Süddeutsche Zeitung

Kopftücher in Schulen:Verbote helfen nicht

Wer keine Kopftücher im Klassenzimmer will, der muss auch Kreuz, Kippa und andere religiöse Zeichen verbieten. Klug wäre das nicht.

Von Susanne Klein

Alles oder nichts lautet die Antwort, die das von Terre des Femmes beauftragte Gutachten zu einem Kopftuchverbot für Kinder gibt: Entweder verbietet der Gesetzgeber das Tragen jeglicher weltanschaulich und religiös bedeutsamer Kleidung in der Schule - oder er lässt es bleiben. Nur das islamische Kopftuch aus den Schulen zu verbannen, nicht aber zum Beispiel die jüdische Kippa, wäre eine Ungleichbehandlung. Dass man die Kippa in der Öffentlichkeit, erst recht in Schulen, seltener sieht als das Kopftuch, spielt dabei keine Rolle. Es geht ums Prinzip. Das Grundgesetz lässt nach Auffassung des Verfassungsrechtlers Martin Nettesheim, der das Gutachten geschrieben hat, ein Verbot des Kinderkopftuchs zwar durchaus zu. Aber nur, wenn es eben nicht nur für das Kopftuch gilt.

Diese Einschränkung liest sich wie ein Fingerzeig auf die unschöne Seite der Kopftuchdebatte: Der alle paar Monate ausbrechende Streit, ob das Stück Stoff auf dem Kopf von Mädchen untersagt werden soll oder nicht, ist diskriminierend. Denn der Streit zielt nur auf eine einzige Bevölkerungsgruppe, noch dazu eine, der ohnehin Misstrauen entgegenschlägt. Deshalb ist ein Verbot, wie es im Mai in Österreich beschlossen wurde und wie es in Deutschland einigen Unionspolitikern vorschwebt, auch gesellschaftspolitisch keine gute Idee. Ein Gesetz, das lediglich Muslime betrifft, ist ein Akt der Ausgrenzung oder kann zumindest von ihnen so aufgefasst werden. Es signalisiert: Ihr seid hier ungewollt. Der Integration dient das nicht, auch wenn die Verfechter eines Verbots das Wort im Munde führen. Es dient eher jenen Leuten im Land, die beim Thema Islam pauschal rotsehen und von kopftuchtragenden Mädchen ohne Umwege auf radikale Islamisten überleiten.

Alles oder nichts, das heißt, die Gesellschaft muss sich darauf verständigen, in welchem Geist sie ihre Kinder großziehen will. Durch das Verbot, das dann aber auch die Kippa beträfe, den Sikh-Turban, das christliche Kreuz und jede andere äußere Manifestation der Religionszugehörigkeit? Oder durch die Erziehung zur Freiheit, die auf ein solches Verbot verzichtet - dafür aber im Unterricht und auf dem Pausenhof Persönlichkeitsrechte, Gleichberechtigung und soziale Integration in den Vordergrund stellt? Wie ermöglicht man Mädchen, sich von dem rückständigen Rollenbild, das in traditionellen muslimischen Familien oft vorgelebt und eingefordert wird, zu emanzipieren und das Kopftuch gar nicht erst anzulegen oder es später wieder abzulegen?

Eine Lebensweise zu verbieten, weil man sie nicht billigt, könnte die freie Willensbildung behindern. Den Schulen fällt es ohnehin oft schwer, konservative muslimische Eltern für ihre Pädagogik zu gewinnen; der kulturelle Abstand zu den Lehrern ist bisweilen groß. Zueinander zu finden braucht Zeit, kostet Überzeugungsarbeit. Und ja, manchmal braucht es auch sehr klare Ansagen, etwa wenn Lehrer darüber aufklären, dass Schülerinnen ausnahmslos die gleichen Rechte und Pflichten haben wie Schüler. Das ist nicht für alle Eltern immer leicht zu verdauen.

Stellt sich der Staat dazwischen und schlägt den Eltern juristisch die Tür vor der Nase zu, wird das den Dialog kaum fördern. Doch der ist in der Schule nun mal das Wichtigste. Das sollte bei allen guten Argumenten gegen das Kopftuchtragen auch einer Organisation wie Terre des Femmes zu denken geben.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2019/berk
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