Schule:Italiens Schüler im Süden sind schlauer

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Wie kam es zur wundersamen Vermehrung von Bestnoten in Süditalien?

(Foto: AFP)

Die meisten Abiturienten mit Bestnoten kommen dieses Jahr ausgerechnet aus dem strukturschwachen Süden. Der Norden ist empört.

Von Oliver Meiler

Manch Wunder verwelkt schon im allgemeinen Unglauben, bevor es seinen schönen Zauber entfalten kann. Dieser Tage, mitten in den großen Schulferien, hat das italienische Erziehungsministerium die Resultate des aktuellen Jahrgangs der Abiturienten von 2016 veröffentlicht. Da erfuhr man zum Beispiel, dass von allen Prüflingen im Land nur gerade 0,5 Prozent durchgefallen sind. Macht eine Erfolgsquote von sagenhaften 99,5 Prozent. Und die durchschnittliche Leistung derer, die bestanden haben, soll auch noch deutlich besser gewesen sein als im Vorjahr.

Noch erstaunlicher ist die geografische Verteilung jener schlauen Köpfe, die bei den Schlussexamen nicht nur maximale Punktzahl erreichten, sondern noch eine Auszeichnung erhielten: "100 e lode", 100 cum laude. Die meisten hochbegabten jungen Menschen gibt es demnach in den süditalienischen Regionen Apulien, Kampanien, Sizilien und Kalabrien, in dieser Reihenfolge. Der geballte Mezzogiorno - er steht für einmal ganz oben, mit großem Vorsprung vor dem Norden. Jedes fünfte Genie der neuen Generation lebt offenbar in Apulien, auf einem doch recht schmalen Fleck am Absatz des Stiefels.

Nun, so sehr man dem ausgezehrten Süden eine solche Revanche über den oftmals etwas blasierten Norden gönnen würde: Niemand vertraut den Zahlen. Im Norden sind sie sogar empört ob der guten Zensuren im Süden, weil die Punktezahl darüber entscheidet, an welcher Hochschule man studieren darf. In Italien beschenkt der Staat außerdem die Allerbesten, eben jene mit "100 e lode", mit einem Bonus: Früher gab es 1000 Euro, nun nur noch 600 Euro. Aber immerhin.

Ist so ein Umschwung möglich?

"Die Rechnung geht nicht auf", schreibt die Zeitung Corriere della Sera aus Mailand. Sie erinnert an die Ergebnisse unabhängiger nationaler und internationaler Tests aus der jüngeren Vergangenheit, die ein exakt umgekehrtes Klassement ergeben hatten: Oben der Norden des Landes, in der Mitte das Zentrum, unten der Süden. Die Pisa-Studie zeigte, dass in keiner Region Italiens die 15-Jährigen einen größeren Bildungsrückstand aufweisen als in Sizilien. Das ist zwar schon zehn Jahre her. Doch niemandem wäre aufgefallen, dass das Bildungswesen auf der Insel in der Zwischenzeit markant verbessert worden wäre. Nun zählt Sizilien aber plötzlich doppelt so viele Topleistungen wie die Lombardei.

"Mal ehrlich", fragt der Corriere rhetorisch, "ist so ein Umschwung möglich?" Verhandelt wird die These, wonach die Lehrer im Süden allgemein großherziger sind mit ihren Schülern, weil im Süden nun einmal alle an diesem diffusen Gefühl der Randständigkeit und der Vernachlässigung leiden - aus regionaler Solidarität also.

Natürlich ließe sich die Verzerrung beheben, indem man alle Prüflinge im Land demselben Examen unterzöge und ihre Elaborate zur Bewertung einer zentralen Prüfungskommission unterbreitete. Zumindest bei den schriftlichen Examen ginge das leicht. Das wäre auch fairer. Doch ist fair in diesem Fall auch wirklich gut? Man muss nämlich annehmen, dass noch viel mehr Jugendliche im Süden die Schule frühzeitig abbrechen würden, kämen sie nicht wie durch ein Wunder immer weiter. Immer weiter mit aufmunternd guten Noten.

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