Süddeutsche Zeitung

Israel:Gemeinsam lernen unter Davidstern und Halbmond

An den Hand-in-Hand-Schulen in Israel sitzen jüdische und muslimische Kinder in einer Klasse. Dieses Miteinander, so die Hoffnung, sollen sie eines Tages in die Gesellschaft tragen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Beit Berl

Vor der Tür stehen jede Menge kleiner Gummistiefel, aus dem Inneren des Bungalows ist ein Lied zu hören, zuerst in hebräischer Sprache, dann auf Arabisch. 19 Kinder sitzen auf grünen Plastikstühlen im Kreis, dazwischen die beiden Lehrerinnen Adi Angert und Shehanaz Nasser. Die eine ist Jüdin, die andere Muslimin, sie trägt ein Kopftuch.

Jede der Lehrerinnen benutzt ihre Sprache, die Kinder sprechen sowohl Arabisch als auch Hebräisch. Das ist eine Besonderheit, denn in ganz Israel gibt nur acht bilinguale Schulen - obwohl zwanzig Prozent der Bevölkerung arabische Israelis sind. Vor zwanzig Jahren haben sich jüdische und arabische Eltern und Pädagogen zusammengetan und die Organisation Hand in Hand gegründet, das Zentrum für jüdisch-arabische bilinguale Bildung in Israel. 1998 wurden die ersten Schulen in Jerusalem und Galiläa eröffnet, inzwischen gibt es sechs Hand-in-Hand-Einrichtungen mit insgesamt 1850 Schülern. Jene in Beit Berl, rund 25 Kilometer von Tel Aviv entfernt, mit einem Kindergarten und einer ersten Klasse ist die jüngste Einrichtung, sie wurde 2015 eröffnet.

Gegenwart und Zukunft gemeinsam gestalten

Insgesamt vierzig Kinder spielen und lernen in diesem Haus, das von einem großen Spielplatz mit Sandkisten und Klettergerüsten umgeben ist. Es gibt keine in Reihen aufgestellten Schulbänke, sondern größere Tische, um die sich die Kinder in kleineren Gruppen versammeln. An den Wänden hängen selbstgebastelte Plakate, darauf sind der Davidstern, aber auch der Halbmond, ein Emblem des Islam, zu sehen. Es wird sowohl das hebräische als auch das arabische Alphabet gelehrt, alle Beschriftungen sind zweisprachig.

Aber hier geht es nicht nur um das Lernen von Zahlen und Zeichen, sondern um viel mehr: Um "ein Leben ohne Stereotype", wie es Shada Mansour bezeichnet. Oder darum, den Namen der Organisation in die Wirklichkeit zu übersetzen: dass Juden und Muslime in Israel einander die Hand reichen und gemeinsam Gegenwart und Zukunft gestalten.

Mansours sechsjährige Tochter Nai sitzt im Sesselkreis, neben ihr die gleichaltrige Maayan. Sie sind mit unterschiedlichen Sprachen und kultureller Prägung aufgewachsen, in ihren Familien werden andere Feiertage eingehalten und unterschiedliche Geschichten erzählt. Die palästinensische Sichtweise unterscheidet sich von der israelischen in vielem: wenn es um Geschehnisse in der Vergangenheit geht, aber auch um Ereignisse in der Gegenwart und um Perspektiven für die Zukunft.

Aber all das spielt für die beiden Mädchen keine Rolle, sie sind Freundinnen und nutzen ganz selbstverständlich die Worte in der anderen Sprache. Das verblüfft auch die Mutter. "Als ich in Nais Alter war, da wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte, wenn mich jemand auf Hebräisch ansprach. Aber in dieser Umgebung lernt man ganz natürlich die andere Seite kennen. Ich war ein sehr schüchternes Kind und ich will, dass meine Tochter eine selbstbewusste Frau wird."

Nicht nur die Töchter sind Freundinnen, ihre Mütter treffen sich ebenfalls außerhalb der Schule. Es ist zwar nicht vorgeschrieben, aber erwünscht, dass zwischen den Eltern, die ihre Kinder in eine Hand-in-Hand-Einrichtung schicken, Kontakte entstehen. Mansour ist die sogenannte Community-Managerin in Beit Berl, das Verbindungsglied zwischen Schule, Eltern und generell der Welt außerhalb. Die Kinder kommen aus den umliegenden Orten wie Kfar Saba, Taybeh und wie Mansour aus Tira.

