Es ist Dienstagabend, kurz vor zehn, der Hörsaal leert sich nur langsam. Überall stehen kleine Gruppen. Studenten, Dozenten, Professoren diskutieren. Wortfetzen wie "Keynes", "Euro-Krise", "grünes Wachstum" und "demokratische Steuerpolitik" schwirren durch den Raum. Axel Dreher, Professor für Volkswirtschaft an der Uni Heidelberg, schaut beeindruckt in die Runde. Gerade ist eine Podiumsdiskussion zu Ende gegangen, Dreher hat als Einziger die Thesen der neoklassischen Volkswirtschaftslehre (VWL) vertreten, der Rest der Runde hatte das Manifest der Studenten für eine "pluralere", vielfältigere Ökonomik, das seit einigen Wochen Schlagzeilen macht, unterschrieben.
Es sei eine faire, sachliche Diskussion gewesen, sagt Dreher, die Studenten seien sehr engagiert aufgetreten, in seinen Vorlesungen erlebe er das weniger. Dort säßen bis zu 300 mittelmäßig interessierte junge Leute, "den meisten geht es vor allem darum, eine gute Note zu bekommen, als wirklich etwas zu lernen", und na ja, danach richte sich dann auch das Angebot.
Das ist der Moment, in dem sich Gloria Koepke, 19 Jahre alt, nicht mehr zurückhalten kann. "Wie können Sie das sagen?", unterbricht sie den Professor. "Wie können Sie sagen, die Studenten interessieren sich nicht, wenn Sie hier gerade einen Hörsaal voller frustrierter VWL-Studenten gesehen haben?" Dreher hält dagegen, nein, also, natürlich gebe es Angebote für Studenten, die mehr wollten, er sage zu Beginn jeder Vorlesung, man solle den Economist lesen, sich über politische Zusammenhänge informieren. Aber: "Wer das nicht macht und nur Folien auswendig lernt, der kommt hier wahrscheinlich auch ganz gut durch, da haben Sie recht."
"Ich verstehe nicht, warum Sie Ihr Fach derart anspruchslos machen"
Für Gloria Koepke ist genau dies das Problem. Als sie vor zwei Jahren begann, VWL zu studieren, merkte sie recht schnell, dass "keine große persönliche Auseinandersetzung" mit dem Studienfach nötig war, dass vieles einfach nur vorgebetet und, für ihr Gefühl, zu wenig von den Studenten verlangt wurde. Inhaltliche Diskussionen etwa habe es so gut wie gar nicht gegeben. Nach zwei Semestern brach sie ab. "Da wir sowieso nur gerechnet haben, habe ich mir gedacht, da kann ich auch gleich Mathe studieren", sagt Koepke, die in der Schule eine Klasse übersprungen und deshalb schon früh Abitur gemacht hat. Inzwischen ist sie im zweiten Semester ihres Mathe-Studiums - und hat nun endlich das Gefühl, wirklich mit Ernst bei der Sache zu sein. "Ich verstehe nicht, warum Sie Ihr Fach derart anspruchslos machen", schleudert sie Professor Dreher entgegen.
Diskussionen wie diese muss der Ökonom derzeit häufiger führen. Die studentische Vereinigung, die ihn an diesem Abend als Gegenspieler eingeladen hat, heißt Real World Economics Heidelberg. Die Studenten interessiert die echte Welt samt Finanz- und Währungskrisen mehr als die Modelle, die sie im Hörsaal kennenlernen. Zudem fordern sie eine kritischere Auseinandersetzung mit den Annahmen, die der Lehre zugrunde liegen. Immer mehr junge Ökonomen gehen auf Distanz zur klassischen Wissenschaft und fordern "intellektuelle Vielfalt" - erst kürzlich das internationale Netzwerk für plurale Ökonomik mit einem Manifest.