Jurastudium:Wo Nachwuchs-Juristen Asylanträge bearbeiten

Vanessa Ruck Bamf Berlin Hochschulseite

Vanessa Ruck arbeitet nach dem ersten Staatsexamen im Bamf in Berlin als Anhörerin.

(Foto: Christina Kufer)

Juristen in der Ausbildung helfen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus. Nach dreiwöchigem Crashkurs sitzen sie Gleichaltrigen gegenüber - und entscheiden über deren Schicksal mit.

Von Christina Kufer

Vanessa Ruck zoomt immer weiter auf der digitalen Landkarte in die syrische Stadt hinein. Erst werden Stadtviertel und Straßenzüge erkennbar, bald darauf sogar einzelne Gebäude, Krankenhäuser, die Universität. Es ist Mitte Juli und gegenüber von ihr sitzt Ahmad Hemidi, der in Wirklichkeit anders heißt. Er sagt, es gebe keine Straßennamen, da wo er herkommt. Vanessa Ruck zieht die Augenbraue hoch, sie hat sichtlich Zweifel an Hemidis Geschichte - auf ihrem Bildschirm kann sie die arabischen Bezeichnungen selbst kleiner Gassen erkennen.

Ruck ist 25, Hemidi kaum älter. Als Anhörerin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in der Außenstelle Berlin muss die junge Juristin nun über das Schicksal des mutmaßlichen Syrers mitentscheiden. Muss, so gut es geht, Wahrheit von Lüge trennen und überprüfen, ob Hemidis Geschichte stimmt.

Syrer bekommen derzeit besonders leicht einen Aufenthaltstitel in Deutschland, da in ihrer Heimat Bürgerkrieg herrscht. Niemand darf in ein Krisengebiet abgeschoben werden, so will es das Gesetz. Daher haben sich viele Flüchtlinge in den vergangenen Monaten als Syrer ausgegeben. Anhörer schauen meist besonders genau hin, wenn sich ein vorgeblicher Syrer in Widersprüche verstrickt - Widersprüche wie der mit den Straßennamen.

Das Bamf spricht gezielt junge Juristen an

Vor einem Jahr hat die Berlinerin ihr erstes juristisches Staatsexamen abgeschlossen. Um später einmal Richterin, Staatsanwältin oder Rechtsanwältin werden zu können, muss sie noch das zweijährige Referendariat durchlaufen und im Anschluss das zweite Staatsexamen bestehen. Berlin ist ein beliebter Ort für Referendare, junge Juristen aus allen Bundesländern streben dorthin. Weil die Plätze knapp sind, gibt es eine Warteliste - bis es losgeht, können schon einmal bis zu zwei Jahre vergehen.

Auch in anderen Städten klappt der Übergang ins Referendariat für angehende Juristen nicht immer ganz reibungslos. In Zeiten der Flüchtlingskrise macht sich das Bamf diesen Umstand nun zunutze: Ganz gezielt spricht die Behörde mögliche Interessenten an, die Vorkenntnisse für den Job als Anhörer mitbringen, erklärt Oliver Steinert. Er arbeitet als Projektleiter in der Zentrale des Bamf in Nürnberg und hat seit Jahresbeginn bundesweit etwa 200 junge Juristen angestellt, die auf den Beginn ihres Referendariats warten. Diese, so Steinert, "haben im Studium gelernt, sich schnell in fremde Rechtsgebiete einzuarbeiten und unbekannte Sachverhalte aufzuklären". Vanessa Ruck ist eine von 30 angehenden Referendaren in Berlin, die Ende April für ein halbes Jahr beim Bundesamt angeheuert haben.

Ihr Arbeitsplatz ist ein typisches Behördenzimmer mit Teppichfliesen und grauen Büromöbeln. Keine Pflanze in der Ecke, kein Bild an der Wand. Für Antragsteller wie Hemidi geht es in diesem Zimmer um viel. Ruck wird in den nächsten Minuten ihren Teil dazu beitragen, ob er in Deutschland bleiben darf oder nicht. Sie ist zwar nur Anhörerin und keine Entscheiderin, doch ihre Protokolle bilden die Grundlage für den späteren Beschluss, den stets ein erfahrener Mitarbeiter trifft. Bislang, sagt sie, hätten die Entscheider ihre Empfehlungen immer übernommen.

