Konflikte in Uni-Städten:Stolz und Vorurteil in Passau

Studenten? Nächtliche Ruhestörer! Passauer? Ignorante Hinterwäldler! Wie in vielen kleinen Uni-Städten brodelte es in Passau zwischen Einheimischen und Studenten. Bis das Wasser kam.

Von Dorothea Wagner

Die Gegner der Studenten sitzen auf dunkelbraunen Stühlen. Ihr Fürsprecher steht. "Wenn es in Passau die Studenten nicht geben würde, könnte die Stadt dicht machen, die Bürgersteige hochklappen", sagt der Clubbetreiber. Die Altstadtbewohner grummeln, ein paar nippen an ihrem Getränk. Im Passauer Ratskeller geht es an diesem Abend um das Thema Sperrstunde. Wieder einmal. Nächtliche Ruhestörung, die Belastung der Anwohner und die Verursacher.

"Die Schlimmen sind die Studenten", sagt eine Passauerin. "Vor allem, wenn sie unter dem Schlafzimmerfenster stehenbleiben und eineinhalb Stunden lang über ihr Liebesleben diskutieren."

Der Diskussionsabend - einer von vielen - fand so vor zwei Jahren statt. Jahrelang hat das Thema Sperrstunde das Verhältnis zwischen Einheimischen und Studenten in Passau geprägt. Die Debatte, sie war Kumulationspunkt der gegenseitigen Vorurteile.

Die Feindbilder waren klar definiert: die Lauten, das sind die Studenten. Wer treibt die Mietpreise nach oben? Klar, die vielen Studenten. Die für drei, vier Jahre kommen, sich hier eine gute Zeit machen und dann sowieso wieder wegziehen. Und wie arrogant die sind! So die Meinung manches Passauers.

Und die Studenten? Warfen den Passauern vor, das ohnehin eingeschränkte Nachtleben mit der Sperrstunde zerstören zu wollen. Hinterwäldlerisch!

Ähnliche Probleme in vielen Uni-Städten

Konflikte zwischen Studenten und Einheimischen gibt es in vielen Uni-Städten, vor allem in den kleinen. Meistens geht es um nächtlichen Lärm. Die Einführung einer Sperrstunde. Die steigenden Mietpreise. Oder, etwas alltäglicher, um Parkplatznot, das Radeln in der Fußgängerzone und das laute Vorglühen in der Wohnung. So banal einzelne Streitpunkte klingen mögen: Im Kern geht es um den Konflikt zwischen unterschiedlichen Lebensstilen, den Vorstellungen davon, wie man sein Leben führen sollte. Und welcher Lebensstil die Hausgemeinschaft, das Viertel und die Stadt als Ganzes prägt.

"Wir beobachten diese Muster überall", sagt Frank Eckardt, Professor für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar. "Die eine Gruppe hat das Gefühl, sie sei zuerst da gewesen und habe deswegen ein natürliches Recht darauf, zu bestimmen, was in ihrer Stadt passiert."

Als das Wasser kam, wuchs der Respekt

Hochwasser in Passau

Mehr als 2000 Helfer schaufelten im Sommer 2013 Schlamm - ein Großteil von ihnen waren: Studenten.

(Foto: dpa)

Dazu kommen handfeste Interessenskonflikte wie die Sperrstunde, die gegenseitige Vorurteile befeuern. Dagegen helfen auch keine Diskussionsrunden, meint Eckardt: "Zwar bauen sich Vorurteile durch persönlichen Kontakt ab - aber nicht, wenn es dabei nur wieder um konkurrierende Wertvorstellungen geht." Das Einzige, das seiner Meinung nach wirkt: Situationen, in denen beide Seiten merken, dass sie mit ihren Einschätzungen falsch lagen. In Passau kam diese Erkenntnis mit einem dramatischen Ereignis.

Im Sommer 2013 versank die Stadt im Wasser von Donau, Inn und Ilz. Das Flusswasser reichte in manchen Teilen der Altstadt bis in den ersten Stock, flutete Hunderte Wohnungen und Keller. Als es nach einigen Tagen wieder sank, blieb eine dicke Kruste aus Schlamm und Schmutz zurück. Mehr als 2000 freiwillige Helfer zogen sich Gummistiefel an, kratzten den Dreck mit Schaufeln weg und schleppten Eimer voller Flussschlamm. Ein Großteil von ihnen waren: Studenten.

Karoline Oberländer war ganz vorne dabei. Die 24-Jährige organisierte mit drei anderen Studierenden die Aktion "Passau räumt auf". Auf ihrer Facebook-Seite versuchte die Gruppe, die große Hilfsbereitschaft zu kanalisieren - indem sie live postete, wo wann Helfer und Sachspenden benötigt wurden.

"Beweis, dass wir die Stadt lieben"

"Ich glaube, die Passauer haben immer gedacht, dass uns die Stadt nichts bedeutet", sagt Karoline Oberländer rückblickend." Aber als sie dann sahen, wie die Studenten mithalfen, war das für sie der Beweis, dass wir die Stadt lieben."

Und die Passauer gaben etwas zurück: Sie verteilten zur Stärkung belegte Brötchen, Pizza und Kuchen an die studentischen Helfer, schrieben Dankesbekundungen auf Bettlaken und Tücher, die sie aus den Fenstern hängten.

Auf den Punkt brachte es ein Leserbrief in der Passauer Neuen Presse, der in den sozialen Netzwerken tausendfach geliked wurde. Die Autorin entschuldigte sich darin bei den Studenten für ihre früheren Vorurteile: "Auch ich bin sehr schnell mit Kritik zu Stelle, wenn's drum geht, Nachtruhe zu verteidigen, ich weiß immer was dazu zu sagen, wenn's um die wild radelnden, kaum Verkehrszeichen beachtenden Studenten geht. Jetzt sind für mich neue Eigenschaften hinzugekommen: Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit, Optimismus und freundschaftliches Verhalten in der Not. Dafür meinen herzlichen Dank an alle, und meine Bitte an alle, unsere Studenten ein bisschen anders zu bewerten."

Mehr als ein Jahr ist das nun her - und es gibt sie wieder, studentenfeindliche Online-Kommentare unter Berichten über laute Studentenpartys. Genauso gibt es dort allerdings Kommentatoren, die Studenten verteidigen. Auch Karoline Oberländer ist klar, dass die Stimmung wieder kippen kann. Deswegen hofft sie, dass die gemeinsame Erfahrung nach dem Hochwasser noch lange in den Köpfen bleibt: "Wenn nicht, müssen wir diesen Leserbrief ausdrucken und überall in der Stadt verteilen."

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