Klassenkampf - der Schulratgeber:Was bei Mobbing zu tun ist

Klassenkampf - der Schulratgeber: Die Schulpsychologin empfiehlt vier Schritte bei Mobbing in der Klasse.

Die Schulpsychologin empfiehlt vier Schritte bei Mobbing in der Klasse.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Der Sohn wird wegen einer leichten Behinderung in der Schule ausgegrenzt. Eine Schulpsychologin erklärt, wie Lehrer, Eltern und Schüler reagieren können.

Von Matthias Kohlmaier

Die Leserfrage

Mein Sohn besucht ein Gymnasium und wird wegen seiner angeborenen Schwerhörigkeit von der Klasse massiv ausgegrenzt. Alle Aufklärungsmaßnahmen bezüglich der Behinderung haben die Situation nicht verbessern können. Die Lehrer haben durch einen mehrfach geänderten Sitzplan zwar versucht, meinem Sohn soziale Bindungen "zu vermitteln", leider aber mit wenig Erfolg.

Was können wir tun, damit sich mein Sohn in der Schule wohler und besser angenommen fühlt? Oder ist ein Schulwechsel für alle die beste Lösung?

Die Antwort

Mobbingfälle, vor allem aber gute Lösungswege, sind sehr individuell und von vielen Faktoren abhängig. Wenn ein Kind in der Schule ausgegrenzt wird, gibt es dennoch drei betroffene Gruppen, die etwas zum Besseren verändern können: Lehrer und Klassenkameraden, der Schüler sowie dessen Eltern. Die erfahrene Schulpsychologin Michaela Huber, tätig am Münchner Oskar-von-Miller-Gymnasium, erklärt, wie sich das Klassenklima verbessern lässt.

Was Lehrer tun können

"Die einzigen, die bei Mobbing nicht nur etwas tun können, sondern auch tun müssen, sind die Lehrer", sagt Huber. Sie rät, immer im Zusammenspiel mit dem gemobbten Kind und/oder dessen Eltern, zu den folgenden vier Schritten:

1. Ansprechpartner suchen: An Gymnasien gilt das Fachlehrerprinzip, eine Klasse wird von etwa zwölf verschiedenen Lehrkräften unterrichtet. Ansprechpartner für das ausgegrenzte Kind und dessen Eltern sollte ein Lehrer sein, der einen guten Draht zur Klasse hat und beliebt ist, aber dessen Autorität trotzdem geachtet wird. Das kann, muss aber nicht zwingend der Klassenleiter sein. Sollte sich keine Lehrkraft die Aufgabe zutrauen, können Sie den Schulpsychologen einbeziehen.

Hat der Schüler ein Problem, geht er immer zuerst zu diesem Lehrer und spricht mit ihm darüber. So geht keine Information verloren und alle Beteiligten wissen, an wen sie sich wenden können.

2. Ansprechpartner informiert andere Fachlehrer: Aufgabe dieses Lehrers ist es auch, sämtliche Fachlehrer der Klasse auf den Mobbingfall hinzuweisen und bei neuen Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. "Mobbingprobleme treten speziell in Stunden von Lehrern auf, die die Klasse ohnehin nicht gut im Griff haben", sagt Michaela Huber. Lehrer, die großen Respekt in der Klasse genießen, bekämen manchmal gar nicht mit, dass ein einzelner Schüler während des restlichen Schultages ausgegrenzt wird.

Sobald alle Lehrkräfte wissen, wo das Problem liegt, müssen sie sich konsequent darum kümmern, dürfen dabei aber niemals als alleiniger Anwalt des gemobbten Kindes auftreten. Ihre Aufgabe ist es vielmehr sicherzustellen, dass niemand während des Unterrichts veralbert oder angefeindet wird. Stellt zum Beispiel der gemobbte Schüler eine Frage und ein Sitznachbar reagiert mit einem verächtlichen Schnauben, darf der Lehrer nicht sagen: "Lass XY doch endlich mal in Frieden." Besser wäre es, ganz allgemein zu sagen: "In meinem Unterricht wird niemand angegangen, nur weil er eine Frage hat."

So können Eltern helfen

3. Ansprechpartner veranstaltet runden Tisch: Um nachhaltig etwas zu verändern, sollte sich der verantwortliche Lehrer im nächsten Schritt mit den einflussreichsten Schülern der Klasse zusammensetzen - und zwar den positiv und negativ Einflussreichen. "Das kann der Coole sein, dessen Wort Gewicht in der Klasse hat, genauso die Hübsche, in die alle Jungs verknallt sind, und eben auch derjenige, der gelegentlich einen fiesen Kommentar gegen andere Schüler fallen lässt, um sich zu profilieren", so Huber. Der Lehrer solle dann erklären, dass es derzeit keine gute Klassengemeinschaft gibt und es an den ausgewählten Schülern liege, etwas zu ändern.

