Kopftuch an Schulen:"Anderssein kann eine integrative Kraft haben"

Fereshta Ludin spricht bei einer Pressekonferenz zum Thema "20 Jahre Kopftuchstreit".

Fereshta Ludin spricht bei einer Pressekonferenz zum Thema "20 Jahre Kopftuchstreit: Verhindern Verbote die Integration?"

(Foto: dpa)

Vor 20 Jahren durfte Fereshta Ludin nicht Lehrerin sein, weil sie im Unterricht das Kopftuch nicht ablegen wollte. Ein Gespräch über Schule und Religion.

Interview von Matthias Kohlmaier

Trotz mit guten Noten abgeschlossenem Referendariat wurde Lehrerin Fereshta Ludin vor 20 Jahren nicht in den staatlichen Schuldienst des Landes Baden-Württemberg übernommen. Der Grund: Sie wollte ihr Kopftuch während des Unterrichts nicht ablegen. Es folgten juristische Streitigkeiten, den Job durfte sie dennoch nie antreten. Mittlerweile unterrichtet sie an einer staatlich anerkannten islamischen Grundschule in Berlin.

SZ: Frau Ludin, sie haben gerade einen Vortrag in Stuttgart gehalten. Ist Baden-Württemberg noch immer ein wenig Heimat für Sie?

Fereshta Ludin: Einerseits ja, es erinnert mich an eine schöne Zeit in meinem Leben. Andererseits aber hat das alles natürlich einen schalen Nachgeschmack bekommen, weil die Debatte um das Kopftuch hier begonnen hat. Insbesondere in Stuttgart überwiegen die negativen Gefühle, weil hier im Landtag einige Entscheidungen gefallen sind, die mich sehr in meinen Menschenrechten verletzt haben.

War für Sie immer klar, dass Sie Lehrerin werden möchten?

Es gab einige Optionen nach dem Abitur: Ich habe darüber nachgedacht, Ärztin zu werden, was mich auch sehr interessiert hätte oder Islamwissenschaften zu studieren. Da habe ich mich schließlich aber entschieden, dass ich mich mit dem Islam auch privat beschäftigen kann. Mit Kindern und Jugendlichen hatte ich immer gern gearbeitet, daher lag der Lehrberuf auf der Hand.

Ihre Mutter war auch Lehrerin.

Sie war mein großes Vorbild, obwohl sie selbst mich oft vor diesem anstrengenden Beruf gewarnt hat. Sie hat aber auch gesagt: "Mach das, was du gerne machen möchtest." Und ich habe, trotz vieler durch die juristischen Streitigkeiten schwieriger Momente, nie bereut, dass ich Lehrerin geworden bin. Für mich ist das noch immer der erfüllendste Job, den ich mir vorstellen kann. Manchmal stelle ich mir aber die Frage, was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich an einer staatlichen Schule hätte arbeiten dürfen.

Sie hätten vermutlich mehr Möglichkeiten gehabt, Dinge zu verändern.

Das glaube ich auch, und der Gedanke macht mich traurig. Im Endeffekt hat eine strukturelle staatliche Diskriminierung stattgefunden und der Weg war für mich versperrt. Fachlich hätte ich eine Menge mitgebracht, ich habe mein Referendariat in Baden-Württemberg mit sehr guten Noten abgeschlossen. Dann kam leider die Nachricht, dass ich mit Kopftuch nicht in den Staatsdienst übernommen werde.

War während Ihres Studiums schon absehbar, dass Sie danach aufgrund Ihres Glaubens berufliche Probleme bekommen könnten?

Vereinzelt, ja. Während eines Schulpraktikums bin ich einmal sehr stark diskriminiert worden. Meine Mentorin hat etwa gesagt, das sei hier keine Türkenschule und das Kopftuch akzeptiere man nicht - in der Türkei würde es ja auch nicht getragen. Das war 1998 zwar in der Türkei weitgehend verbreitet, hatte aber natürlich überhaupt nichts mit mir als Deutscher und meinem Leben in Deutschland zu tun. Ich habe das einfach nur als ungerecht erlebt und hatte auch das Gefühl, nicht die gleichen Chancen wie alle anderen in dem Beruf zu haben. Trotzdem: Die allermeisten Erfahrungen mit Kollegen, Schulleitungen, Eltern und Schülern während des Studiums und später auch während des Referendariats waren sehr positiv.

Sie waren überzeugt, dass Sie auch langfristig mit Kopftuch in Baden-Württemberg würden unterrichten dürfen?

Ja, das war ich. Ich wusste natürlich, dass es mal schwierige Situationen geben könnte, dachte aber, dass man die im persönlichen Gespräch lösen kann.

"Ich wollte für diesen Traum kämpfen"

Was haben Sie empfunden, als die endgültige Absage vom Land Baden-Württemberg kam?

