Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Wer ein zweites Mal heiraten möchte, hat ein Problem

Katholische Religionslehrer müssen ihr Leben nach den Vorgaben der Kirche ausrichten. Das führt zu absurden Situationen.

Von Anna Günther

Roman Haehl ist 32, verheiratet und hat einen kleinen Sohn. So weit, so normal. Trotzdem denkt er über Details seines Lebens und die Folgen für seinen Beruf nach. Details, die niemanden außerhalb seiner Familie etwas angehen. Sein Sohn wurde erst mit fünf Monaten getauft, noch dazu erst bei der Hochzeit von Roman Haehl und seiner Lebensgefährtin. Brav katholisch ist das nicht. Na und, er lebt doch im 21. Jahrhundert, könnte Roman Haehl sagen - aber er ist Religionslehrer.

Er unterrichtet zwar an einer staatlichen Fachoberschule und ist bayerischer Beamter, aber Haehl braucht auch die Lehrerlaubnis der katholischen Kirche, die sogenannte Missio Canonica. Die deutschen Bischöfe erteilen sie in ihren Bistümern unter der Bedingung, dass Religionslehrer ihren Unterricht im Sinne des christlichen Glaubens halten und auch privat die Grundsätze der katholischen Kirche beachten.

Gut 750 000 Lehrer gibt es in Deutschland, nach Schätzungen der Deutschen Bischofskonferenz unterrichten etwa 70 000 von ihnen katholische Religion. In Bayern gibt es etwa 3300 Pädagogen für katholische und 1150 für evangelische Religion an Realschulen und Gymnasien, dazu kommen die Volksschullehrer, die Religion als eines von vielen Fächern unterrichten.

Zwar sind Staat und Kirche in Deutschland getrennt, aber die Kirchen haben starken Einfluss auf den Religionsunterricht. Dieser wird laut Grundgesetz "in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften erteilt". Die Kirchen gestalten den Lehrplan mit und teilen sich auch die Schulaufsicht mit den Ministerien. Die evangelisch-lutherische Kirche gilt bei Kirchenkritikern als moderner, die Erwartungen an Religionslehrer wirken hier weniger strikt: Die EKD verlangt zwar, dass Religionslehrer Kirchenmitglied sind und ihren Unterricht nach Ordnung und Bekenntnis der Landeskirche gestalten. Die Landeskirchen erteilen die Vokation und wie bei der Missio Canonica können sie diese Lehrerlaubnis auch wieder entziehen. Das Privatleben der Lehrer aber wird nicht explizit erwähnt.

"Die Lehrer bleiben im Staatsdienst"

Wann und wie oft die Missio entzogen wird, könne man nicht pauschal sagen, heißt es von der Deutschen Bischofskonferenz. Der Entzug laufe in einem rechtlich geregelten Verfahren, es handele sich immer um Einzelfallentscheidungen, bei denen die persönliche Glaubens- und Lebenssituation zu berücksichtigen sei.

Im bayerischen Kultusministerium sieht man das Ganze eher unaufgeregt. Kein Pädagoge stehe auf der Straße, wenn ihm die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen würde. "Die Lehrer bleiben im Staatsdienst und unterrichten dann eben ihre anderen Fächer", sagt ein Sprecher. Problematischer sei das bei Lehrern, die an kirchlichen Schulen angestellt sind.

Was in welcher Form als Verstoß gegen die von der Kirche gewünschte Lebensführung gewertet wird, ist nicht genau festgelegt. Das dürfte ein Grund für Unsicherheit und Gerüchte sein, die schon an den Universitäten Studenten nervös machen. In Internetforen diskutieren angehende Lehrer, welche Bistümer als besonders streng gelten und ob sie ihre Missio überhaupt bekommen oder verlieren, weil sie unverheiratet mit ihren Partnern zusammenleben oder gar ein nichteheliches Kind haben.

Gerüchte wie diese kennt auch Roman Haehl aus seiner Unizeit. Zwei seiner Kommilitonen waren ein Paar und lebten auch unverheiratet zusammen - aus Sorge vor Konsequenzen waren die beiden dennoch unter verschiedenen Adressen gemeldet. Die Angst vor Denunziation und nächtlichen Klingelschildkontrollen sei in seinem Umfeld aber unbegründet gewesen, sagt er. Trotzdem beschäftigte ihn, dass sein Sohn erst im Alter von fünf Monaten getauft wurde - deutlich später als andere Babys. Die Befürchtung, dass ihm deshalb die Missio genommen würde, habe er nie gehabt, sagt Haehl. Und auch nicht deshalb geheiratet. Aber Gedanken habe er sich eben doch gemacht.

Kritiker mögen diese Anspruchshaltung der Kirchen absurd finden, Haehl hat in gewissem Maß Verständnis: "Dass die Kirche erwartet, dass ich die Werte lebe, die ich unterrichte, ist nachvollziehbar." In seinem Missio-Gespräch habe der Schuldekan ihm kritische Loyalität empfohlen. Das finde er sinnvoll, daran orientiere er sich. Haehl behandelt auch umstrittene Themen wie Abtreibung, Sterbehilfe, Verhütung und die Rolle der Frau in der katholischen Kirche im Unterricht - so, dass seine Schüler christliche Werte kennenlernen, aber sich eine eigene Meinung dazu bilden können.

Wer mit Pädagogen sprechen möchte, die an katholischen Schulen unterrichten oder mit Religionslehrern, die kein Bilderbuch-Familienleben führen, stößt auf Schweigen. Offen redet niemand, sogar anonym trauen sich die Wenigsten. Bloß keine Aufmerksamkeit erzeugen, bloß kein Risiko eingehen.

Die größte Angst haben offenbar Kirchenmitarbeiter, die zum zweiten Mal heiraten wollen. Der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen in der Kirche wird seit Jahren hitzig diskutiert, bei ihren Angestellten greifen viele Bistümer durch. Denn gemäß der kirchlichen Lehre zu leben, bedeutet bis heute, dass nur der Tod eine Ehe scheidet. Wer zivilrechtlich getrennt ist, ist das aus kirchlicher Sicht noch lange nicht. Wer den Job behalten und trotzdem wieder heiraten will, muss die erste Ehe annullieren lassen. Im Ehenichtigkeitsverfahren prüfen Kirchenrichter, ob die erste Ehe überhaupt gültig zustande kam. Betroffene berichten, wie absurd diese Gespräche seien, in denen alle Anwesenden - inklusive des Kirchenrichters - wissen, dass sie Lügen über eine Beziehung erzählen, die einst voller Liebe und Hoffnung war.

Roman Haehl nennt das Prozedere "den Automatismus". Den grausigen Unterton in der Stimme kann er dabei nicht verbergen. Den Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen findet er absurd: "Wenn man an der Herausforderung Ehe scheitert und dann auch noch ausgeschlossen wird, ist das kritisch. Ureigenste Werte des Christentums sind doch Nächstenliebe und Vergebung."

Wie steht es um den Religionsunterricht in Ihrem Bundesland? Unsere interaktive Grafik zeigt es Ihnen. Klicken Sie für Informationen einfach auf die Bücher:

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3029251
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/mkoh/feko
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.