Danach einigt sich der Lehrer mit jedem ausgewähltenSchülern, was derjenige künftig ändern kann, um ein besseres Klassenklima zu schaffen. "Wenn der coole Junge, auf den alle in der Klasse hören, bei Mobbing einschreitet, dann bringt das zehnmal mehr, als wenn ein Lehrer etwas sagt", so die Schulpsycholgin. In dem Gespräch spricht der Lehrer übrigens nicht von selbst an, dass er wegen eines speziellen Mobbingfalles da ist. Es sei denn, die Schüler fragen von sich aus danach. "Dann hat leugnen keinen Sinn", sagt Huber, "die Schüler sollen nicht das Gefühl haben, dass der Lehrer mit verdeckten Karten spielt."

4. Änderungen im Klassenzimmer: Nachdem der Ansprechpartner alle Fachlehrer darüber informiert hat, welche Änderungen er mit den einflussreichen Schülern beschlossen hat, achten alle zusammen darauf, dass den Worten auch Taten folgen. Offenbar hat in diesem Fall die Änderung des Sitzplanes keine Besserung gebracht. Laut Michaela Huber liegt das daran, dass sich ein Mobbingfall nicht mit Zwang lösen lässt. Alle Beteiligten müssen freiwillig daran mitwirken, dass sich etwas ändert.

Was Eltern tun können

"Eltern machen in einer solchen Situation einen ganz großen Fehler: Sie gehen viel zu stark in die Symbiose mit ihrem Kind", sagt die Schulpsychologin. Wenn Eltern nur mit dem Kind litten, könnten sie ihm kaum noch helfen. Aufgabe der Erziehungsberechtigen wäre es vielmehr, mit ihrem gemobbten Kind konstruktiv und ohne zu viel Emotion zu besprechen, was passiert ist und was nun passieren soll.

Versuchen Eltern ihr leidendes Kind zu intensiv zu beschützen, macht es das nur noch schwächer. "Es klingt zwar etwas schnoddrig, aber es gibt keinen Grund, nicht auch mal zum eigenen Kind zu sagen: 'Auch wenn du gemobbt wirst, kannst du ruhig mal die Spülmaschine ausräumen'", sagt Huber. Hilfreich sei es außerdem, das Kind mit seinen Stärken und in der Vergangenheit bewältigten Problemen zu konfrontieren. "Du schreibst so tolle Aufsätze, kannst sehr gut mit Sprache umgehen: Wie könnte dir das in deiner Situation helfen?", wäre eine Möglichkeit, das Selbstbewusstsein des Kindes zu stärken und in einen lösungsorientierten Dialog zu kommen.

Was das Kind tun kann

Auch betroffene Schüler sollten sich bis zu einem gewissen Punkt hinterfragen - aber nicht allein im stillen Kämmerlein. Schulpsychologin Michaela Huber rät in solchen Fällen zu einem Coaching. "Gerade wenn auch noch eine leichte Behinderung dazukommt, haben solche Kinder ein sehr geringes Selbtswertgefühl, die Wahrnehmung verändert sich." Im konkreten Fall könnte das heißen: Ihr Sohn hört nicht so gut. Wenn er zwei Klassenkameraden in der Nähe tuscheln sieht, aber das Gesagte nicht versteht, denkt er, es ginge mal wieder um ihn. Obwohl das womöglich gar nicht der Fall ist.

Für ausgegrenzte Schüler und deren Eltern ist der Schulpsychologe immer ein wichtiger Ansprechpartner - laut Michaela Huber sollte er das Coaching dennoch eher nicht übernehmen. Betroffene Jugendliche seien bei einer externen Person meist weniger verunsichert, als wenn sie in der Schule, wo die Probleme begonnen haben, auch noch psychologisch betreut werden sollen. Für eine Beratung sollten Sie sich daher zum Beispiel an einen Kinder-/Jugendpsychologen in Ihrer Nähe wenden.

Schulwechsel: Ja oder nein?

Ein Schulwechsel löse so gut wie nie das Problem, meint Michaela Huber. Ist der betroffene Schüler in so einem Fall derjenige, der gehen muss, ist das für das sowieso geringe Selbstbewusstsein nicht sehr förderlich. "Das Kind geht dann schon mit einer Riesenangst in die neue Schule und hofft nur, dass alles gut geht. Diese Haltung birgt die Gefahr, dass es auch dort Probleme mit der Integration in die Klasse gibt."

Besser sei es, in der Klasse, aber auch extern an den Problemen zu arbeiten. Fühlt sich das Kind nach einem Coaching besser, wünscht sich einen Neuanfang, die Situation in der Klasse ist aber so verfahren, dass der dort nicht möglich ist: Dann kann man immer noch über einen Ortswechsel nachdenken.

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