Dabei könnte man es genauer wissen: Gerade erst hat der Münchner Rechtshistoriker Martin Würfel systematisch das Wirken von Palandts Reichsjustizprüfungsamt untersucht. Also die Frage: Was hat Palandt tatsächlich an Unrecht bewirkt, abseits der bloßen Tatsache seiner NSDAP-Mitgliedschaft und der paar haarsträubenden Zitate, die von ihm überliefert sind, etwa zu Frauen in juristischen Berufen ("Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates")? Als Dissertation ist diese Arbeit bereits mit der Bestnote ausgezeichnet, der Fachverlag Mohr Siebeck hat die Veröffentlichung für November angekündigt. Das Manuskript kursiert in Fachkreisen bereits. Auch die Examensklausur mit der enterbten Fabrikantentochter findet sich darin.
Nach und nach, so beschreibt es Würfel, flossen die neuen, braunen Normen ins juristische Staatsexamen ein. Nicht als krachender Bruch mit Bestehendem inszeniert, sondern im Gegenteil fast beiläufig. So war das unter Palandts Ägide: In Klausuren zum Polizeirecht ging es bald auch mal um "Schutzhaft". Im Strafrecht war, wenn Brandstiftung abgefragt wurde, auch eine Passage aus der "Volksschädlingsverordnung" zu prüfen: "Wer eine Brandstiftung oder ein sonstiges gemeingefährliches Verbrechen begeht und dadurch die Widerstandskraft des deutschen Volkes schädigt, wird mit dem Tode bestraft." Zu den vier Examensklausuren im Zivilrecht, Strafrecht, öffentlichen Recht und Arbeits-/Bauern- oder Wirtschaftsrecht kam außerdem eine fünfte neu hinzu. Eine "geschichtliche Aufgabe", die nichts mit Jura zu tun hatte, sondern der sogenannten "allgemeinen völkischen Bildung" diente.
Verlangt wurden Aufsätze. Palandts Behörde bestimmte die Themen. Sie lauteten etwa: "Die Stellung des Nationalsozialismus zur Judenfrage und zum Freimaurertum", "Die Kriegsschuldlüge", "Woran sterben die Völker?", "Das Prinzip der Volkssouveränität und der nationalsozialistische Führerstaat" oder "Weshalb zwingt die geschichtliche Erfahrung zum Kampf gegen das Judentum?". 511 solcher Aufgaben hat der Rechtshistoriker Martin Würfel im Bundesarchiv entdeckt.
Bis 1933 war Palandt ein "wohl eher unscheinbarer Oberlandesgerichtsrat fortgeschrittenen Alters aus Kassel" gewesen, "dessen Karriere seit fast 20 Jahren stagnierte", schreibt Würfel. "Palandt erscheint blass, behäbig, zwar in der Tradition des Kaiserreichs stehend, dabei aber durchaus opportunistisch und von den ihm spät eröffneten Karrieremöglichkeiten korrumpiert." Zwar ging er nicht ungewöhnlich scharf gegen jüdische oder regimekritische Beamte in seiner Behörde oder unter den juristischen Prüfern draußen im Land vor. Er gestaltete das Staatsexamen jedoch wie von oben gewünscht gründlich um, hin zu einem braunen Indoktrinierungsprozess.
Ein Bestseller war geboren
Der BGB-Kommentar im Beck-Verlag heißt nun nicht deshalb Palandt, weil er von Palandt verfasst worden wäre. Er war nie selbst Autor in dem Band, er hat keinen einzigen der 2385 Paragrafen des BGB kommentiert. "Seine unmittelbare Autorschaft", so schreibt der Rechtshistoriker Würfel, "beschränkte sich auf die Einleitung, die inhaltlich (...) ganz im Trend der Zeit lag: Rekurs auf frühes germanisches Stammesrecht, Verdammung des politischen Partikularismus und Aburteilung des BGB als nicht genügend lebens- und volksnah." Palandt erhielt als Behördenchef lediglich die Ehre, seinen Namen auf die Arbeit eines fremden Autorenkollektivs setzen zu dürfen. Es war eine Ehrung, die ihm der Beck-Verlag damals nicht ohne Hintergedanken antrug. Der mächtige Palandt war geschmeichelt. Das nach ihm benannte Buch sollten fortan alle Studenten benutzen. Ein Bestseller war geboren.
Die Autoren des Sammelwerks kamen und gingen dann in den folgenden Jahrzehnten; nur der 1951 verstorbene Palandt hat diese Ehre bis heute behalten.