Islam in Deutschland:Machtkampf um die wahre Lehre

Merkez-Moschee  Duisburg

Die Merkez-Moschee in Duisburg.

(Foto: dpa)

Wer deutet den Koran in Deutschland? Die muslimischen Verbände pochen auf mehr Einfluss und provozieren damit islamische Professoren.

Von Roland Preuß

Er hat sich jetzt in Rage geredet. "Welche These vertrete ich, die den Islam verwässert?", ruft Mouhanad Khorchide. "Ich bin letztlich Gott Rechenschaft schuldig und meinem Gewissen!" Es sind Worte, für die der Islamprofessor aus Münster kräftigen Applaus bekommt an diesem Nachmittag in einer Hamburger Moschee. Wenn auch das einzige Mal.

Er klingt nach Martin Luther dann, nach "hier stehe ich und kann nicht anders." Er darf sich viel anhören an diesem Tag. Er sei inkompetent, stehe außerhalb des anerkannten Islam, gefalle sich in der Rolle als Rebell. Khorchide lässt die Mundwinkel noch etwas mehr hängen als sonst, sitzt im Publikum und hört zu. Doch danach, als das Treffen vorbei ist, werden Muslime zu ihm kommen, von seinem Buch schwärmen, Mut zusprechen. Und er wird ein Angebot machen an seine Gegner.

An dem Münsteraner Professor hat sich ein heftiger Streit entzündet zwischen Wissenschaftlern, Staat und großen Muslimverbänden. Vor vier Jahren haben Bund und Länder zig Millionen in die Hand genommen, um den Islam an deutsche Hochschulen zu bringen. Lehrstühle für islamische Theologie wurden errichtet, islamische Religionspädagogik und Geschichte etabliert.

Sie sollten dem Land heimische Imame und Islamlehrer für staatliche Schulen bescheren. Sie sollten Islam und Wissenschaft zusammenbringen. Und, ja, die Muslime integrieren in diesen Staat, zumindest in seine Schulen und Hochschulen. Das steht nun auf dem Spiel, nicht nur in Münster. "Der Streit schadet auch den Islamprofessoren an anderen Universitäten", sagt Mustafa Yoldaş.

Kritiker finden sich genug

Der Arzt ist Vorsitzender der Schura Hamburg, dem Zusammenschluss der Muslime dieser Stadt, und Mitglied beim umstrittenen Moscheeverband Millî Görüş. Yoldaş hat an diesem Tag Ende Januar zusammen mit dem Islamischen Zentrum Hamburg eingeladen zur "Einheitskonferenz". Der Gebäudekomplex liegt vornehm an der Außenalster, gekrönt von einer Moschee mit türkisen Kacheln. Einst erwarben persische Kaufleute das Grundstück, als in dem Land noch der Schah herrschte*; inzwischen heißt das Land Iran und aus der Glasvitrine am Eingang grüßt Ayatollah Khomeini. Das Treffen ist der bisher letzte Versuch, Khorchide und die Muslimvertreter zu versöhnen.

Der Einigungsversuch in Hamburg leidet schon unter einem Geburtsfehler: Die Vertreter der großen Verbände, Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime, aber auch Funktionäre vom Islamrat, dem türkischen Religionsverband Ditib und der Gemeinschaft Millî Görüş haben in letzter Minute abgesagt. Man will mit dem Abtrünnigen nicht einmal reden.

Kritiker finden sich dennoch genug. Es habe immer eine große Bandbreite bei der Auslegung des Koran gegeben, sagt Yoldaş. Doch müsse der Rahmen stimmen. "Die islamische Theologie ist eine Angelegenheit der Muslime. Sie ist kein Mittel der Sicherheitspolitik und auch nicht der Integrationspolitik", sagt Yoldaş und erntet kräftigen Applaus.

Verbreitet ist die Angst, dass vom Staat ausgesuchte "Hoftheologen" einen weichgespülten Islam vermitteln, um den Ansprüchen deutscher Politik zu genügen. Das wäre nicht mehr der wahre Glaube für viele hier. Ein junger Mann mit Vollbart sagt in die Runde: Der Koran sei die Wahrheit und dort stehe, dass Christen und Juden nicht aufhören werden, ehe sie die Muslime vom Glauben abgebracht hätten. "Was bedeutet das in diesem Zusammenhang?"

Der Professor muss weg

Hier kommt Khorchide ins Spiel. Er war 2010 als Professor für Islamische Religionspädagogik an die Uni Münster berufen worden. Eigentlich soll ein Beirat von Muslimen bei der Berufung mitentscheiden, ähnlich wie die Kirchen bei Theologen ihr Veto einlegen können, wenn jemand abweichende Vorstellungen vertritt. Doch das Bundesinnenministerium lehnte mehrere Kandidaten der Verbände ab, weil sie Millî Göruş angehören. Der Verband wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Bund will kein Geld geben für Projekte, an denen Extremisten mitwirken würden. Der Beirat ist bis heute nicht arbeitsfähig. Also stimmten die Muslime informell zu.