In den Hand-in-Hand-Schulen gehören regelmäßige Treffen und Veranstaltungen zum Alltag. "Wir verstehen uns als Netzwerk", betont Gaby Goldman, die für die Kommunikation der Organisation zuständig ist. "Was wir machen, ist ziemlich einzigartig, dabei sollte es weit verbreitet und Alltag in diesem Land sein." Denn das hochgesteckte Ziel ist, das Miteinander aus den Klassenzimmern in die Gesellschaft zu tragen, um vorherrschende Barrieren im Land abzubauen und ein Klima der Verständigung zu ermöglichen.

"Wir können die Welt außerhalb nicht ausblenden"

Manchmal wird bei den Veranstaltungen auch nur diskutiert über das, was gerade passiert, etwa die Spannungen an der Grenze zum Gazastreifen, wo es seit Ende März zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und Israelis kommt. Das beschäftigt die Kinder genauso wie die Erwachsenen, die dann im Sesselkreis sitzen und debattieren. "Wir können die Welt draußen nicht ausblenden. Es ist wichtig, dass wir darüber reden und unsere unterschiedlichen Sichtweisen austauschen", sagt Mansour. Trotz eines israelischen Passes komme sie sich als Bürgerin zweiter Klasse vor. "Das ist die Realität in Israel, es gibt auch viele Vorurteile, die man im Alltag merkt und auch im Beruf. So entstehen Feindbilder und Stereotype. Eigentlich soll es um ein Miteinander gehen."

Das Nationalstaatsgesetz, das im vergangenen Juli beschlossen wurde, bezeichnet sie als "harten Schlag". Denn darin wird Israel als jüdischer Staat beschrieben, und der bisherige Status von Arabisch als Amtssprache wurde gestrichen. In den Hand-in-Hand-Schulen werden aber weiter beide Sprachen verwendet. An Protesten gegen das Gesetz nahmen Tausende teil, die Hand-in-Hand-Organisation hielt öffentliche Arabisch-Kurse auf Plätzen ab. Für die Israelin Yael Witkon ist wichtig, dass ihre Tochter Maayan auch die muslimischen Festtage kennt. Das gemeinsame Begehen von Feiertagen ist ein wichtiger Bestandteil in Hand-in-Hand-Einrichtungen, auf diese Weise lernen Kinder viel über die jeweils andere Kultur und Religion. So wird das jüdische Purim-Fest mit Kostümen, Tänzen und Geschenken genauso begangen wie das Zuckerfest, mit dem Muslime das Ende des Fastenmonats Ramadan feiern.

Etwa zwanzig Tage machen die Ferien rund um religiöse Feiertage in Beit Berl aus. Etwa die Hälfte davon richtet sich nach dem in Israel verwendeten jüdischen Kalender, der Rest nach den muslimischen Gebräuchen. An diesen Tagen müssen alle anderen der rund 7000 Schüler auf dem weitläufigen Campus von Beit Berl in den Unterricht.

Diese relativ freie Einteilung ist nur möglich, weil die Hand-in-Hand-Schule in Beit Berl keine vom Staat voll anerkannte Bildungseinrichtung ist, wie die anderen Einrichtungen der Organisation. Seit dem Start kämpfen die Eltern darum. Im israelischen Bildungssystem hat der Schulstandort über die Anerkennung zu entscheiden, die Stadt Kfar Saba hat bisher kein grünes Licht gegeben. Bei anerkannten Schulen übernimmt der Staat 40 Prozent der Kosten, 40 Prozent müssen aus Spenden finanziert werden, der Rest wird durch Schulgeld eingenommen, das sind pro Jahr und Schüler umgerechnet 1200 Euro.

In Beit Berl ist notgedrungen der Spendenanteil größer. Die eine Hälfte der Kinder hat einen jüdischen, die andere einen arabischen Hintergrund. Es gibt kein Aufnahmeverfahren, aber Wartelisten, was die Community-Managerin als gutes Zeichen wertet. "Was hier entsteht, gibt uns allen Hoffnung", meint Mansour mit einem Blick auf die miteinander singenden Kinder.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2018/dd
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