SZ.de: Kinder bekommen im Religionsunterricht an Grundschulen die Schöpfungsgeschichte beigebracht. Das habe ich in einem Artikel behauptet und wurde dafür von einigen Theologinnen und Theologen kritisiert - unter anderem von Ihnen, Herr Hauber. Stimmt das denn nicht?
Michael Hauber: Es entsteht der Eindruck, es würde dort ausschließlich das sogenannte Sechs-Tage-Werk gelehrt. Schon in der Bibel gibt es aber eine zweite, etwas andere Schöpfungserzählung, die auf die Zeitangaben verzichtet. Selbst dort wird also nicht suggeriert, die Welt sei in sechs Tagen erschaffen worden. Und im Religionsunterricht geschieht das auch nicht.
Sogar im Ethikunterricht in Bayern kommt es vor, dass die Kinder die sechs Tage der Schöpfung in Bildchen malen sollen - als das, woran Christen glauben.
Theologie und Kirche haben keinerlei Einfluss auf den Lehrplan des Faches Ethik. Aber für die Lehrpläne des Faches Religion gilt natürlich: Es ist ein bedeutender Bestandteil der christlichen Lehre, dass Gott die Welt geschaffen hat. Aber das ist etwas, dass wir uns gar nicht vorstellen können, weil Gott größer ist, als man es sich denken kann. Die Lehrpläne zeigen, dass es im Wesentlichen nicht darum geht, den Kindern beizubringen, hier habe ein metaphysisches, absolutes Wesen gewirkt. Es geht vor allem darum zu vermitteln: Diese Welt ist gut, und wir sind für sie verantwortlich.
Immer unter Bezug auf Gott als Schöpfer. Dieser Punkt wird nicht hinterfragt oder reflektiert.
Selbstverständlich unter Bezug auf Gott als Schöpfer! Denn der Religionsunterricht ist bekenntnisbezogen, aber er ist keine Indoktrination.
Das Problem sind also schon die Lehrpläne. In den Vorgaben kommen die alternativen Erklärungen nicht vor: Urknall und Evolution.
Das ist aber kein Problem des Religions-, sondern des Gesamtlehrplanes in der Grundschule. Ich empfinde es selbst als Mangel, dass diese Themen an Grundschulen im Sachunterricht nicht behandelt werden. Sie sind ein ganz wichtiger Teil unserer Bildung. Kinder stellen Fragen: Woher kommt diese Welt? Wie ist sie aufgebaut? Und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass man ihnen diese Theorien als physikalische und biologische Erklärungsmodelle zumindest nahebringen kann.
Ich habe inzwischen von einigen Theologinnen und Theologen, auch von Ihnen, gehört, sie seien überrascht, dass Evolution an den Grundschulen kein Thema ist. Und dass sie es begrüßen würden, wenn sich das änderte.
Die Themen müssen natürlich auf kindgerechte Weise angeboten werden. Erstklässler haben ja meist noch nicht einmal eine Vorstellung vom Zahlenraum bis 1000. Bei der Entwicklung von Arten geht es jedoch um Zeiträume von Millionen Jahren, bei der Entstehung der Erde und des Universums um Jahrmilliarden. Aber man könnte ihnen zum Beispiel vom Industriemelanismus bei Birkenspannern erzählen. Diese Motten haben ihre Farbe aufgrund der Umweltverschmutzung in Großbritannien innerhalb eines überschaubaren Zeitraums verändert. Ich würde aber nicht wie Sie von alternativen Erklärungen sprechen in dem Sinne: Schöpfung einerseits und Evolution und Urknall andererseits.
Wieso nicht?
Ich würde das gern an einem Bild veranschaulichen. Stellen Sie sich vor, Sie betrachten an einem heißen Tag ein Glas Wasser. Aus naturwissenschaftlicher Sicht können Sie über die molekulare Struktur des Wassers und seine physikalischen und chemischen Eigenschaften sprechen. Sie können das Wasser als Mensch aber auch als wohltuenden Durstlöscher betrachten. Beide Sichtweisen schließen sich nicht aus.