Doch seitdem ist aus ihrer Sicht viel schiefgelaufen: Khorchide hat zwei Bücher geschrieben, eines zur Scharia ("Der missverstandene Gott") und "Islam ist Barmherzigkeit". In einem greift er die Muslimbrüder an, im anderen einen traditionellen Islam, der auf Strafe und Angst setze.

Keine Gleichberechtigung

Er stellt dem einen Islam entgegen, der auf Barmherzigkeit baut. Eine schöne Gegenthese zum landläufigen Ruf des Islam als Inspiration für Radikale und Terroristen. Hinzu kommt Khorchides Echo in den Medien. Er ist gefragt als Islam-Experte. "Er hat viel Aufmerksamkeit bekommen, die er eigentlich nicht verdient", sagt Yoldaş. "Er wird von islamfeindlichen Medien instrumentalisiert und er merkt das nicht."

Die Muslimverbände verstehen all dies als Attacke auf sich und ihre Lehren. Im Zentralrat etwa ist der deutsche Ableger der Muslimbrüder organisiert, auch bei den übrigen Verbänden reagiert man auf die Thesen von der Barmherzigkeit sehr unbarmherzig. Anders als die Kirchen können ihm die Muslimverbände aber nicht die Lehrerlaubnis entziehen. Sie sind noch nicht gleichberechtigt, so sehr sie sich das wünschen. Also wird Khorchide anders demontiert. Ein Gutachten der Muslimverbände wirft dem Professor vor, den Pfad des wahren Glaubens verlassen zu haben. Von so einem wolle man keine Islamlehrer ausgebildet haben.

Ein Freiburger Islamwissenschaftler bezichtigt ihn des Ideen-Plagiats. Das Verhältnis zu Khorchide sei "nachhaltig zerrüttet und irreparabel beschädigt", ließen die Verbände wissen. Im Klartext: Der Professor muss weg.

Es ist ein Machtkampf, der da tobt. Wer sucht die Islamtheologen aus, der Staat oder die Muslimverbände? Und wie weit muss sich ein Professor nach den religiösen Vorstellungen der Verbände richten? Man kennt das von der Kirche, von Theologen wie Hans Küng, denen der Vatikan die Lehrerlaubnis entzog. Nur dass es hier muslimische Interessenverbände sind mit ihrer eigenen Mentalität. Angestoßen von Gastarbeitern, oft geführt von Ehrenamtlichen ohne Theologiestudium. Einzige Ausnahme: die türkisch-halbstaatliche Ditib, die auf Theologen in der Türkei zurückgreift.

Nur eine Ditib-Mitarbeiterin bescheinigt Khorchide in dem Gutachten, er bewege sich "im Rahmen der islamischen Lehre". In den Moscheen aber pflegen die Verbände einen volkstümlichen Islam fernab der Wissenschaft. Die Imame werden selbst ausgewählt, die Predigten oft vorgegeben. Und nun kommen da Professoren mit Koran-Hermeneutik und historisch-kritischer Methode. Da prallen zwei Kulturen aufeinander.

"Weder originell noch revolutionär"

Das macht nicht nur Khorchide deutlich. Die Verbände sollten doch sehen, dass Khorchide den Studenten nicht nur seine Auffassung des Islam lehre, sagt die Hamburger Islamprofessorin Katajun Amirpur. "Es führt kein Weg daran vorbei, die Wissenschaftlichkeit der neuen Disziplin ernst zu nehmen", sagt Ertuğrul Şahin vom Frankfurter Institut für Religion des Islam.

Deutlicher wird Harry Harun Behr, Professor für islamische Religionslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Khorchide ist absolut im Rahmen der islamischen Lehre", sagt der gläubige Muslim. Solche Thesen würden seit 30 Jahren in der islamischen Welt diskutiert. "Seine Thesen sind weder originell noch revolutionär." Behr hat seine Erfahrungen gemacht mit den Islamverbänden. "Die denken, sie sind die eigentlichen Theologen."

Und Khorchide? War es klug von ihm, ein provokatives Buch vorzulegen, sich feiern zu lassen als "liberalen Muslim"? Für Antworten führt einen der Professor in ein Nebengebäude der Moschee, "wo wir Ruhe haben und vor allem Sicherheit". Man könne einem Wissenschaftler doch nicht vorschreiben, welche Bücher er schreibe, sagt er. "Mir hilft das Image als superliberaler Muslim nicht. Ich verkaufe mich nicht als Aufklärer und Erneuerer." Den Verbänden fehle ein Grundverständnis dafür, was Theologie leisten solle. Sein Angebot: ein offener Dialog mit den Verbänden. "Ich will Frieden." Behr macht da wenig Hoffnung. Offene Debatten, sagt er, gelten den Brüdern als unbrüderlich.

*Update: In einer früheren Version des Artikels hatte es geheißen, das Grundstück sei Persien von der Stadt Hamburg geschenkt worden. Richtig ist, es wurde von persischen Kaufleuten erworben.

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