Kritik am Uni-Betrieb:Wie die Generation "Gefällt mir" das Streiten verlernt

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"Gefällt mir" zu allem und jedem: Haben die Studenten keine Zeit mehr für Diskussionen? (Foto: dpa)

Überall Konsens und Anpassung: Die Hochschuldozentin Christiane Florin kritisiert in einem Buch, dass in Seminarräumen nicht mehr diskutiert werde. Schuld daran seien allzu brave Studenten und marktkonforme Lehre.

Von Karin Janker

Eine Generation "Gefällt mir", ehrgeizig, jedoch unreflektiert - darüber beklagt sich die Journalistin und Uni-Dozentin Christiane Florin. Ihr Bildungsessay Warum unsere Studenten so angepasst sind analysiert die Streitkultur an Hochschulen - die fehlende Streitkultur. Die Mehrheit der Studenten sei brav und pragmatisch, wünsche sich klare Ansagen statt Dialog auf Augenhöhe. Florins Buch ist aber auch eine Kritik des Uni-Betriebs, der sich zu sehr den Anforderungen des Arbeitsmarkts unterworfen habe.

SZ: Frau Florin, was haben Sie gegen nette Studenten?

Christiane Florin: Die Uni sollte kein Raum sein, in dem Nettigkeit prämiert wird. Viele Studenten sind - im wahrsten Sinne - so unheimlich nett, dass einem angst und bange wird. Ich wünsche mir mehr Widerspruch, sowohl in meinen Seminaren als auch gegen das Hochschulsystem an sich. Ich wundere mich oft, dass Studenten nicht mehr Freiräume einklagen.

Sie wollen aufmüpfigere Seminarteilnehmer?

Vor allem wünsche ich mir mehr Lust an der Debatte und mehr Neugier. Aus meiner eigenen Studienzeit sind mir die Kommilitonen am meisten in Erinnerung geblieben, die gerne und mit substanziellen Argumenten widersprochen haben. Das Studium bietet doch die Chance, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln, indem man sich mit dem Denken der Anderen beschäftigt. Ich erlebe aber mehrheitlich Studenten, die klare Arbeitsanweisungen wollen. Sie spüren sehr genau, welche Erwartungen der Arbeitsmarkt und, pauschal gesagt, die Gesellschaft an Hochschulabsolventen haben. Und diese Erwartungen wollen sie erfüllen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie als junge Frau selbst genervt waren von der ewigen Revolutionsnostalgie der Alt-68er - was ist der Unterschied zu Ihrer heutigen Nostalgie für Streitgespräche?

Mir geht es nicht um Zertrümmerungsfantasien, ich plädiere ja gerade nicht für die Axt, sondern für das Argument. Widerspruch als bloßer Reflex ist auch kein Ausweis von Intellekt und Individualität. Aber die Kulturtechnik der Debatte ist wichtig, Geisteswissenschaften leben doch von Kontroversen. Wo, wenn nicht an den Universitäten, kann geübt werden, Urteilskraft zu entwickeln - und nicht einfach zu allem und jedem "Gefällt mir" zu sagen.

Ist die Bolognareform schuld, dass in den Seminaren keine Zeit mehr für Diskussionen bleibt?

Alles auf den Bachelor zu schieben, ist zu einfach. Effizient und smart zu sein - das waren mal Unternehmensziele, heute sind es gesellschaftliche Werte. Diese Ökonomisierung hat die Unis erreicht. Studenten halten alles, was nicht prüfungsrelevant ist, für überflüssig. Den Bachelor empfinden viele aber auch als Erleichterung: In einer Zeit, in der sie sich schon als Kind ständig entscheiden müssen - welcher Mobilfunktarif ist der richtige? verbringe ich das Wochenende bei Mama oder bei Papa? -, kann es angenehm sein, nicht auch noch den Stundenplan selbst erstellen zu müssen.

Mit dem Bachelor wuchs auch der Druck: Jede Note zählt. Sie schreiben "Eine 2,7 empört mehr als jedes Unrechtsregime". Haben Dozenten Angst davor, schlechte Noten zu vergeben?

Noten haben eine enorme Bedeutung - und sagen gleichzeitig immer weniger aus. Wir erleben eine Inflation von guten Noten, auch an den Universitäten. Es kann sein, dass die Studenten tatsächlich effizienter lernen. Ich weiß aber aus vielen Gesprächen und aus der eigenen Praxis, dass wir Lehrenden oft den Konflikt scheuen. Schon bei einer Zwei Minus müssen Sie mit Beschwerden rechnen. Ich habe Studenten erlebt, die lieber ein Modul noch einmal neu gemacht haben, weil sie keine Drei im Bachelor-Zeugnis stehen haben wollten. Gerade im oft prekär beschäftigten akademischen Mittelbau trauen sich viele nicht zu sagen, dass hier etwas falsch läuft.

Ihre Seminarteilnehmer stellen bestenfalls Fragen, Kritik oder Meinung bekommen Sie selten zu hören. Was macht das mit Ihnen als Lehrender?

Erst einmal keimen Selbstzweifel: Geht das nur mir so? Natürlich mache ich Fehler, unter anderem auch deshalb, weil Lehrbeauftragte meistens didaktische Autodidakten sind. Aber dann kommen auch Zweifel an einem System, das Bildung auf Credit Points, Degrees und internationale Vergleichbarkeit reduziert. Mir tut es leid zu sehen, dass so viele Studenten Bildung als Druck empfinden und nicht als Freiheitsversprechen. An den Unis läuft vieles schief, aber in der Öffentlichkeit wird nur über Strukturfragen gesprochen, nicht über Studieninhalte.

Warum diskutiert niemand über Studienpläne und Lehre?