Hilft dieses Bild wirklich weiter? Die Naturwissenschaftler versuchen, möglichst objektiv Erkenntnisse zu gewinnen. Deren Antworten kommen ohne Gott aus. Die Theologen versuchen, das Wirken Gottes in die Erkenntnisse der Naturwissenschaften hineinzudeuten.
Der Weg verläuft meines Erachtens umgekehrt. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat die Kirche gesehen, dass sich weder die Bedeutung der Urknalltheorie noch die der Evolutionstheorie leugnen lässt. Damals hat Papst Pius XII. sich durch Wissenschaftler aufklären lassen. Es wurde also nicht Gott in die Evolutionstheorie implementiert, sondern die Frage war: Wie lässt sich unser Glaube mit den neuen Erkenntnissen vereinen? Das hat Mühe gekostet, ist aber aus theologischer Sicht geglückt.
Papst Benedikt XVI. hat gesagt, die Evolution lasse sich nicht leugnen. Aber er war sich auch sicher: 'Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution.' Den Päpsten zufolge wurde dem Menschen während der Entwicklung irgendwann Geist eingehaucht. Das widerspricht der Evolutionslehre, die besagt, der Mensch sei ein Produkt des Zufalls.
Benedikt XVI. stammt aus einer Bildungstradition, die lange zurückliegt. Ich glaube, es ist die Art und Weise, wie er sich zur Evolutionstheorie ausgedrückt hat, die zum modernen Verständnis nicht mehr passt. Aus dem mathematischen Begriff "Zufall" folgt ja ganz und gar nicht der Zustand der "Sinnlosigkeit"! Aber Papst Benedikt hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass hier die weltanschauliche Bedeutung einer naturwissenschaftlich basierten Theorie über diese Theorie hinausgeht.
Es wäre natürlich schön, wenn auch ein Papst so formulieren würde, dass ihn die breite Masse verstünde. So dass selbst ein atheistischer Biologe nachvollziehen kann, dass es sich um eine andere Perspektive handelt, die sich in ihrer Andersheit tolerieren lässt.
Eine Religionslehrerin wollte mir das mit dem Bild von zwei verschiedenen Brillen veranschaulichen: Eine für den naturwissenschaftlichen Blick, eine für den theologischen. Aber geht es nicht letztlich darum, wie nun die Welt und das Leben tatsächlich entstanden sind?
Theologische Fragestellungen und Antworten beziehen sich auf Sinnfragen. Die kann die Physik nicht klären, genauso wenig wie der Glaube im strengen Sinne physikalische Fragen beantworten kann. Wir können nicht sagen, wie Gott bei der Erschaffung der Welt konkret vorgegangen ist. Zu behaupten, er hätte es in sechs Tagen getan, wäre als physikalische Aussage natürlich falsch. Und das hat Augustinus in der Antike schon nicht getan.
Die Evolutionstheorie erklärt zutreffend, wie die verschiedenen Arten und auch der Mensch entstanden sind. Aber sie beantwortet die Sinnfrage nicht, die sich viele Menschen stellen: Wo kommen wir her, weshalb gibt es uns überhaupt? Auf diese Frage versuchen Theologen, auch die Päpste, Antworten zu finden.
Aber immer von dem Glauben ausgehend, dass es einen Gott gibt.
Deshalb betrachten Christen die Welt natürlich aus einer anderen Perspektive als Atheisten, wobei auch festzuhalten ist: Naturwissenschaftler gibt es auf beiden Seiten. Wie spannend der Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie sein kann, zeigt sich mitunter sogar in einer einzigen Person wie Galileo Galilei. Was die wenigsten wissen: Seine naturwissenschaftlichen Forschungen haben Galilei dazu bewogen, nicht etwa Atheist zu werden, sondern die Frage zu stellen, welche theologische Bedeutung biblische Texte für den Menschen haben können. Bei Carl Friedrich von Weizsäcker müssen wir nicht mal in allzu ferne Vergangenheit blicken!
Um noch einmal auf das Thema Grundschule zurückzukommen: Es wäre sicher vernünftig, dort die verschiedenen Sichtweisen auf die Welt nahezubringen und erfahrbar zu machen, damit man zeigt, dass es gut ist, im Dialog zu bleiben.
Michael Hauber ist Vertretungsprofessor am Institut für Katholische Theologie an der Universität Kassel.