Konzerne finanzieren Privatschulen:Wie Unternehmen Schule machen

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Viele Konzerne engagieren sich in der Bildung, das ist nicht neu - hauptsächlich, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Dass Unternehmen aber selbst Schulen gründen, ist eine eher seltene Erscheinung in Deutschland - doch der Markt wächst.

Leonard Goebel

Bettina Würth redet nicht gerne über ihre Schulzeit. Sie begann Ende der Sechzigerjahre, eine schwierige Phase. "Was mich gestört hat, war die Ohnmacht gegenüber den Lehrern", sagt Würth. Ihre Kinder wuchsen in einer anderen Zeit auf. Und trotzdem war Würth nicht zufrieden mit dem, was das staatliche Schulsystem bot. Das geht vielen Eltern so.

Selbständiges Lernen in einem Gruppenarbeitsraum: Rund 620 Schüler besuchen derzeit die private Schule, die von der Würth-Stiftung des Schraubenhändlers Reinhold Würth getragen wird. (Foto: picture alliance / dpa)

Aber nur wenige haben einen Konzern wie die milliardenschwere Würth-Gruppe im Rücken, nach eigenen Angaben Marktführer für Montagetechnik. 2006 gründete Bettina Würth, Tochter des schwäbischen "Schraubenkönigs" Reinhold Würth, kurzerhand eine Schule am Firmensitz Künzelsau, die sie nach ihrer verstorbenen Tochter Anne-Sophie benannte. Und erst neulich weihte sie eine zweite in Berlin ein. Getragen werden beide von der Stiftung Würth, deren Vermögen aus dem Unternehmen stammt. Zehn Millionen Euro zahlt Würth jedes Jahr allein für die laufenden Kosten.

Viele Konzerne engagieren sich in der Bildung, das ist nicht neu: Der Fachkräftemangel bringt sie dazu, den Kampf um potenzielle Angestellte nicht erst bei den Absolventen zu beginnen. Zudem bringen gemeinnützige Stiftungen Steuervorteile. Und nicht zuletzt machen sich solche Initiativen gut im Geschäftsbericht, im Abschnitt, der sich mit "Corporate Social Responsibility" befasst - der sozialen Verantwortung. Dass Unternehmen aber selbst Schulen gründen, ist eine noch seltene Erscheinung: Volkswagen schenkte der Stadt Wolfsburg vor drei Jahren die Neue Schule Wolfsburg, die Verlagsgruppe Klett ist Träger mehrerer Schulen und Krippen, darunter die Swiss International School in Stuttgart. In den neuen Bundesländern betreibt der TÜV Rheinland einige Schulen.

Auch im Geschäftsbericht von Würth werden die Schulen als gesellschaftliches Engagement aufgelistet, zusammen etwa mit der Kunstsammlung von Mäzen Reinhold Würth. Doch darüber machte sich Bettina Würth zunächst überhaupt keine Gedanken, wie sie sagt. Das Schmerzensgeld, das sie nach dem Unfalltod ihrer ältesten Tochter erhielt, gab den finanziellen Anstoß. In ihren Schulen solle kein Kind übersehen werden, sagt sie. "Vor allem auf Kinder, die am Durchschnitt vorbeigehen, muss man individuell eingehen."

Um diesen Anspruch zu verwirklichen, arbeitete Würth mit dem Reformpädagogen Peter Fratton zusammen: Autonomes Lernen heißt das Prinzip, dem die Freie Schule Anne-Sophie folgt. Und das lässt man sich auch einiges kosten, wie ein Besuch am Standort im Berliner Stadtteil Zehlendorf zeigt. Hier heißen die Lehrer Lernbegleiter. Ihre Lernpartner, also Schüler, unterrichten sie in "Input-Phasen", danach ist selbständiges Lernen in "Ateliers" angesagt, in dem jeder Lernpartner der Sekundarstufe einen eigenen Arbeitsplatz samt iPad hat.

