Jurastudium:Warum ein Nachschlagewerk zum BGB nach einem Nazi benannt ist

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Der Standardkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist ein wichtiges Arbeitsmittel für Juristen - selbst für jene, die die blaue Robe des Verwaltungsrichters tragen. (Foto: Jürgen Eis/imago)

Otto Palandt war Chef des NS-Reichsjustizprüfungsamtes. Eine neue Untersuchung leuchtet nun sein Wirken im Dienst der Diktatur aus.

Von Ronen Steinke

In dieser Geschichte geht es um die Liebe. Und um sehr viel Geld: eine Million Reichsmark. Ein reicher Fabrikant wird bei einem Autounfall tödlich verletzt. Bevor er stirbt, diktiert er noch sein Testament. Darin verfügt er, dass seine Tochter nichts erhalten soll, keinen Pfennig. Hat sie jetzt eine Chance, sich dagegen zu wehren, ihr Recht auf einen "Pflichtteil" am Erbe einzuklagen? Oder hat sie diese Chance vertan, als sie sich entschieden hat, einen Juden zu heiraten? Ist das ein "unsittlicher Lebenswandel wider den Willen des Erblassers", wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB, heißt?

Der Fall stammt aus einer Jura-Examensklausur von November 1944. Solche Fragen mussten Studenten beantworten, bevor sie Richter oder Anwälte werden durften. Und darüber wachte seit 1934 reichsweit ein mächtiger NS-Spitzenbeamter: Otto Palandt. In mündlichen Prüfungen führte Palandt oft selbst den Vorsitz, er saß dann manchmal an der Seite prominenter NS-Juristen, so etwa Roland Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofs, oder Carl Schmitt, der Staatsrechtler. Ein juristischer Laie saß auch stets dabei, der "volkskundliche Prüfer", der allein auf Linientreue achten sollte und von Examenskandidaten gerne in Anlehnung an die Parteizeitung der NSDAP als "völkischer Beobachter" betitelt wurde.

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Palandt - dieser Name ist bis heute besonders präsent in der Juristenwelt. Denn in so gut wie jedem Anwaltsbüro und jeder Richterstube steht noch heute ein Buch, das nach Palandt benannt worden ist. Es ist das wohl wichtigste Nachschlagewerk zum BGB, herausgegeben im Münchner Verlag C. H. Beck. Auf mehr als 3000 Seiten wird darin jeder Paragraf erläutert, zuletzt ist die 77. Auflage erschienen.

Um dieses Nachschlagewerk gibt es derzeit wieder eine Debatte. Der historische Otto Palandt, geboren 1877 in Stade, war Chef des NS-Reichsjustizprüfungsamtes, also der Behörde, die die neuen Nazirichter hervorbringen sollte. Kritik gibt es am Beck-Verlag, weil er trotz dieser Historie an dem zweifelhaften Namenspatron festhält. Bisher begründete der Verlag dies stets mit den Gesetzen des Marktes. Der Name Palandt sei eben eingeführt, eine "Marke". An die historische Person denke doch kaum noch jemand. Kürzlich aber hat ein Vertreter des Verlages erstmals auch die historische Person Palandt in Schutz genommen. Womit die Debatte womöglich eine Wendung bekommt.

Otto Palandt habe Hebräisch gelernt - also könne er kein Antisemit gewesen sein. So soll der Beck-Lektoratsleiter Johannes Wasmuth kürzlich bei einem Fachgespräch im Bundestag argumentiert haben. Am 14. Juni war es, eingeladen hatte der SPD-Rechtspolitiker Metin Hakverdi. Mit dabei waren sein Fraktionskollege Johannes Fechner sowie zwei Jura-Doktoranden aus Berlin und Bremen, Kilian Wegner und Janwillem van de Loo, die die Onlinepetition "Palandt umbenennen" gegründet haben. Man sei verdutzt gewesen, so schilderten es hinterher alle Teilnehmer der Süddeutschen Zeitung. Mehrere von ihnen gaben das Gespräch auf der Grundlage ihrer Notizen wieder. Der Beck-Lektoratsleiter Wasmuth habe sich darin gegen eine von ihm so bezeichnete "Dämonisierung" Otto Palandts gewandt.

So habe er betont, wie Palandt einst einen "halbjüdischen" Prüfling fair behandelt hätte. Oder auch, dass Palandts Entnazifizierungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg zu dem Ergebnis "Unbelastet" kam. Der Verlagsmann Wasmuth - er beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit der Aufarbeitung von NS- und SED-Unrecht - bestritt dies auf Nachfrage per E-Mail. Er teilte nur mit: "Ich habe darauf hingewiesen, dass Otto Palandt behauptet habe, die hebräische Schriftsprache erlernt zu haben." Im Übrigen sei das Gespräch vertraulich gewesen.

