Lehrer-Buch über Lehrer:Vorher will er es noch allen zeigen

Joseph Maria Samulskie Lehrer Buch "Kopieranstalt: Schule ist ein Irrenhaus"

Getarnt mit falschem Bart, Sonnenbrille und Kappe: Joseph Maria Samulskie ist ein Pseudonym - der schrecklichste Name, der dem Lehrer gerade einfiel.

(Foto: oh)

Pornobilder im Kollegium, Abführmittel in der Schulmilch: Der Lehrer Joseph Maria Samulskie lässt in seinem Roman einen Pädagogen durchdrehen. Er nennt es eine "längst überfällige Provokation".

Von Johann Osel

Benno Heinen ist ein Ekel. 40 Jahre alt, 40 Kilo zu viel auf den Rippen, ungepflegt, ein ranziges Cordjackett kann die Verwahrlosung kaum übertünchen, die Gattin hat längst das Weite gesucht. Wenn der Grundschullehrer von seinen Schülern spricht, fallen Begriffe wie "hinterhältige Fuchsfresse".

Er ist das Gegenteil eines idealen Lehrers: Heinen traut den Kindern gar nichts zu. Als vor einer Vergleichsarbeit hastig geübt wird, wirkt das auf ihn, "als ob man ein Pfund rohes Mett durch ein Teesieb pressen wollte". Unterrichten widert ihn an - da braucht es nicht mal den Vorfall mit dem Schüler, der sich morgens mit Gummibärchen und Erdbeermilch vollstopft, sodass später ein rosafarbener See Erbrochenes durch die Klasse strömt.

Der Lehrer bekommt allein durch den Alltag "rötliche Wutflecken" am Hals. "Ständig Krach in den Klassen, bekloppte Kollegen", Schikanen durch die Rektorin "mit dem Bulldoggengesicht"; die "Ich-weiß-alles-besser-Väter" noch dazu. Benno Heinen erkennt selbst, dass er verrückt wird. Vorher will er es noch allen zeigen.

"Aggression bei Lehrern, das ist ein heißes Eisen"

Diese Antifigur wurde von einem Grundschullehrer aus Münster erfunden. "Kopieranstalt: Schule ist ein Irrenhaus" heißt die Satire, die nun in einer überarbeiteten Neuauflage erscheint (Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe). Joseph Maria Samulskie nennt sich der Autor, ein Pseudonym, bei Gesprächen mit Journalisten maskiert er sich mit Bart, Sonnenbrille und Mütze. Als Vorsichtsmaßnahme: "Aggression bei Lehrern, das ist ein heißes Eisen."

Er sei kein Brennpunktlehrer, so der 44-Jährige, aber schon der Unterricht an normalen Schulen reiche aus, um folgenden Aufruf zu starten: "Lehrer sind nicht die friedlichen Milchkühe der Nation, die nur wiederkäuend in der Schullandschaft grasen und über ihre Belastungsgrenze weit hinaus gemolken und ausgenutzt werden können."

Das Besondere an dem Buch ist aber eben nicht allein der katastrophale Zustand der Hauptfigur. Der Autor lässt Benno Heinen vielmehr völlig durchdrehen, eine Art literarischer Amoklauf. Er reiht Niederträchtigkeiten aneinander, stürzt sich auf jedes denkbare Tabu.

Da sperrt Heinen zwei Jungen im Kartenraum ein und witzelt über die Hilferufe, da gibt es eine fingierte Bombendrohung, zotige Anrufe bei der Kantinenfrau. Er versetzt Schulmilch mit Abführmittel, bis die Kleinen "die Hosen voll" haben - denn der Kollegin in der Nachbarklasse soll "mal der Arsch auf Grundeis gehen". Die Präsentation zur Schulhofgestaltung wird vertauscht, so dass sich dem Lehrerkollegium auf der Leinwand Bodybuilder mit erigiertem Glied offenbaren. Höhepunkt ist ein Mordversuch. Die Sache endet übel für Heinen.

"Darf es so ein Buch geben?"

"Satirische Bücher über den Beruf gibt es genug und da kann man sich köstlich beömmeln", sagt der Autor. "Ich will Wirbel verursachen. Eine längst überfällige Provokation, damit sich die Leute fragen: Darf es so ein Buch geben?" Und warum?

Keiner rede ehrlich über die Last auf den Schultern der Lehrer, keiner von den vielen Burn-out-Fällen im Beruf - gerade die Grundschullehrer würden oft mit der Vorstellung konfrontiert, dass sie im Grunde ja nur mit den "ach so lieben Kleinen" Spiele machen.

"In den Klassen sitzen bis zu 30 Schüler, die Lehrer müssen die Starken fordern und die Schwachen fördern", sagt Samulskie. So sei Unterricht für Pädagogen "wie ein Helm auf den Kopf mit fünf Radiosendungen gleichzeitig". Schule funktioniere nur, "wenn man richtig Geld reinsteckt", mehr Lehrer, doppelte Besetzungen für Stunden, Sozialarbeiter. Das derzeitige System gehe ausschließlich auf Kosten der Lehrer.

Jede Menge menschenverachtende Pädagogen nach Machart des Romanhelden also auch in der Realität? Ausdrücklich distanziert sich der Autor im Vorwort von jeglicher Gewaltverherrlichung. "Der Protagonist vereinigt alles Kaputte, das ich Gott sei Dank nicht habe." Aber zumindest die Ansätze seien allgegenwärtig. "In jedem Lehrer schlummert ein kleiner Benno Heinen, der nur darauf wartet, bei ungerechter Behandlung geweckt zu werden."

Wenn Lehrer Bücher schreiben

Nimmt man all die Bücher der vergangenen Jahre zusammen, ließe sich schon eine kleine Bibliothek damit bestücken. Die Lehrerzunft trägt zunehmend ihren Job in die Öffentlichkeit. Dass es sich dabei, wie im Fall von Joseph Maria Samulskie, um Fiktion handelt, ist eher die Ausnahme. In der Regel arbeiten Lehrer konkret den Schulalltag auf, mit Schnurren positiver wie negativer Art. Ein Erlebnisaufsatz, wie er sonst von Schülern gefordert wird.

Ein paar Beispiele: "Manchmal schauen sie so aggro" - so heißt das Buch der bayerischen Hauptschullehrerin Hildegard Monheim. "Das glaubt einem ja sonst kein Mensch, was wir Lehrer hier alles erleben", sagt sie. "Von Schülern, Eltern und anderen Besserwissern" nennt die Berliner Lehrerin Gabriele Frydrych ihre Glossen-Sammlung.

Manche Werke entstehen auch in der Folge von Blogs. Etwa 60 Pädagogen betreiben ein Tagebuch im Netz, mitunter anonym. Und dann wird manchmal auch vom Leder gezogen. Eine Berliner Lehrerin - Pseudonym Frau Freitag - hat es mit ihren Schilderungen aus dem Alltag einer Schule in Berlin-Neukölln, ursprünglich als Blog, schon zu drei Buchveröffentlichungen gebracht.

Eine "kathartische Absicht", also die Selbstläuterung, stecke womöglich hinter dem Trend, vermutet man beim Deutschen Lehrerverband. Wenn die Werke die Belastung des Berufsstands und die tägliche Arbeit transparenter machten, sei dies legitim. Kritik müsse aber sachlich bleiben, die Persönlichkeitsrechte seien zu wahren.

Ratsam vor allem für Beamte: Sie sind zur Loyalität gegenüber dem Dienstherren verpflichtet, es herrscht eine "Mäßigungspflicht".

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