An den Unis gibt es - ähnlich wie in der Kirche - einen akademischen Klerus, in dessen Welt eigene Gesetze und Belohnungssysteme herrschen. Ich komme als Lehrbeauftragte von außen, ich habe keinen Ruf als Politik-Koryphäe zu verlieren und kann deshalb freier sprechen. Mich wundert zum Beispiel, dass es für Lehrende offenbar irrelevant ist, ob und wie ihre Inhalte bei den Studenten ankommen. Selbst die regelmäßige Evaluation der Veranstaltungen scheint keine Folgen zu haben.

Ihr Essay ist also auch das Eingeständnis einer Teilschuld?

Ja, wir - und damit meine ich alle Lehrenden und Verantwortlichen an den Unis - halten dem Druck von Seiten der Wirtschaft zu wenig entgegen. Wir sind es ja, die unsere Studenten marktkonform machen.

Wie meinen Sie das?

Studenten und Uni-Betrieb haben sich dem angepasst, was der Arbeitsmarkt von ihnen fordert. Die Studenten heute sind selbstbewusst, haben Auslandserfahrung und Praktika gesammelt, viele schichten eine Zusatzqualifikation auf die andere, damit sie bei der Bewerbung unverwechselbare Lebensläufe vorlegen können und authentisch rüberkommen. Aber sie wirken fremdgesteuert, wie Authentizitäts-Darsteller. Und die Uni reagiert darauf, indem sie das nächste Career-Center eröffnet.

Sie schreiben, Ihr Ziel als Studentin war ein unbefristeter Redakteursvertrag mit Betriebsrente und 14. Monatsgehalt. Davon können viele Geisteswissenschaftler heute nicht einmal mehr träumen. Macht Existenzangst sie stromlinienförmig?

Das ist natürlich karikierend, schon vor 25 Jahren haben einen Berufsberater vor einem geisteswissenschaftlichen Studium gewarnt. Ich frage mich nur: Woher kommt diese Existenzangst, die ich bei den Studenten bemerke? Ist sie berechtigt? Wir definieren heute auf sehr hohem Level, ab wann ein Leben erfüllt ist: Job, Partnerschaft, Konsumverhalten, Körperfettanteil - alles muss stimmen. Wir sind unglaublich anspruchsvoll. Es ist nicht die Angst, zu verhungern, die Studenten umtreibt, eher das Gefühl, diffusen Perfektionsansprüchen nicht zu genügen. Der Druck ist also da, aber es gibt eben auch die Bereitschaft, sich ihm mit gut gelaunter Resignation zu fügen.

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In Ihrem Buch schreiben Sie, dass viele Studenten der Politikwissenschaft wichtige Kanontexte wie Max Webers "Politik als Beruf" nicht mehr kennen. Könnte eine Konsequenz aus Ihren Beobachtungen nicht auch sein, dass der alte Kanon an Pflichttexten hinterfragt werden muss?

Natürlich, ein Kanon ist nichts für die Ewigkeit. An den Punkt, ihn zu hinterfragen, kommen wir in den meisten Seminaren allerdings gar nicht, denn man müsste die Texte ja erst einmal kennen, um sie abzulehnen. Statt auf zentrale Texte verweisen wir die Studenten lieber auf Lehrbücher, in denen alles in Schnipseln und Infokästen aufbereitet ist. Wir liefern das Futter für das bulimische Lernen, das wir anschließend beklagen.

Eine Wissenslücke empört Sie besonders: Was ist so wichtig daran, die Bundeskanzler in der richtigen Reihenfolge herunterbeten zu können?

Sie ins Gebet einzuschließen, das verlange ich nun nicht. Aber sie zu kennen, auch ohne Hilfe von Google, ist ein Indiz für politisches Interesse. Wenn jemand Politikwissenschaft studiert, dann muss er doch wissen, dass es schon ein politisches Leben vor Gerhard Schröder und Angela Merkel gab.

Was fehlt der jungen Generation? Ist es die Haltung? Oder nur der Gegner?

Über "die junge Generation" zu sprechen, wäre vermessen. Aus meinen Uni-Erfahrungen kann ich sagen: Es fehlt nicht ein Gegner, es fehlt ein Gegenüber. Ein ernstzunehmender Visionär in den Geisteswissenschaften zum Beispiel. Als Avantgarde gelten heute Stars aus dem technischen Bereich wie Julian Assange. Geisteswissenschaftler tragen sich dagegen mit dem Gefühl 'Ich denke, also bin ich nichts wert'.

Ihr Buch ist auch eine Replik auf die hohen Wellen, die Ihr Meinungsartikel in der Zeit 2012 schlug. Darin geht es um eine Generation von wassernuckelnden Politik-Ignoranten. Hilft es, die Studierenden zu provozieren?

Der Artikel war ja nicht pure Provokation, die bringt auch in den Seminarrunden nicht viel. Ich habe etwas beschrieben, über das man normalerweise als Lehrende schweigt: die eigene Ratlosigkeit, die Tatsache, dass man auf das Wichtigste nicht vorbereitet ist, nämlich auf die Studenten. Die Wut, die mir nach der Veröffentlichung vor zwei Jahren in E-Mails von Studenten entgegenschlug, zeigt mir allerdings, dass viele nicht so einverstanden sind, wie sie im Seminar oft aussehen. Ich würde mir aber wünschen, dass man sich wieder ins Gesicht sieht, wenn man einander die Meinung sagt und sich nicht nur bei Facebook oder in den Kommentarspalten der Online-Medien abreagiert. Das könnte man in einem Seminarraum lernen.

Welchen Rat haben Sie an heutige Studenten?

Eigentlich nur einen: Ignorieren Sie all die Ratgeber, die uns umgeben. Machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken!

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