Dabei könnte man es genauer wissen: Gerade erst hat der Münchner Rechtshistoriker Martin Würfel systematisch das Wirken von Palandts Reichsjustizprüfungsamt untersucht. Also die Frage: Was hat Palandt tatsächlich an Unrecht bewirkt, abseits der bloßen Tatsache seiner NSDAP-Mitgliedschaft und der paar haarsträubenden Zitate, die von ihm überliefert sind, etwa zu Frauen in juristischen Berufen ("Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates")? Als Dissertation ist diese Arbeit bereits mit der Bestnote ausgezeichnet, der Fachverlag Mohr Siebeck hat die Veröffentlichung für November angekündigt. Das Manuskript kursiert in Fachkreisen bereits. Auch die Examensklausur mit der enterbten Fabrikantentochter findet sich darin.

Nach und nach, so beschreibt es Würfel, flossen die neuen, braunen Normen ins juristische Staatsexamen ein. Nicht als krachender Bruch mit Bestehendem inszeniert, sondern im Gegenteil fast beiläufig. So war das unter Palandts Ägide: In Klausuren zum Polizeirecht ging es bald auch mal um "Schutzhaft". Im Strafrecht war, wenn Brandstiftung abgefragt wurde, auch eine Passage aus der "Volksschädlingsverordnung" zu prüfen: "Wer eine Brandstiftung oder ein sonstiges gemeingefährliches Verbrechen begeht und dadurch die Widerstandskraft des deutschen Volkes schädigt, wird mit dem Tode bestraft." Zu den vier Examensklausuren im Zivilrecht, Strafrecht, öffentlichen Recht und Arbeits-/Bauern- oder Wirtschaftsrecht kam außerdem eine fünfte neu hinzu. Eine "geschichtliche Aufgabe", die nichts mit Jura zu tun hatte, sondern der sogenannten "allgemeinen völkischen Bildung" diente.

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Verlangt wurden Aufsätze. Palandts Behörde bestimmte die Themen. Sie lauteten etwa: "Die Stellung des Nationalsozialismus zur Judenfrage und zum Freimaurertum", "Die Kriegsschuldlüge", "Woran sterben die Völker?", "Das Prinzip der Volkssouveränität und der nationalsozialistische Führerstaat" oder "Weshalb zwingt die geschichtliche Erfahrung zum Kampf gegen das Judentum?". 511 solcher Aufgaben hat der Rechtshistoriker Martin Würfel im Bundesarchiv entdeckt.

Bis 1933 war Palandt ein "wohl eher unscheinbarer Oberlandesgerichtsrat fortgeschrittenen Alters aus Kassel" gewesen, "dessen Karriere seit fast 20 Jahren stagnierte", schreibt Würfel. "Palandt erscheint blass, behäbig, zwar in der Tradition des Kaiserreichs stehend, dabei aber durchaus opportunistisch und von den ihm spät eröffneten Karrieremöglichkeiten korrumpiert." Zwar ging er nicht ungewöhnlich scharf gegen jüdische oder regimekritische Beamte in seiner Behörde oder unter den juristischen Prüfern draußen im Land vor. Er gestaltete das Staatsexamen jedoch wie von oben gewünscht gründlich um, hin zu einem braunen Indoktrinierungsprozess.

Ein Bestseller war geboren

Der BGB-Kommentar im Beck-Verlag heißt nun nicht deshalb Palandt, weil er von Palandt verfasst worden wäre. Er war nie selbst Autor in dem Band, er hat keinen einzigen der 2385 Paragrafen des BGB kommentiert. "Seine unmittelbare Autorschaft", so schreibt der Rechtshistoriker Würfel, "beschränkte sich auf die Einleitung, die inhaltlich (...) ganz im Trend der Zeit lag: Rekurs auf frühes germanisches Stammesrecht, Verdammung des politischen Partikularismus und Aburteilung des BGB als nicht genügend lebens- und volksnah." Palandt erhielt als Behördenchef lediglich die Ehre, seinen Namen auf die Arbeit eines fremden Autorenkollektivs setzen zu dürfen. Es war eine Ehrung, die ihm der Beck-Verlag damals nicht ohne Hintergedanken antrug. Der mächtige Palandt war geschmeichelt. Das nach ihm benannte Buch sollten fortan alle Studenten benutzen. Ein Bestseller war geboren.

Die Autoren des Sammelwerks kamen und gingen dann in den folgenden Jahrzehnten; nur der 1951 verstorbene Palandt hat diese Ehre bis heute behalten.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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