Dass in Deutschland die Länder für die Schulen zuständig und dabei nicht immer einer Meinung sind, weiß wohl jedes Kind. Dass es ein Dokument gibt, das der Länderhoheit zumindest einen gemeinsamen Rahmen gibt - eine Art Grundgesetz des Bildungsföderalismus -, das dürften dagegen selbst die meisten Erwachsenen nicht wissen. Es heißt Hamburger Abkommen, wurde 1964 beschlossen, 1971 überarbeitet und regelt auf sieben Seiten die ganz basalen Dinge: Die Schulpflicht gilt neun Jahre, die Unterstufe heißt Grundschule, die Noten reichen von 1 bis 6, ein hessisches Abitur gilt auch in Bayern. Der kleinste gemeinsame Nenner.
Seit Donnerstag ist das Hamburger Abkommen Geschichte. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat es durch eine neue Ländervereinbarung ersetzt, die den gemeinsamen Nenner deutlich vergrößern soll. Das ist gelungen. Aus sieben Seiten sind 27 geworden, auf denen nun auch inhaltliche Ziele formuliert werden. So soll die Qualität des Unterrichts besser und Abschlüsse vergleichbarer werden. Das Ganztagsangebot soll ausgebaut, Inklusion gefördert, Schülerinnen und Schüler auf die digitale Welt vorbereitet werden. Das alles ist zum Großteil bereits anderswo niedergelegt, das neue Abkommen eher Sammlung als Schöpfung. Aber immerhin.
Von einem "historischen Tag für die Bildung in Deutschland" sprach Stefanie Hubig (SPD), Kultusministerin in Rheinland-Pfalz und derzeit KMK-Präsidentin. "Die Menschen haben den Wunsch nach mehr Einheitlichkeit bei der Bildung und diesem Wunsch kommen wir nach." Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, ebenfalls SPD, hob die geplanten Maßnahmen hervor, um die Anforderungen des Abiturs in den einzelnen Ländern einander anzunähern. So soll es mehr gemeinsame Aufgaben geben, auch die zwei Jahre vor den Prüfungen sollen "angeglichen" werden - sie machen schließlich den Großteil der Note aus.
Schulpolitik:"Beim Abitur werden Grundrechte verletzt"
Der ehemalige Kultusminister Mathias Brodkorb und die Pädagogikprofessorin Katja Koch fordern ein Ende des Bildungsföderalismus. Aber wie meinen sie das?
Doch Fakt ist auch: Die Einigung der Länder geht weniger weit als erwartet. Zur Debatte stand nämlich auch ein Staatsvertrag, ein Dokument, das alle Landesparlamente hätte passieren müssen. Eine Ländervereinbarung, wie es sie nun gibt, braucht das nicht - jedes Land kann sie theoretisch wieder kündigen. "Ein Staatsvertrag", sagte Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) der Süddeutschen Zeitung, "hätte sicher mehr Symbolwirkung gehabt". Es hätte aber die Gefahr bestanden, so Piazolo, dass der Vertrag "politisch in einem oder mehreren Ländern nicht durchsetzbar" gewesen wäre. Die Ländervereinbarung habe den Vorteil, dass man sie "leichter neuen Entwicklungen in der Bildungspolitik anpassen" könne. Piazolo sieht in dem Dokument ein "starkes Zeichen", was doch zurückhaltender klingt als der "historische Tag".
Eine wichtige Neuerung enthält das Dokument in jedem Fall: In Artikel 9 regelt es die Einrichtung einer "Ständigen Wissenschaftlichen Kommission". Dieses Gremium soll wissenschaftlichen Erkenntnissen einen direkteren Weg in den schulischen Alltag eröffnen, als dies bisher der Fall ist. Eigentlich sollte diese Aufgabe ein Nationaler Bildungsrat erfüllen, so hatte es die schwarz-rote Bundesregierung vereinbart. Doch Bayern und Baden-Württemberg brachten das Projekt im November 2019 zu Fall. Der Grund: Im Bildungsrat hätte auch der Bund mitreden dürfen. Das wollten die Südländer auf keinen Fall.
In der neuen Kommission hat die Bundesregierung nichts zu melden. Und wie viel das Gremium selbst zu melden hat, bleibt abzuwarten. Eingerichtet wird es befristet, auf Bewährung. Die Länder, auch dieser Satz findet sich in ihrem neuen Abkommen, nehmen "ihre Zuständigkeit für die Gestaltung des Bildungswesens selbstbewusst und aus Überzeugung" wahr. An der Ernsthaftigkeit dieser Absichtserklärung besteht in jedem Fall kein Zweifel.