Auf 111 Schüler kommen 15 Lernbegleiter, die teils englische Muttersprachler sind und die Kinder bilingual unterrichten. Es gibt ein Labor und einen "Cyber-Classroom" - das ist ein 3-D-Fernsehsystem, durch den Naturwissenschaften anschaulicher werden sollen. Alleine in die Inneneinrichtung der Berliner Schule investierte Würth mehr als 1,5 Millionen Euro. "Wir realisieren hier das, was die staatlichen Schulen nicht bieten können."

Dazu müssen auch die Eltern beitragen. Zwar gibt es an der Anne-Sophie-Schule Stipendien für Kinder von Eltern ohne Einkommen. Bei einem jährlichen Familieneinkommen von 10.000 Euro, also nicht viel, werden allerdings bereits 100 Euro pro Monat fällig, hinzu kommt eine Anmeldegebühr von 750 Euro. Verdienen die Eltern mehr als 180.000 Euro, zahlen sie knapp 1000 Euro monatlich.

Trotz Gebühren halten immer mehr Eltern Privatschulen für die bessere Alternative zum staatlichen System. In den vergangenen 20 Jahren ist ihre Anzahl um mehr als 60 Prozent gestiegen. Inzwischen besucht etwa jedes zwölfte Kind eine allgemeinbildende Schule in freier Trägerschaft. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Schultypen: Von den konfessionellen Schulen, die immer noch die Mehrheit der Privatschulen stellen, über Waldorf- und Montessorischulen bis hin zu Elite-Internaten.

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Dass nun auch noch Konzerne in den Bildungswettbewerb einsteigen, besorgt Kritiker von Privatschulen. Sie befürchten, dass die Wirtschaft Einfluss auf die Schüler nimmt oder ihnen gar die Firmenphilosophie ungefiltert eintrichtert. Zumindest ihre Schule betreffend hält Bettina Würth diesen Vorwurf für abwegig. Die Schule sei "bestimmt keine Kaderschmiede für das Unternehmen", nur auf freiwilliger Basis gebe es gelegentlich Projekte, bei denen es zu einem Austausch komme. Zum Beispiel, wenn Würth-Leute den Schülern das Prinzip von Zinsen erklären. "Es sollte keine Rolle spielen, wer hinter der Institution steckt, auf die die Kinder ein paar Jahre lang gehen", meint Würth. "Wichtig ist, dass sie gesunde, selbstbewusste und kompetente Persönlichkeiten werden."

Ein Ziel, das auch staatliche Schulen für sich reklamieren würden. Nur sind dort die Mittel dafür begrenzter: Seit Jahren investiert Deutschland gemessen an der Wirtschaftskraft deutlich weniger als viele andere OECD-Länder in Bildung. Gleichzeitig wird an vielen Stellen privates Engagement gelobt, unter anderem im aktuellen Entwurf zum Armuts- und Reichtumsbericht, in dem von "Handlungsempfehlungen zur nachhaltigen Förderung des strategischen bürgerschaftlichen Engagements von Unternehmen" die Rede ist.

Der Elite- Forscher Michael Hartmann von der Technischen Universität Darmstadt sieht in solchen Statements eine Verzerrung der Realität. Zwar will er Bettina Würth und anderen Stiftern die gute Absicht nicht absprechen. Aber: "Das Problem ist, dass dadurch der Eindruck entsteht, es werde etwas Nennenswertes getan. Dabei ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Professor Hartmann. Denn der medienwirksame Einsatz von Unternehmen und ihren Stiftungen im Bildungssystem ändere nichts am Schulalltag der breiten Masse.

Zudem könnten die freigebigen Konzerne die bildungspolitische Debatte entschärfen - und dadurch notwendige Reformen bremsen, glaubt Hartmann. Heißt: Wenn die besonders an Bildung interessierte Schicht zunehmend auf Privatschulen abwandert, in wessen Trägerschaft auch immer, entweicht der Druck auf die Politik. Dabei müssten einige Schrauben am Bildungssystem wohl dringend nachgezogen werden, nicht nur in Berlin-Zehlendorf oder Künzelsau.

© SZ vom 22.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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