Das war sehr schmerzhaft. Ich hatte ja viel auf mich genommen, um es überhaupt so weit zu schaffen. Ich war erst mit 14 nach Deutschland gekommen, musste erst einmal die Sprache lernen. Nur um dann nach geschafftem Abitur, Studium und Referendariat zu sehen, dass man mich hier doch nicht haben wollte, so wie ich war. Obwohl mir auch mein Schulleiter eine hervorragende Bewertung gegeben hatte. In dem Moment hat es mir ein wenig den Boden unter den Füßen weggezogen. Meine gesamte Qualifikation wurde stigmatisierend im Hinblick auf das Tragen des Kopftuchs reduziert. Dies wird leider in Bezug auf Kopftuch tragende Muslimas innerhalb unserer Gesellschaft zu oft praktiziert.

War für Sie sofort klar, dass Sie sich juristisch gegen die Ablehnung in Baden-Württemberg wehren wollten?

Ja. Mir hat der Job große Freude gemacht und ich wollte für diesen Traum kämpfen. Dass sich das alles ausgerechnet am Kopftuch festgemacht hat, empfand ich damals schon als Stellvertreterdebatte. Menschen, die das ablehnten und heute noch ablehnen, treibt meiner Meinung nach die Furcht vor allem Fremdartigen. Und aufgrund von oftmals sehr rassistischen Vorurteilen wollte ich mir meine Arbeit nicht verbieten lassen.

In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, dass Ihnen ein Behördenmitarbeiter gesagt habe, sie könnten den Job sofort haben, wenn Sie das Kopftuch ablegen würden. Haben Sie darüber je ernsthaft nachgedacht?

Nein. Als ich vor Gericht gegangen bin, war ich in meiner Haltung bereits sehr gefestigt, die Art mich zu kleiden als Teil meiner Identität zu verstehen. Das hat nichts mit einer Protesthaltung zu tun. Für mich hat das Kopftuch heute mehr denn je eine spirituelle Dimension. Ich nehme dadurch meine Äußerlichkeit bewusst zurück und das tut mir persönlich gut. Trotzdem würde ich keiner Frau vorschreiben wollen, dass sie ein Kopftuch zu tragen hat. Die Art, wie man sich kleidet, ist eine sehr private Entscheidung, die jede für sich selbst treffen können und dürfen sollte.

Jeder sollte glauben dürfen und das auch so ausleben können, wie er möchte?

Solange es mit den Regeln unseres Rechtsstaates konform geht und solange ich in der Schule oder sonstwo niemanden missioniere oder meinen Glauben als den einzig wahren und richtigen darstelle, absolut.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2015 ein pauschales Kopftuchverbot an Schulen ausgeschlossen. Wenn dadurch allerdings der Schulfrieden gestört würde, darf es doch wieder an der jeweiligen Schule verboten werden. Was halten Sie von der Regelung?

Ich finde es sehr traurig und immer wieder schockierend, dass der Schulfrieden vielerorts offenbar so sehr davon abhängt, ob dort eine Muslima mit Kopftuch unterrichtet. Das impliziert für mich weiterhin, dass das Kopftuch ein potenzielles Problem darstellt, gegen das man sich bei Bedarf wehren können muss. Das sendet an Muslime und - aus meiner Sicht - im Endeffekt an Menschen, die in irgendeiner Form anders aussehen, ein fatales Signal. Statt weiterhin darüber zu diskutieren, denke ich, dass wir uns über Konzepte Gedanken machen sollten, mit denen Vielfalt an Schulen sichtbar gemacht werden kann; mit denen Lehrkräfte unterstützt werden können beim Umgang mit multinationalen und -religiösen Klassen.

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt hat kürzlich im SZ-Interview gesagt: "Eine Lehrerin sollte mit Kopftuch unterrichten dürfen." Politik und Justiz scheinen grundsätzlich soweit zu sein, Dinge nachhaltig zu verändern. Ist es die Gesellschaft womöglich nicht?

Solche Entwicklungen brauchen ganz offensichtlich ihre Zeit, das habe ich in den vergangenen 20 Jahren gelernt. Ich hoffe einfach, dass die gesellschaftliche Solidarität mit Menschen jeglicher Religionszugehörigkeit und Weltanschauungen weiter zunimmt, dass nicht mehr versucht wird, Religion aus dem alltäglichen Leben hinauszudrängen. Dadurch geht meiner Meinung nach gerade den Schulen viel Potenzial verloren.

Wie meinen Sie das?

Wenn eine Muslima mit Kopftuch unterrichten darf, zeigt das doch allen Schülerinnen und Schülern, dass wir in einer Gesellschaft der Vielfalt leben. Eine Gesellschaft, in der jeder zum Beispiel Lehrer werden kann, egal wie er aussieht oder woran er glaubt. Jede Form von Anderssein kann eine integrative Kraft haben, junge Menschen in der Schule gehen damit meist sehr natürlich und unbefangen um. In Deutschland gibt es so viele verschiedene Lebensmodelle. Die sollten alle an den Schulen vertreten und gleichberechtigt sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: