Es war ein messerscharfer Satz, den mir Frau Mandl, die Klassenlehrerin der 1a, irgendwann im Jahre 1986 entgegenwarf: "Oliver, Du kannst ja nicht mal für fünf Pfennig mitdenken." Ich hatte im Bastelunterricht etwas versemmelt. Ein Bild von einem Kirschbaum sollte verziert werden, zuerst mit weißen Blüten, dann mit roten Früchten. Ich machte Schritt zwei vor Schritt eins und begann mit den Früchten. Im Zeugnis verpackte Frau Mandl meine damalige Minderleistung in folgende hübsche Formulierung: "Gestellte Aufgaben führte er selbständig aus, jedoch ging seine rasche Arbeitsweise des öfteren zu Lasten einer sorgfältigen Darstellung."
Die Kinder vorbereiten auf den "Ernst des Lebens", auf die harte Berufswelt, das war - rückblickend gesehen - das oberste Ziel der strengen Frau Mandl. Vielleicht sind die Zeugnisse der ersten Klassen auch deshalb wie Arbeitszeugnisse formuliert: "Das Verhältnis zur Lehrkraft war störungsfrei", hieß es da zum Beispiel, oder: "Seine Schulsachen hielt Oliver im allgemeinen in Ordnung". Womöglich wirkte sich dabei negativ aus, dass mir im Schulranzen einmal eine ganze Tube Uhu ausgelaufen ist, die Hefte, Bücher, Mäppchen und alles, was sich sonst darin befand, wochenlang verklebte.
"Net gmotzt isch globt gnug" (hochdeutsch: Nicht schimpfen reicht als Lob), dieser alte schwäbische Satz war die Grundmaxime vom Frau Mandl, obwohl sie gebürtig aus München kam. Nur extrem selten wich sie davon ab, etwa, als sie sich im Halbjahreszeugnis der 2. Klasse positiv zu meinen Mathematik-Kenntnissen äußerte: "Geldbeträge kann er miteinander vergleichen, wechseln und ordnen." 30 Jahre später ist noch eine weitere Fähigkeit hinzugekommen: Geldbeträge ausgeben kann Oliver inzwischen auch sehr gut.
Oliver Klasen, SZ.de, Panorama, Gesellschaft und Stil