Süddeutsche Zeitung

Klassenkampf - der Schulratgeber:Geradeaus laufen reicht nicht mehr

Früher bekam im Sportunterricht fast jeder eine 1, heute sind die Lehrer mit der Bestnote knausriger. Warum das so ist und die Sportnote bei der Versetzung sehr wichtig sein kann.

Von Matthias Kohlmaier

Die Leserfrage

Ich habe eine Frage zum Sportunterricht. In der Klasse und Parallelklasse meines Sohnes, er besucht ein Gymnasium in Baden-Württemberg und geht mittlerweile in die 9. Klasse, hat im vergangenen Schuljahr meines Wissens kein Junge die Note 1 in Sport erhalten. Mein Sohn ist eigentlich sehr sportlich, spielt im Verein Tennis und Tischtennis, war zudem einige Jahre im Fußballverein. In den Ballsportarten bekommt er auch sehr gute Zensuren, ebenso in Leichtathletik und Schwimmen. Nur im Gerätturnen tut er sich schwer, weshalb es in Summe eben nicht zur Note 1 reicht.

Warum sind die Lehrer so "knausrig" mit der Sportnote 1? Zu meiner Schulzeit hat meist ein Großteil der Klasse die Bestnote bekommen.

Die Antwort

Die meisten werden sich in ähnlicher Weise an den eigenen Sportunterricht erinnern wie Sie: Wer halbwegs geradeaus laufen konnte, bekam eine 2; wer flott geradeaus laufen konnte, hatte die 1 schon sicher. Sport als Unterrichtsfach hat in Deutschland nie besonders großes Ansehen genossen, weshalb die Benotung auch in vielen Fällen sehr lax war und an manchen Schulen noch immer ist. In den USA etwa, wo gute Sportler nur aufgrund ihrer körperlichen Fähigkeiten Stipendien für Top-Universitäten bekommen können, hat der Schulsport eine völlig andere Wertigkeit.

Da das aber in Deutschland zeitnah kaum so sein wird, bleibt Ihre Frage: Warum sind die Lehrer heutzutage scheinbar nicht mehr so freigiebig mit guten Noten wie einst? Ein langjähriger Sportlehrer aus Baden-Württemberg erklärt das mit dem Generationswechsel im Lehramt: "Bei den jungen, engagierten Sportkollegen ist der Fakt deutlich stärker ins Bewusstsein gedrungen, dass man auch im Sport die Notenskala etwas weiter ausreizen kann." Auch er selbst halte es für angemessen, "einem Schüler, der sich zwar sehr bemüht, aber motorisch wenig begabt ist, die Note 4 zu geben". Wer eine 1 wolle, müsse "sportlich schon sehr breit aufgestellt sein".

Für das Fach bedeutet das natürlich eine Aufwertung - die besonders den sehr begabten Schülern entgegenkommt. Denn wenn Sportlehrer strenger bewerten, ist die selten vergebene Note 1 plötzlich nicht mehr Standard, sondern kennzeichnet das, was sie kennzeichnen soll: eine hervorragende Leistung.

Sie beschreiben die vielseitigen sportlichen Begabungen Ihres Sohnes und sagen, dass es bei ihm nur am Turnen scheitert. Denken Sie im Vergleich einmal an den Matheunterricht. Wäre Ihr Sohn sehr gut in Algebra, könnte zudem super Kurvendiskussionen durchexerzieren und wäre außerdem dank seines räumlichen Vorstellungsvermögens ein Ass in Vektorgeometrie - wenn er von Wahrscheinlichkeitsrechnung keine Ahnung hat, würde es im Abitur trotzdem nicht zu einer 1 reichen. (Wer nun Lust bekommen hat, seine Mathekenntnisse zu testen, kann das hier in unserem Mathequiz tun. Viel Spaß!)

Wie viele andere werden Sie nun womöglich sagen: Aber es ist doch nur Sport, Mathematik ist ungleich wichtiger. Damit haben Sie vermutlich insgesamt recht. Was aber das schulische Fortkommen in Baden-Württemberg betrifft, kann die Sportnote unter Umständen extrem wichtig sein. Wie in den anderen Bundesländern ist es auch vom Bodensee bis Mannheim so, dass schlechte Zensuren in den einen von sehr guten Noten in anderen Fächern ausgeglichen werden können, wenn es mit der Versetzung knapp wird.

Die Verordnung des Kultusministeriums über die Versetzung an Gymnasien sagt hierzu:

"Ausgeglichen werden können

  • die Note 'ungenügend' in einem Fach, das nicht Kernfach ist, durch die Note 'sehr gut' in einem anderen maßgebenden Fach oder die Note 'gut' in zwei anderen maßgebenden Fächern,
  • die Note 'mangelhaft' in einem Kernfach durch mindestens die Note 'gut' in einem anderen Kernfach,
  • die Note 'mangelhaft' in einem Fach, das nicht Kernfach ist, durch mindestens die Note "gut" in einem anderen maßgebenden Fach oder die Note 'befriedigend' in zwei anderen maßgebenden Fächern."

Da auch Sport eines der "maßgebenden Fächer" ist, bedeutet das zum Beispiel: Hätte Ihr Sohn in Biologie die Note 6, könnte er sie mit einer 1 in Sport ausgleichen. Würden die Sportlehrer also in ihrem Fach mit Bestnoten um sich werfen, griffen sie eventuell sehr massiv in die Schullaufbahn mancher Schüler ein. Sind sie etwas strenger, kommen nur noch diejenigen in die angenehme Situation, mit Sport eine andere schleche Note ausgleichen zu können, die in wirklich allen sportlichen Disziplinen sehr begabt sind.

Wäre Ihr Sohn schlecht in Wahrscheinlichkeitsrechnung, um beim obigen Beispiel zu bleiben, würden Sie mit ihm üben oder ihm Nachhilfestunden ermöglichen. Angewendet auf seine schwächste Disziplin im Sport heißt das: Suchen Sie sich einen Turnverein in der Nähe, wo Ihr Sohn einmal pro Woche mittrainieren kann. Da er offenbar ohnehin motorisch begabt ist, sollte die Sportnote 1 dann bald nur noch Formsache sein.

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