Kopftuch-Debatte in Frankreich:Erst lernen, dann beten

Existiert ein "Bekehrungseifer" an Frankreichs Hochschulen? Der Integrationsrat des Landes beklagt den steigenden Einfluss von Gläubigen an Universitäten. Eigentlich geht es um unterschiedlichste religiöse Gruppen, doch sofort schrumpft die Debatte auf das Kopftuchtragen zusammen.

Von Nadia Pantel

Frankreich streitet wieder um sein politischstes Kleidungsstück: Soll das Kopftuchverbot auf die Universitäten ausgeweitet werden? Seit 2004 dürfen französische Schüler nicht mehr mit bedecktem Haar am Unterricht teilnehmen. Nun empfiehlt der Integrationsrat (Haut conseil à l'intégration), ein ähnliches Gesetz auch für die Hochschulen einzuführen.

Am Montag veröffentlichte die Zeitung Le Monde einen Bericht, in dem der Integrationsrat den zunehmenden Einfluss religiöser Gruppen an den Universitäten beklagt. Von Bekehrungseifer ist dort die Rede, von Studenten, die sich weigern, an gemischtgeschlechtlichen Kursen teilzunehmen, und davon, dass immer mehr Studenten Ausnahmeregelungen und Unterrichtsbefreiung fordern, um ihre Religion ausüben zu können. Dabei geht es um muslimische Gruppen genauso wie um christliche Kreationisten und Neobaptisten, die die Theorien Darwins ablehnen und die sich gegen die Lektüre des eigentlich unantastbaren Kanons von Voltaire bis Camus einsetzen.

Doch innerhalb nur eines Tages ist die Debatte zu einer weiteren Auflage des Kopftuchstreits zusammengeschrumpft. Von einer "erneuten Stigmatisierung des Islam" spricht Dalil Boubakeur, der Präsident des islamischen Dachverbands in Frankreich, und Le Monde wertete das Papier als "polemischen Vorschlag". Um Deeskalation bemüht, betonte Jean-Louis Bianco, der Vorsitzende des "Observatoire de la laïcité", dass es keine konkreten Pläne für eine Erweiterung des Kopftuchverbotes gebe.

Das "Observatoire de la laïcité" nahm im April dieses Jahres auf Initiative von Präsident Francois Hollande als staatliche Beobachtungsstelle für die Einhaltung der Trennung von Staat und Religion seine Arbeit auf. Seit 1905 ist in Frankreich gesetzlich festgelegt, dass Religion Privatsache zu sein hat. Heute gebe es im Land "keine Probleme" in Sachen Laizismus, hatte Bianco im Juni in einem Bericht an Hollande mitgeteilt.

Ende der 1990er-Jahre hatte die Universität Lille II das Kopftuch auf ihrem Campus verbieten wollen. Dies wurde durch das oberste französische Verwaltungsgericht verhindert. Weitere Vorstöße sind derzeit nicht zu erwarten. Die Hochschulen hätten kein Interesse an einem Verbot des Kopftuches, sagte Jean-Loup Salzmann, der Präsident der Konferenz der französischen Hochschulprofessoren, am Montag der Agentur AFP.

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