Süddeutsche Zeitung

Klassenkampf - der Schulratgeber:Warum sich Lehrer mit Kritik so schwer tun

Nur wenige Lehrer fragen ihre Schüler, was sie vom Unterricht halten. Warum eigentlich?

Von Matthias Kohlmaier

Die Leserfrage

Ich arbeite in einem großen Unternehmen und kenne es als selbstverständlich, dass ich zu meiner Arbeit ein Feedback von Vorgesetzten und Kunden bekomme. Dazu finden auch regelmäßige Feedback-Gespräche statt. Ohne diese würde ich auf der Stelle treten und könnte meine Arbeit nicht verbessern.

Ich habe mich informiert und weiß, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) dazu für Schulen einen Fragebogen entwickeln ließ und dass es inzwischen auch speziell für diesen Zweck Systeme wie www.feedbackschule.de gibt. An der Schule meiner Tochter, sie besucht die achte Klasse eines bayerischen Gymnasiums, werden solche oder ähnliche Instrumente aber von keinem einzigen Lehrer genutzt.

Daher würde ich gerne wissen: An wie vielen (und welchen) Schulen ist Feedback ein Teil des Schulprofils? Warum ist Feedback bei Lehrern so unbeliebt? Können Lehrer zum Einholen von Feedback verpflichtet werden, wenn es Probleme gibt?

Die Antwort

Eine der Kernaufgaben der Lehrer ist: Erklären und dabei verstanden werden. Das haben sie studiert, in Pflichtpraktika und im Referendariat sowie in oft vielen Jahren Berufserfahrung geübt. Warum also sollten diese Lehrprofis ausgerechnet ihre Schüler fragen, was sie besser machen können?

Das ist freilich etwas überspitzt formuliert, aber in vielen Fällen verzichten Lehrer gewiss aus einem gewissen Selbstverständnis heraus auf die Möglichkeit der Evaluation durch die Klasse. Dazu gezwungen werden sie von ihrem Dienstherrn nicht. Seitens des bayerischen Kultusministeriums besteht für die Lehrer an allgemeinbildenden Schulen keinerlei Zwang, Feedback ihrer Schüler zum Unterricht einzuholen. Ein Sprecher erklärt zwar, Schülerfeedback stelle ein "wichtiges Instrument sowohl für die einzelne Lehrkraft wie für die Schule als Ganzes dar". Mit Verweis auf die "Eigenverantwortlichkeit der Schulen" will das Ministerium sein Lehrpersonal aber nicht dazu verpflichten.

In Sachen Schülerfeedback heißt das: Vieles kann, nichts muss. Wie viele Schulen und Lehrer diese Möglichkeit des Austausches mit ihren Schülern nutzen, lässt sich daher nicht sagen. Klar scheint, dass es in Sachen Einholung von Feedback ein Altersgefälle gibt. "Junge Lehrer sind bereit, sich einzugestehen: Das kam scheinbar bei den Schülern nicht an, das mache ich beim nächsten Mal anders", sagt ein Lehrer an einem bayerischen Gymnasium, der seinen Namen hier nicht lesen möchte. Ältere Pädagogen dagegen hätten oft über Jahre ihren Stil gefunden und wollten davon nicht mehr abrücken. Grundsätzlich gäbe es an seiner Schule aber auch einige "ältere Kollegen, die Schülerfeedback gezielt einholen, um sich zu verbessern".

Die zweite Dimension der Altersfrage: Evaluationen sind an den Universitäten omnipräsent, in kaum einem Kurs oder Seminar erfragt der Dozent am Ende des Semesters nicht, was er hätte besser/anders machen können. Aber: Diese Praxis gibt es noch nicht allzu lange. Junge Lehrer sind es also gewöhnt, dem Vortragenden Feedback zu geben, und nehmen diese Möglichkeit oft mit in ihr Berufsleben. Ältere Lehrer hingegen saßen früher an der Uni in Vorlesungen, wo kein Professor gefragt hätte, ob sie zufrieden mit seiner didaktischen Kompetenz seien.

Dass die aktuelle Situation an den Schulen nicht ideal ist und Feedback von denen, die das Erklärte verstehen sollen, wertvoll sein kann, ist jedoch auch dem Kultusministerium bewusst. Dort will man Lehrer und Schulen motivieren, "systematischer und kontinuierlicher Rückmeldungen von Schülern einzuholen als bislang üblich".

Dafür könnte man die bereits in Ihrer Frage angesprochenen und von der Uni Koblenz/Landau im Auftrag der KMK entwickelten "Evidenzbasierten Methoden der Unterrichtsdiagnostik und -entwicklung", kurz: EMU, verwenden. Sie werden laut Kultusministerium schon jetzt an einigen Schulen Bayerns genutzt. Auch können sich interessierte Lehrer beim für die Entwicklung der bayerischen Lehrpläne zuständigen Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) Hilfe holen oder komplett fertige Fragebögen verschiedenster privater Anbieter nutzen.

Bis diese Instrumente häufiger Anwendung finden, dürfte ein offenes Vorgehen sinnvoll sein, wenn von Schüler- oder Elternseite der Wunsch nach Evaluation besteht. Der Klassensprecher kann den Wunsch nach einer anonymen Feedbackrunde an den Lehrer herantragen - die allermeisten Pädagogen werden dem nicht abgeneigt sein. Aber bedenken Sie: Ein allzu scharfes Feedback im Schutz der Anonymität kann die Atmosphäre im Klassenzimmer schnell vergiften. Bleiben Sie also konstruktiv.

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