Lehrer-Blog:Louis kann das nicht, der ist hochbegabt

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Tatsächliche Hochbegabung kann eine Belastung für Schüler sein, weiß Catrin Kurtz.

(Foto: Illustration: Katharina Bitzl)

Schreibt der Schüler schlechte Noten, weil er im Unterricht unterfordert ist? Oder ist er einfach nur stinkfaul? Catrin Kurtz ist in dieser Frage oft anderer Meinung als die Eltern.

Louis steht in Deutsch auf einer Fünf und ich sage Ihnen eines: Diese Fünf ist noch ein Euphemismus für das, was ich in seinen Aufsätzen lesen und korrigieren musste. Auch in Mathe und Englisch hat er jeweils eine, Louis ist schlicht: stinkfaul. Er hat keine Lust auf Lernen, Hausaufgaben und Abgabetermine schreibt er sich gar nicht erst auf. Warum auch? Er hat ja eh nicht vor, daheim etwas für die Schule zu machen, wie er mir selbst bestätigt hat.

Auf Einladung - allerdings erst nach mehrmaligem Nachhaken - bequemten sich irgendwann Louis' Eltern zu mir in die Sprechstunde. Was ich denn für einen Wind mache, es sei doch ganz klar, woran das schulische Versagen ihres Kindes liege. Hochbegabt sei er, der Louis, eindeutig! Er langweile sich im Unterricht und schreibe deshalb schlechte Noten.

Schnappatmung meinerseits, das können die doch nicht ernst meinen? Doch, können sie. "Sie müssen einfach mehr Verständnis für Louis aufbringen, er tut sich eh schon so schwer, weil ihn seine Begabung so belastet", sagen die Eltern. In gewisser Weise stimme ich ihnen sogar zu: Louis ist sicherlich sehr begabt, wenn es darum geht, Mama und Papa im Griff zu haben.

Schlechte Noten schönreden für Profis

Erschreckenderweise sind Louis' Eltern nicht die Einzigen, die so argumentieren. Wie viele unterforderte Genies es allein an meiner Schule gibt! Hätten all die Mütter und Väter recht mit ihrer Einschätzung über das Leistungsvermögen ihrer Kinder, müssten wir uns um Deutschlands Zukunft keine Sorgen mehr machen. Schlechte Noten schönreden für Profis - habe ich den Volkshochschulkurs dazu verpasst?

Xaver zum Beispiel hat schon mit fünf Jahren angefangen, einen Lego-Roboter zusammenzubauen, und mit seinem Papa kann er auch schon Excel-Tabellen erstellen. Allerdings ist der Sechstklässler einseitig hochbegabt, mit Sprachen habe er es einfach nicht so, sagt seine Mutter und deutet an: Jetzt lassen Sie mal meinen Sohn mit Ihrem Deutschkram in Ruhe, der soll sich auf seine Stärken konzentrieren. Ich drücke Xaver die Daumen, dass es später mal klappt mit einem Job im Legoland - ansonsten sehe ich bei dieser elterlichen Einstellung eher schwarz für seine berufliche Zukunft. Schließlich sind die meisten Firmen ja tatsächlich so dreist, rudimentäre Deutsch- und vielleicht sogar Englischkenntnisse zu fordern.

Sicher, es gibt Kinder, die in bestimmten Bereichen fitter sind als ihre Mitschüler, eine höhere Auffassungsgabe haben - aber gleich von Hochbegabung zu sprechen? Und deswegen alles andere schleifen zu lassen? Ich verstehe den Beschützerinstinkt von Eltern, aber sie tun ihren Sprösslingen damit keinen Gefallen. Natürlich ist es ihre Aufgabe, die Begabungen und Interessen ihrer Kinder zu fördern. Aber diese gezielte Förderung sollte nicht auf Kosten der allgemeinen Schulbildung gehen.

Von der Last, hochbegabt zu sein

Außerdem: Wirklich hochbegabte Kinder haben nichts davon, wenn ihre Eltern ihnen diesen Stempel auch noch aufdrücken und damit hausieren gehen. Denn mit ihren außerordentlichen Leistungen fallen sie ohnehin auf und ecken häufig bei ihren Mitschülern an. Für die meisten Kinder und Jugendliche ist "Anderssein" nichts Erstrebenswertes, sie wollen am liebsten dazugehören.

Von einer ehemaligen Schulfreundin, die wirklich hochbegabt ist, weiß ich, dass sie zu Schulzeiten nicht besonders stolz darauf war. Sie hat sogar manchmal wider besseres Wissen falsche Antworten gegeben, um nicht weiter aufzufallen. Sie ist ihren Eltern heute dankbar, dass sie nie eine Klasse überspringen musste, sondern lange Kind sein durfte. Bei ihr hieß es auch nicht: Mach dir mal keine Sorgen um Deutsch, du bist schließlich in Mathe und Naturwissenschaften gut. Sondern: Ist ja toll, dass du in Mathe und den Naturwissenschaften nichts machen musst - dann hast du umso mehr Zeit, dich um Deutsch zu kümmern.

Ich vermute, dass sie zu diesen elterlichen Ansagen auch mal mit den Augen gerollt hat. Aber andererseits: Dass Eltern nerven, kann herrlich normal sein - und damit genau das erfüllen, was sich hochbegabte Kinder wünschen.

An die Adresse aller Mütter und Väter abschließend noch ein Appell: Loben und bestärken Sie Ihren Nachwuchs unbedingt, wenn er irgendwo gut ist, und schieben Sie ihn an, wenn er faul ist. Aber bitte, liebe Eltern, diagnostizieren Sie nicht selbst eine Hochbegabung, sondern überlassen Sie das einem Experten. Denn nicht jeder von Kinderhand zusammengebastelte Roboter ist automatisch ein Geniestreich.

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