In dieser Geschichte geht es um die Liebe. Und um sehr viel Geld: eine Million Reichsmark. Ein reicher Fabrikant wird bei einem Autounfall tödlich verletzt. Bevor er stirbt, diktiert er noch sein Testament. Darin verfügt er, dass seine Tochter nichts erhalten soll, keinen Pfennig. Hat sie jetzt eine Chance, sich dagegen zu wehren, ihr Recht auf einen "Pflichtteil" am Erbe einzuklagen? Oder hat sie diese Chance vertan, als sie sich entschieden hat, einen Juden zu heiraten? Ist das ein "unsittlicher Lebenswandel wider den Willen des Erblassers", wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB, heißt?
Der Fall stammt aus einer Jura-Examensklausur von November 1944. Solche Fragen mussten Studenten beantworten, bevor sie Richter oder Anwälte werden durften. Und darüber wachte seit 1934 reichsweit ein mächtiger NS-Spitzenbeamter: Otto Palandt. In mündlichen Prüfungen führte Palandt oft selbst den Vorsitz, er saß dann manchmal an der Seite prominenter NS-Juristen, so etwa Roland Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofs, oder Carl Schmitt, der Staatsrechtler. Ein juristischer Laie saß auch stets dabei, der "volkskundliche Prüfer", der allein auf Linientreue achten sollte und von Examenskandidaten gerne in Anlehnung an die Parteizeitung der NSDAP als "völkischer Beobachter" betitelt wurde.
Palandt - dieser Name ist bis heute besonders präsent in der Juristenwelt. Denn in so gut wie jedem Anwaltsbüro und jeder Richterstube steht noch heute ein Buch, das nach Palandt benannt worden ist. Es ist das wohl wichtigste Nachschlagewerk zum BGB, herausgegeben im Münchner Verlag C. H. Beck. Auf mehr als 3000 Seiten wird darin jeder Paragraf erläutert, zuletzt ist die 77. Auflage erschienen.
Um dieses Nachschlagewerk gibt es derzeit wieder eine Debatte. Der historische Otto Palandt, geboren 1877 in Stade, war Chef des NS-Reichsjustizprüfungsamtes, also der Behörde, die die neuen Nazirichter hervorbringen sollte. Kritik gibt es am Beck-Verlag, weil er trotz dieser Historie an dem zweifelhaften Namenspatron festhält. Bisher begründete der Verlag dies stets mit den Gesetzen des Marktes. Der Name Palandt sei eben eingeführt, eine "Marke". An die historische Person denke doch kaum noch jemand. Kürzlich aber hat ein Vertreter des Verlages erstmals auch die historische Person Palandt in Schutz genommen. Womit die Debatte womöglich eine Wendung bekommt.
Otto Palandt habe Hebräisch gelernt - also könne er kein Antisemit gewesen sein. So soll der Beck-Lektoratsleiter Johannes Wasmuth kürzlich bei einem Fachgespräch im Bundestag argumentiert haben. Am 14. Juni war es, eingeladen hatte der SPD-Rechtspolitiker Metin Hakverdi. Mit dabei waren sein Fraktionskollege Johannes Fechner sowie zwei Jura-Doktoranden aus Berlin und Bremen, Kilian Wegner und Janwillem van de Loo, die die Onlinepetition "Palandt umbenennen" gegründet haben. Man sei verdutzt gewesen, so schilderten es hinterher alle Teilnehmer der Süddeutschen Zeitung. Mehrere von ihnen gaben das Gespräch auf der Grundlage ihrer Notizen wieder. Der Beck-Lektoratsleiter Wasmuth habe sich darin gegen eine von ihm so bezeichnete "Dämonisierung" Otto Palandts gewandt.
So habe er betont, wie Palandt einst einen "halbjüdischen" Prüfling fair behandelt hätte. Oder auch, dass Palandts Entnazifizierungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg zu dem Ergebnis "Unbelastet" kam. Der Verlagsmann Wasmuth - er beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit der Aufarbeitung von NS- und SED-Unrecht - bestritt dies auf Nachfrage per E-Mail. Er teilte nur mit: "Ich habe darauf hingewiesen, dass Otto Palandt behauptet habe, die hebräische Schriftsprache erlernt zu haben." Im Übrigen sei das Gespräch vertraulich gewesen.