Leben in Freiburg:Lieblingsort hinter den Bergen

Freiburg ist die Stadt für konsumorientiertes Grünsein, Fahrrad-Anhänger, barfüßige Soziologiestudenten. Das kann zuweilen unerträglich sein. Dann hilft eine kurze Flucht zu den europäischen Nachbarn.

Von Nakissa Salavati

Freiburg ist dieser Ort, von dem immer alle sagen: "Oh, da soll es schön sein, immer sonnig". Spontan auf der Deutschlandkarte finden würden sie die Stadt aber nicht. Das liegt daran, dass Freiburg so versteckt in der süd-westlichen Ecke des Landes liegt, ohne eine größere deutsche Stadt in unmittelbarer Nähe. Wer nach Freiburg will, muss entweder den Schwarzwald umfahren, oder aber den Weg durch die Berge nehmen - und zwar durch das Höllental, ein Name, der die Umstände der Fahrt bereits andeutet.

Freiburg liegt dann wie eine urbane Oase hinter den Bergen und in der offenen Ebene Richtung Frankreich und Schweiz. Oder anders ausgedrückt: Die Stadt kehrt Deutschland den Rücken und wendet sich Europa zu. Das mag pathetisch klingen, ist aber ein geografischer Fakt.

Und Geografie prägt, ob man nun will oder nicht. Auch diejenigen, die zuziehen. Sie werden hinter den Bergen das Gefühl haben, vor dem Übel der Welt geschützt zu sein. Freiburg ist der Ort für konsumorientiertes Grünsein, barfüßige Soziologiestudenten, Fahrrad-Anhänger mit Kindern und ihren dreckverschmierten Knien. Hier ist der Ort für junge Menschen, ein bisschen Städter sein zu dürfen, bis sie vielleicht nach Berlin aufbrechen, weil ihnen die Berge eben doch den Blick auf die Welt verstellen. Wenn sie zurückkommen, werden sie aber das Gefühl haben: Irgendwie ist hier alles besser, alles ruhiger, alles netter.

Wer lange in Freiburg wohnt und nicht nach Berlin zieht, findet die Stadt zuweilen unerträglich. Zum Glück ist dann die Flucht nach vorne möglich: nach Frankreich und in die Schweiz.

In Kürze, nach etwa einer Stunde Autofahrt, erreicht man Straßburg, Colmar oder Basel. Und plötzlich ändert sich alles. Es beginnt ein neugieriges Fremdeln, das wichtig für die Frage ist, wie man sich eigentlich selber sieht. Die französische Orangina schmeckt einfach besser als Fanta. Die Franzosen bestreuen Quark mit Zucker, salzen Butter, sehr lecker. Die Franzosen mischen aber auch süßliches Parfum in das Wasser der Straßenputzmaschinen. Eine Angewohnheit, die sich die Deutschen nicht abschauen sollten. Der Straßburger Münster ähnelt dem Freiburger Münster in seiner gotischen Streckung gen Himmel. Schließlich sind sich die Städte aller wechselnden Grenzen zum Trotz kulturell nah.

Putziges Schwyzerdütsch: Sich zu sonnen, heißt "sünnele"

In der Schweiz sieht man den Menschen ihren Wohlstand an ihren neuen Schuhen an. Die Sprache der Deutschschweizer ist putzig, die Verkleinerungen klingen für Freiburger vertraut: Sich zu sonnen, heißt "sünnele", im Winter isst man "heissi Maroni". Basel hat viel mehr moderne Kunst als Freiburg, auch, weil private Förderer sie finanzieren. Ihren Wohlstand tragen viele Schweizer übrigens auch nach Deutschland, weil sie dort viel und teuer einkaufen.

Frankreich ist das Nachbarland, für das man nur den Rhein, aber gefühlt keine Grenze überschreiten muss, wo die Menschen besser gekleidet sind - auch unter dem Sichtbaren, darauf lassen die fantastischen Unterwäscheabteilungen schließen. Wo man einen Café Crème bestellt und sich sehr mondän vorkommt. Es ist auch das Nachbarland, mit dem die Deutschen einst Krieg führten - all das: nicht vergessen, aber ganz offensichtlich vorbei. Wenn man im französischen Café darüber nachdenkt, kann das sehr ergreifend sein.

Freiburg

Freiburg von oben, aufgenommen im Jahr 2011.

(Foto: imago stock&people)

Die Schweiz ist das Nachbarland, für das man durchaus eine Grenze überschreiten, Franken erwerben und für einen Kaffee umgerechnet fünf Euro zahlen muss. Trotzdem: In der Fondation Beyeler in Basel-Riehen hängen Klassiker der Moderne wie Monet, Picasso und gerade übrigens Gaugin - auch hier stellt sich das Gefühl von Weitläufigkeit ein. Viele Freiburger interpretieren Weitläufigkeit anders, sie erklimmen Schweizer Gipfel, fahren Ski, trinken Rivella oder Ovomaltine und finden das Schwyzerdütsch des Hüttenwirts fabelhaft behaglich.

Französisch schon in der Grundschule

Wenn die Freiburger dann wieder Zuhause sind, sind sie dort sehr gerne. Sie haben sich in der Schweiz daran erinnert, dass auch der badische Dialekt Verkleinerungen liebt, dass man zu einem gemeinsamen, alemannischen Sprachraum gehört, in dem Bäche "Bächle" und Süßigkeiten "Gutzeli" heißen. Zur Begrüßung sagen sie "Salli", ein verwaschenes Salut also. Den Bio-Apfelkuchen backen sie nach "Elsässer Art" und ihre Kinder lernen schon in der Grundschule Französisch.

Hinter den Bergen, weit weg von den Metropolen Deutschlands, fühlt sich das wie der Mittelpunkt der Welt an. Freiburg wäre, so kann man sagen, ohne diesen freien Blick nach Europa eine langweilige, durchschnittliche deutsche Stadt. Aber so: ein Lieblingsort.

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