Süddeutsche Zeitung

Klassenausflug:Das Wandern ist des Lehrers Frust

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Die Pilgerfahrt zum Fastfood-Tempel hat Catrin Kurtz abgewendet, doch damit ist der Wandertagsstress nicht vorbei. Es gilt, Busfahrer zu beruhigen, Pinkelpausen rechtzeitig einzuplanen und - ganz wichtig! - das Durchzählen nicht zu vergessen. Protokoll eines Klassenausflugs.

8.00 Uhr: Ich sitze im Lehrerzimmer und bereite mich mental auf die anstehende Nervenprobe vor. Wobei die am wenigsten mit unserem Ziel - einem Baumwipfelpfad mit Erlebnisspielplatz - zu tun hat. Wandertage sind Stress pur und der fängt bereits weit vor dem eigentlichen Termin an. Allein die Zielfestlegung. Von den Schülern wurde unter anderem ein gut besuchter Innenstadt-McDonald's in den Ring geworfen. Mit einem letzten motivierenden Gedanken an die abgewendete Fastfood-Pilgerfahrt leere ich meinen Kaffeebecher und mache mich samt Klassenliste auf zum Treffpunkt Aula. Dort steht der erste Programmpunkt eines jeden Wandertages an: die Anwesenheitskontrolle.

8.15 Uhr: Ich stehe inmitten einer Traube lärmender, aufgeregt umherlaufender Sechstklässler und versuche zum fünften Mal durchzuzählen. Die ersten Brotzeiten werden schon gegessen, getauscht oder weggeworfen, weil Mama nicht das Passende eingepackt hat.

8.20 Uhr: Der Bus wartet. Drei Kinder fehlen unentschuldigt, im Sekretariat weiß man von nichts, also versucht die Schulsekretärin nun, die betreffenden Eltern zu erreichen.

Währenddessen fällt Paul auf, dass er seine Jacke vergessen hat. Ob ich meine, dass es Anfang Januar im T-Shirt auf dem Baumwipfelpfad zu kalt sei? Jana ist dafür mit ziemlich hohen Absatzschuhen unterwegs, vor meinem inneren Auge sehe ich bereits eine schwankende Schülerin in schwindelerregender Höhe - fragt sich nur, wer nachher die Panikattacke bekommt, sie oder ich. Um das zu verhindern, lasse ich diverse Spinde leeren, in denen sich noch die mehr oder weniger verschwitzten Klamotten vom letzten Sportunterricht befinden. Die Begeisterung auf Schülerseite ist gering (das Outfit!) - aber mich tröstet der Gedanke, dass ich zumindest zwei meiner Schutzbefohlenen nun anhand des Geruchs wiederfinden werde.

Ach ja, und dann ist da noch Anne, die mit Glitzerschal und Abendhandtäschchen unter der Achsel zum Ausflug antritt. Auf meine Frage, ob sie für unseren Tagestrip nichts zu essen dabei habe, bekomme ich zu hören, sie sei "gerade eh auf Diät". Gedanklich verabschiede ich mich von der Hälfte meines liebevoll zubereiteten Sandwichs.

8.30. Uhr: Der Busfahrer wird langsam ungemütlich. Aber da, zwei der drei fehlenden Schüler kommen mit müden Augen angestolpert - verschlafen! Der dritte wird dann doch noch im Sekretariat krankgemeldet. Letzte Aufforderung an alle, aufs Klo zu gehen.

8.35 Uhr: Wir sind im Bus, was jedoch nicht heißt, dass auch schon alle sitzen. In der letzten Reihe tobt noch der Kampf um die besten Sitzplätze und wer neben wem sitzen darf. Enttäuschte Gesichter, als mein Kollege und ich uns aufteilen, einer in der ersten Reihe, der andere ganz hinten. "Ich dachte Sie sitzen vorne, damit wir hier hinten unsere Ruhe haben!?"

8.40 Uhr: Wir fahren.

8.53 Uhr: Wir stehen. Der erste Schüler muss ganz dringend aufs Klo.

9.10 Uhr: Nächster Stopp, weil einer Schülerin schlecht ist. Gott sei Dank übergibt sie sich neben dem Bus und nicht im Bus. Klingt herzlos? Mag sein, aber ich habe auch schon die andere Variante erlebt, die dazu führt, dass ich noch ein halbes Jahr später erzürnten Eltern erklären muss, warum sie auch einen Anteil an den Reinigungskosten bezahlen sollen, wo der Michael doch gar nichts gemacht hat (ausnahmsweise). Heute konnte der Busfahrer noch rechtzeitig einen Parkplatz ansteuern und so stehe ich mit der bemitleidenswerten Schülerin an einer dornigen Böschung, während sich der Rest der Klasse die Nasen an den Busscheiben plattdrückt und dabei Gummibärchen und Chips futtert.

9.20 Uhr: Ich zähle abermals durch, denn in der Zwischenzeit haben weitere Schüler den Bus verlassen. "Frau Kuuurtz, wenn wir jetzt eh schon halten, dann geh' ich auch mal schnell, ja!?" Zurück im Bus lassen die Wildpinkler/innen vor den Klassenkameraden stolz ihre mit Brennnessel-Pusteln übersäten Kehrseiten blitzen.

10.00 Uhr: Wir sind da. Der Busfahrer erwägt angesichts der zugemüllten Sitzreihen drohend eine Weiterfahrt zum Wertstoffhof und verdonnert die Schüler zum Aufsammeln. Nach diesem Machtwort kann es mit dem Aussteigen gar nicht schnell genug gehen, drei Schüler versuchen gleichzeitig durch die Bustür nach draußen zu kommen, bleiben stecken, quetschen weiter. Daniel hilft von hinten mit - und alle vier landen vor dem Bus im Dreck. Erste Tränen müssen getrocknet werden, ich zücke Tempos und Trostbonbons.

10.15 Uhr: Wir sind auf dem Areal des Baumwipfelpfades angekommen, das - ich jubiliere innerlich - umzäunt ist! Die Schüler können also nicht abhauen, in Kleingruppen dürfen sie das Gelände erkunden.

12.00 Uhr: Ohne weitere Zwischenfälle treffen wir uns - vollzählig! - zum gemeinsamen Picknick. Alle erzählen durcheinander, was sie gemacht haben, zeigen, was sie im Souvenirshop gekauft haben. Mir dröhnt der Kopf! Aber die Kinder scheinen glücklich und haben offensichtlich vergessen, dass sie das Wandertagsziel eigentlich blöd fanden und viel lieber zu McDonald's wollten.

16.00 Uhr: Dreckige, müde, aber ich behaupte auch glückliche Kinder stehen vor dem Bus, steigen ein und - oh Wunder - setzen sich einfach hin. Keine Streitereien mehr um Sitzplätze. So ein Wandertag, zumal im Freien und mit Bewegung, zehrt eben nicht nur an Lehrerkräften. Ein letztes Mal Durchzählen - nicht dass wir auf den letzten Metern noch jemanden vergessen.

16.15 Uhr: Besorgt schaue ich mich im Bus um, es ist so leise, was sie wohl anstellen? Sie schlafen, ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

17 Uhr: Pinkelpause. Diesmal hat die Lehrerin die Fahrtzeit falsch eingeschätzt.

17.15 Uhr: Ankunft an der Schule. Ich bin am Ende - im Gegensatz zu den Kindern: Die sind nach einer Stunde Nickerchen im Bus wieder topfit. Aber das ist ja jetzt nicht mehr mein Problem.

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