechte Erfahrungen mit der Institution Schule gemacht. Mancher mag dadurch motiviert sein, es besser zu machen. Viele aber werden abgeschreckt. Zum anderen ist ein Lehramt meist auf Sprache fixiert. Das kann ein Problem sein. Und dann herrscht in Zuwandererfamilien oft das Gefühl, nur Gast zu sein - Lehramt, Jura, Staatsdienst sind da unattraktiver als Ingenieur oder Arzt. Ohne Rekrutieren wird es nicht klappen. Denn selbst Projekte wie der Schüler-Campus bringen Nachwuchs auch nicht in Scharen, eher peu à peu.

Generell stimmen in den Umfragen der Forscher vier von fünf Lehrern mit Migrationshintergrund der These zu, dass sie das Selbstbewusstsein ausländischer Schüler stärken könnten. Häufig übernehmen die Befragten sozialarbeiterähnliche Aufgaben an ihrer Schule. Ist es also so, dass man diese Lehrer als Sonderbeauftragte sieht - und gar nicht als selbstverständlichen Teil einer Schule?

Die Bildungsforscherin Carolin Rotter warnt in ihren Arbeiten vor "überschwänglichen Erwartungen". Ihre Interviews mit Neuntklässlern zeigten, dass der Einfluss der Herkunft überschätzt sein könnte: Ausländische Schüler thematisierten die Herkunft eines Lehrers oft gar nicht, selbst auf Nachfrage. Allgemein wünsche sich die Politik hier "ein Wundermittel, das die Erwartungen so nicht einlösen kann", meint Rotter. Und die Wissenschaftlerin warnt davor, das Merkmal des Migranten beim Buhlen um Lehrernachwuchs überzubetonen. "Das kann zum Rückschritt werden, zur Unterteilung in diese und jene."

Lehrer: Fatma Konyali, 20, ist Lehramtsstudentin für Grund- und Hauptschulen. Sie sagt: "Ich kann meinen Schülern später beweisen, dass man mit türkischer Herkunft auch Lehrerin werden kann, nicht nur Zahnarztassistentin."

Fatma Konyali, 20, ist Lehramtsstudentin für Grund- und Hauptschulen. Sie sagt: "Ich kann meinen Schülern später beweisen, dass man mit türkischer Herkunft auch Lehrerin werden kann, nicht nur Zahnarztassistentin."

(Foto: oH)

Ein Teilnehmer des Campus in Frankfurt, in der Elfenbeinküste aufgewachsen, erzählt: Er will später in der Schule "nicht der große schwarze Mann sein", sondern einfach guter Lehrer und Vorbild. "Ich bin ja mehr als eine Hautfarbe", sagt er und meint auch seine Kämpfergeschichte, vom Deutschlernen als Grundschüler bis zum Abitur. Fatma Konyali - deren Laufbahn ebenfalls von Aufstieg geprägt ist - sie ging nach der Grundschule nicht aufs Gymnasium - sagt: Wenn sie später mal "die mit den türkischen Wurzeln" sein sollte, "kein Problem, ich will helfen. Es gehe ihr darum, die Schüler voranzubringen. Als Mädchen hat sie viel Türkisch gesprochen oder ein Mischmasch. Sie wisse, wie heikel das sei mit der Sprache. "Es gibt ja türkische Eltern, die gar kein Deutsch können. Die darf man nicht abkapseln von der Schule, die dürfen ihre Meinung haben." Und: "Ich kann meinen Schülern beweisen, dass man mit türkischer Herkunft Lehrerin werden kann, nicht nur Zahnarztassistentin."

Also doch irgendwie eine Zielgruppen-Managerin? Das bestätigt sich beim Deutschen Lehrerpreis, den jedes Jahr gut zwei Dutzend Pädagogen erhalten. In einer Kategorie schlagen Schüler Kandidaten vor. Sind es, was selten ist, Lehrer mit Migrationshintergrund, lesen sich die Begründungen rührend. In der Laudatio auf eine Hauptschullehrerin aus Regensburg, die Flüchtlingsklassen unterrichtet, heißt es: "Als Ausländerin können Sie sich gut in uns hineinversetzen." Über einen Nürnberger Berufsschullehrer schreiben Schüler: "Er hat es als Türke geschafft zu studieren." Auch macht der Lehrer Hausbesuche bei türkischen Vätern, wenn etwas im Argen liegt. Sylvia Löhrmann, Schulministerin in Nordrhein-Westfalen, hat dazu mal gesagt: "Dass diese Lehrkräfte als Feuerwehr gesehen werden, ist ein Übergangsphänomen auf dem Weg zum Ziel - dass Kollegen mit Migrationshintergrund kein Etikett tragen, sondern Normalität sind."

Jüngst lobte Löhrmann eine Lehrerin mit Zuwanderergeschichte in Solingen, die im Umgang mit Flüchtlingskindern "auch menschlich besonders motiviert" sei. Der Übergang, er scheint länger zu dauern.

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