Die Anhörung mit Ahmad Hemidi ist die zweite an diesem Tag für Vanessa Ruck. Nach einer Stunde ist sie sichtlich unzufrieden - Hemidi spricht viel, doch er antwortet ausweichend auf ihre Fragen. Es geht sehr detailliert um die Gründe für seine Flucht, allen voran um den, wie er sagt, bevorstehenden Wehrdienst. Ruck tritt zunehmend bestimmter auf: "Wir brauchen hier klare Antworten", sagt sie mit fester Stimme. Aber sie beruhigt ihr Gegenüber auch, wo es ihr nötig scheint. Als es um seine Familie in Syrien geht, vergräbt Hemidi den Kopf in seinen Händen, die Stimme versagt.

"Ich wollte auf gar keinen Fall töten"

Nach einer Weile bittet er um eine Zigarettenpause. Zeit zum Ausruhen, auch für Vanessa Ruck. Eine solche Anhörung ist anstrengend, gerade für einen Anfänger. Es gehört viel psychologisches Feingefühl dazu, wenn man Menschen dazu bringen soll, Schreckliches zu erzählen. Vor der 25-Jährigen saßen schon ein syrischer Arzt, der auf dem Weg über die Grenze an aufgehängten Leichen vorbeigefahren ist, und ein Jugendlicher aus der Nähe von Damaskus, dessen Dorf im Krieg ganz ausgelöscht wurde. Und nun sitzt da Ahmad Hemidi, ein Mann mit tiefen Augenringen und kahlen Stellen auf dem Kopf, der ihr eröffnet, warum er lieber floh, als zur Armee zu gehen: "Ich wollte auf gar keinen Fall töten."

In einem dreiwöchigen Crashkurs hat Vanessa Ruck von Praktikern in einem neu geschaffenen "Qualifizierungszentrum" die Rechtsgrundlagen und Prüfungsschemata gelernt, also das kleine Einmaleins der Anhörung. Grundrechte-Charta, Europäische Menschenrechtskonvention, das sind Dinge, mit denen Ruck im Jurastudium schon zu tun hatte. Und trotzdem, sagt sie, hatte sie während der dreiwöchigen Schulung immer mal Zweifel, ob sie der Aufgabe wirklich gewachsen sein würde.

Nach zwanzig Minuten kommt Ahmad Hemidi zurück aus der Pause. Schnell wird klar, dass seine Geschichte etwas komplizierter ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Im Vertrauen hat er dem Dolmetscher des Bamf von traumatischen Erlebnissen auf seinem Weg nach Deutschland erzählt. Dass er Syrer ist, daran hat der Übersetzer inzwischen keinen Zweifel mehr, Hemidis Akzent sei eindeutig. Offenbar aus Scham hatte Hemidi zuvor nicht die ganze Wahrheit gesagt und sich in Widersprüche verstrickt.

"Im Bundesamt kann ich mithelfen, eine der größten Krisen unserer Zeit zu lösen"

Nun bricht es aus ihm heraus. Mit dieser plötzlichen Wende hat Vanessa Ruck wohl nicht gerechnet. In der Schulung hat sie gelernt, was zu tun ist, wenn ein Flüchtling vor ihr in Tränen ausbricht. Bloß nicht zu emotional werden, hieß es da. Sie schiebt Hemidi wortlos eine Box mit Papiertaschentüchern herüber. Anhörer sollen einfühlsam sein, aber vor allem professionell; der Job ist eine ständige Gratwanderung zwischen Empathie und Distanz. "Man muss Mitleid haben, aber man darf nicht darin aufgehen", sagt Ruck.

Das Bamf wird oft als langsame und bisweilen chaotische Behörde kritisiert. Vanessa Ruck vermittelt einen anderen Eindruck, wohl auch deshalb dürfen Journalisten sie bei der Arbeit begleiten. Sieben Stunden nach Arbeitsbeginn beißt sie zum ersten Mal von ihrem Pausenbrot ab. Mehr Mittagspause gibt es für sie an diesem Tag nicht, bis weit nach 19 Uhr wird die junge Juristin weitermachen: "Es ist doch keinem der Flüchtlinge geholfen, wenn ich um 15 Uhr den Stift fallen lasse." Sie will ihre Stelle beim Bamf gern verlängern. Dort, sagt sie, "kann ich mithelfen, eine der größten Krisen unserer Zeit zu lösen". Zumindest für Ahmad Hemidi hat sie am Ende der Anhörung eine Lösung gefunden - er wird wohl aller Voraussicht nach einen Aufenthaltstitel erhalten.

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