Langzeitstudenten:Warum Gebühren nicht zum schnelleren Examen verhelfen

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Die Studiengebühren sind fast überall in Deutschland abgeschafft. Einige Bundesländer allerdings kassieren ihre Bummelstudenten ab - der Nutzen ist umstritten.

Daniel Lenski

"Das Jahr 1991. Ja, 1991." Julian Bauer nickt und schaut für einen Moment auf den Boden. Da hat der 40-jährige Theologiestudent Abitur gemacht. Kurz darauf begann seine universitäre Ausbildung, die nach mehr als zwei Jahrzehnten immer noch nicht zu Ende ist. Das erste Studium - Grafik und Malerei - "war spannend, aber es hat mich geistig nicht gefordert".

Nach zwei Jahren wechselte er zur Medizin, dort hatte er mit dem Leistungsdruck zu kämpfen, seine Gesundheit litt darunter. "Bereits in der Schule hatte ich Probleme mit dem Zeitmanagement. Irgendwann wurde es mir einfach zu viel." Bauer setzte das Studium aus. Zu den gesundheitlichen Problemen kamen bald finanziellen, er arbeitete in einer Zementfirma, machte eine Ausbildung als Sozialassistent. Doch der Wunsch nach dem Studium blieb. Seit 2002, seit zehn Jahren, studiert er nun Theologie: "Ich musste Griechisch und Hebräisch lernen, und Theologie ist einfach ein langes Studium." 2013 will Bauer aber seine letzten Prüfungen ablegen.

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Eine Biografie mit Brüchen, mit vielen Herausforderungen; doch nicht ungewöhnlich für viele Langzeitstudenten. Das bestätigt Kay Sturzwange, der an der Universität Potsdam Beratung für solche Fälle anbietet. "Meistens gibt es gute Gründe für ein längeres Studium." Einerseits könnten natürlich fächerbedingte Faktoren wie das Erlernen zusätzlicher Sprachen zur Überschreitung der Regelstudienzeit beitragen.

Oftmals seien die Gründe aber eher in der Biografie des Studenten zu suchen. "Eine Krankheit im Studium kann einen aus der Bahn werfen. Oder die sozialen Umstände führen dazu, dass man nebenbei arbeiten muss. Und bei vielen kommt eine tiefsitzende Angst vor den großen Arbeiten oder Abschlussprüfungen, die dann das Studium in die Länge ziehen können."

Hochschulrektoren und Wissenschaftsministern sind Dauerstudenten dagegen oft ein Dorn im Auge. Wohl deshalb ist genau hier der politische Wille zu Studiengebühren am ehesten vorhanden. So wurden aktuell in Sachsen Gebühren in Höhe von 400 Euro für Studenten eingeführt, die ihre Regelstudienzeit um mindestens vier Semester überschritten haben. Der Aufschrei unter Studentenvertretern war immens.

Denn allgemeine Studiengebühren sind eigentlich ein Auslaufmodell, in vielen Ländern wurde das Bezahlstudium in den vergangenen Jahren nach Regierungswechseln wieder abgeschafft. Während für das Studium in der regulären Zeit mittlerweile nur noch in Bayern und Niedersachsen zu zahlen ist, müssen Studenten höherer Semester allerdings auch in Bremen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Langzeitgebühren stemmen.

In Hessen, wo allgemeine Studiengebühren derzeit "politisch nicht durchsetzbar" seien, wie ein Mitglied der Landesregierung vor Kurzem bedauerte, hält es der hochschulpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Matthias Büger, für überlegenswert, "den Hochschulen die Erhebung von Beiträgen bei Studenten deutlich über der Regelstudienzeit" zu ermöglichen. Gegenwärtig hat sich die Landesregierung in Hannover die komplizierteste Regel ausgedacht: Ist man fünf Semester über der Regelstudienzeit werden 600 Euro fällig, bei sieben sind es 700 Euro und bei acht gar 800 Euro pro Semester.

So groß der Konsens zu Langzeitgebühren vor allem in vielen unionsgeführten Ländern ist, so unsicher bleibt die Annahme, dass die Anzahl der durchschnittlichen Semester so tatsächlich reduziert wird. In den meisten Ministerien liegen bezeichnenderweise keine Zahlen darüber vor, wie viele Studenten die Regelstudienzeit sprengen. In Niedersachsen hat sich die Anzahl der Langzeitstudenten seit 2006, als es erstmals Gebühren gab, weder durch die Beiträge noch durch die strafferen Strukturen der Bologna-Reform reduziert. Und blickt man auf die Dauer des Studiums insgesamt, so haben bei den Universitäten zwar mit Bayern und Thüringen zwei Gebührenländer die schnellsten Studenten, doch liegen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt im Bundesschnitt: Jeder Vierte der Eingeschriebenen hat dort die Regelstudienzeit überschritten.

Sicherlich gibt es manche Studenten, die bei fehlenden Sanktionen weniger zum Aufschieben neigen. Doch Druck durch Gebühren, so meinen Experten, ignoriere die Ursachen für das lange Studium. Auch könne es im Zweifelsfall zu einem Abbruch der akademischen Ausbildung führen - nachdem das Bildungssystem schon so viel in diese Leute investiert hat. Und auch das Bild vom trägen Bummelstudenten scheint nicht zuzutreffen.

Den Eindruck belegen die wenigen Studien, die sich dem Phänomen Langzeitstudium gewidmet haben. Eine Untersuchung stammt von einem Team um den Göttinger Psychologen Manfred Kuda. Er weist darauf hin, dass Langzeitstudenten in der Regel zu Unrecht als faul gelten. So seien ihre Noten keineswegs unterdurchschnittlich. Doch fielen sie oft durch Prüfungsangst und die stärkere Ausprägung psychosozialer Defizite auf, die sich etwa in Depression niederschlagen können. Kuda befindet: Das Hinausjagen von Langzeitstudenten aus der Universität sei "gesellschaftlich wie individuell der falsche Weg".

© SZ vom 22.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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