Lehrer-Blog zum Zwischenzeugnis:Jetzt kommt die Playstation weg

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Leid statt Liebe hat Catrin Kurtz am vergangenen Valentinstag erlebt.

(Foto: Illustration: Katharina Bitzl)

Gemütszustand: aufgelöst bis aufgeregt. An Catrin Kurtz' Schule werden Zwischenzeugnisse vergeben. Die Lehrerin muss Tränen trocknen - und sich über die Erziehungsmaßnahmen mancher Eltern wundern.

Eigentlich ist der Valentinstag der Tag der Liebenden. Und tatsächlich spielten sich am vergangenen Freitag an meiner Schule herzzerreißende Szenen ab - allerdings waren sie überwiegend unerfreulicher Art. Wie an allen bayerischen Schulen wurden auch bei uns die Zwischenzeugnisse (anderswo auch "Halbjahreszeugnisse" genannt) verteilt. Die Reaktionen der Schüler waren durchaus unterschiedlich. Gemütszustand: aufgelöst bis aufgeregt. Eine Rückschau auf das postzensurale Gefühlsbarometer.

Im Jammertal: Fünftkässler Markus weint seit Minuten bitterlich und lässt sich nicht beruhigen. Einige Mitschüler versuchen vergeblich, ihn zu trösten; andere schütteln nur den Kopf. Auch ich als Klassenlehrerin bin zunächst ratlos, weiß ich doch, dass er zu den fünf besten Schülern der Klasse gehört. Kein Grund zu weinen, sollte man meinen. Irgendwann ist Markus wieder in der Verfassung zu sprechen: "Ich hab' in Reli nur eine Zwei!" Das Verständnis der Mitschüler hält sich in Grenzen: "Hallo, spinnst du? Ich hab' vier Fünfen - was meinst du, was bei mir daheim los ist, und du heulst wegen einer Zwei in Reli!"

So unterschiedlich kann die Wahrnehmung von Noten sein - wobei Markus kein Einzelfall ist. Es gibt schon seit einigen Jahren einen Trend zum Extremen. Auf der einen Seite machen sich sehr ehrgeizige Schüler wegen vermeintlich schlechter Noten wahnsinnig. Sie bauen sich selbst Druck auf, wo gar keiner nötig wäre - und wohl auch nicht gesund ist. Auf der anderen Seite scheinen diejenigen, die wirklich schlechte Noten haben, resigniert zu haben. Die schlechten Noten tangieren sie - zumindest nach außen - wenig, ja es wird sogar ein Wettbewerb ausgerufen, wer das schlechteste Zeugnis hat.

In beiden Fällen kann ich oft nur raten, wie es zu Hause aussieht: Gibt es vielleicht tatsächlich Ärger wegen einer Zwei in Religion (was die wenigsten Mütter und Väter in der Elternsprechstunde zugeben würden)? Sind Noten in der Familie wirklich nur Nebensache - oder interessiert sich einfach keiner für das Kind und seine schulischen Belange?

Angst vor der Höchststrafe: Kevin will nicht nach Hause, in Englisch hat es für die Vier nicht mehr gereicht. "Jetzt kommt meine Playstation weg! Und ich bekomme voll Ärger ..."

Ob das die richtige Maßnahme ist? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin sehr für einen verantwortlichen Medienumgang, kein Kind sollte den ganzen Nachmittag vor einem Bildschirm verbringen, schon gar nicht unbeaufsichtigt. Aber erfahrungsgemäß haben solche Sanktionen keine Wirkung, außer dass sie das elterliche Gewissen beruhigen.

Kevins Arbeitsmoral wird sich nicht verbessern, nur weil seine Playstation weg ist - er wird einfach eine andere Beschäftigung finden, die ihn davon abhält, etwas für die Schule zu tun. Seine Eltern täten besser daran, ihn positiv zu unterstützen: Indem sie ihren Sohn zum Beispiel bei den Hausaufgaben betreuen oder ihn Englisch-Vokabeln abfragen. So kommt es in der Regel gar nicht erst zu einem "Mangelhaft" im Zeugnis.

Es sind Kinder - das kann nicht funktionieren!

Natürlich bin ich mir bewusst und kann bis zu einem gewissen Grad auch verstehen, dass manchen Eltern nach einem stressigen Tag im Job dazu die Energie fehlt. Aber es kann nicht die Lösung sein, dass Fünftklässler von ein Uhr mittags an bis abends um sieben allein zu Hause sind, sich selbst Mittagessen machen müssen und man dann auch noch verlangt, dass sie ihre Hausaufgaben selbständig, motiviert und im besten Fall richtig machen. Es sind Kinder - das kann nicht funktionieren. Eine Ganztagsschule, gebunden oder offen, ein Hort oder eine Hausaufgabenbetreuung wären in solchen Fällen sinnvoll.

Himmelhochjauchzend: Gegenbeispiel: Auf dem Flur kommt mir Maxi aus der Sechsten entgegengerannt, schwenkt fröhlich sein Zeugnis. Er hat in Mathe eine Zwei und freut sich, "jetzt bekomme ich endlich einen eigenen Fernseher in mein Zimmer". Medienentzug oder Medienüberfluss - ist das tatsächlich das einzige pädagogische Mittel, das Eltern für Schulkinder parat haben? Oder ist es schlicht die einfachste, weil zeit- und nervensparendste Maßnahme?

Ich weiß, jetzt tue ich all jenen Müttern und Vätern Unrecht, die sich nach Kräften bemühen - und die gibt es durchaus. Außerdem ist es heute nicht einfach, Eltern eines Schulkindes zu sein. Wie hieß es am Zwischenzeugnistag so schön im Radio? "Unterstützen sie Ihr Kind, Leistungen sind nicht alles!" Leicht gesagt in unserer ausgewiesenen Leistungsgesellschaft. Leicht gesagt für die Eltern jener sieben (!) Schüler, die in der vergangenen Woche neu in meine sechste Klasse gekommen sind. Manche von ihnen wurden heruntergestuft, weil abzusehen war, dass sie die siebte Klasse nicht packen würden. Andere haben vom Gymnasium zu uns gewechselt, weil sie dort nicht mithalten konnten. Ihr Scheitern vor Augen, müssen sie sich nun in einer neuen Klassengemeinschaft bewähren, mit neuen Lehrern zurechtkommen - und Leistung sollen sie, bitteschön, auch endlich bringen.

Das ist fast zu viel für Schülerseelen und -schultern. Und nicht zu schaffen, wenn nicht alle an einem Strang ziehen - Kinder, Eltern und Lehrer.

Ich jedenfalls würde mich freuen, wenn es in fünf Monaten am Zeugnistag mehr strahlende als weinende Gesichter gibt. Wenn Markus seine Eins in Religion, Kevin mindestens eine Vier in Englisch und Maxi immer noch eine Zwei in Mathe hat. Ich werde die drei und alle anderen Schüler nach Kräften unterstützen - entgegen der landläufigen Meinung vergeben wir Lehrer nämlich auch lieber gute als schlechte Noten.

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