Schülerleistungen:Stillstand als Erfolg

Schueler sitzen in einer Unterrichtsstunde im Chemieunterricht der Georg Christoph Lichtenberg Gesam

Schüler im Chemieunterricht: Die Kultusminister haben zum zweiten Mal die Kompetenzen der Neuntklässler in Mathematik und Naturwissenschaften untersucht.

(Foto: imago/photothek)

Deutschlands Neuntklässler sind in Mathematik und Naturwissenschaften in etwa so gut wie vor sechs Jahren, zeigt die neue Studie der Kultusminister. Der Osten sackt allerdings ab, vor allem die Jungen verschlechtern sich.

Von Paul Munzinger

Welche Botschaft diese Aufgabe wohl in den Köpfen von Neuntklässlern hinterlässt? Zu sehen ist eine Zapfsäule, an der gerade jemand getankt hat, 47,22 Liter für insgesamt 58,51 Euro. Neben der Anzeige klebt ein Sticker, der durchaus vorwurfsvoll darüber informiert, dass auf jeden getankten Euro 73 Cent Steuern entfallen. "Wie viel erhält der Staat bei der dargestellten Tankfüllung an Steuern?", lautet die erste Frage an die Schüler, die allerdings nicht zwingend rechnen müssen, sie haben fünf Beträge zwischen 15,80 Euro und 90,45 Euro zur Auswahl. Teilaufgabe 2 beginnt mit dem Satz einer gewissen Petra. "Wenn der Staat überhaupt keine Steuern auf Benzin mehr erheben würde, würde der Benzinpreis auf etwa ein Viertel des jetzigen Preises sinken." Die Schüler sollen erklären, wie Petra zu dieser Aussage kommt - rein mathematisch natürlich.

45 000 Neuntklässlerinnen und Neuntklässler an bundesweit 1500 Schulen haben sich im vergangenen Jahr an mathematischen und naturwissenschaftlichen Aufgaben dieser Art versucht. Dabei ging es nicht um Noten, sondern darum, dass Wissenschaftler im Auftrag der Bundesländer den Leistungsstand deutscher Schüler am Ende der sogenannten Sekundarstufe 1 ermitteln können. Das Ergebnis, den IQB-Bildungstrend 2018, stellten Forscher des Berliner Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) am Freitag vor. Er bestätigt das Bild, das bereits viele andere Vergleichstests ergeben haben: Schüler in Sachsen und Bayern schneiden besonders gut ab, Bremen und Berlin fallen ab.

In Mathematik erfüllen in keinem Bundesland mehr Schüler die fachlichen Erwartungen der neunten Klasse als in Sachsen - nämlich 57 Prozent. Und in keinem Bundesland liegen mit 14 Prozent weniger Schüler unterhalb der von den Ländern festgelegten Mindeststandards. Bayern liegt bei beiden Werten knapp dahinter, holt sich dafür die besten Werte in Biologie, Chemie und Physik. Nur Thüringen kann mit dem Spitzenduo in Einzelwertungen mithalten. Ganz anders Berlin und Bremen: 34 respektive 41 Prozent der Neuntklässler erreichen hier in Mathe nicht das Mindestniveau. Bundesweit liegt der Anteil bei 24 Prozent, in Biologie (5 Prozent), Chemie (17 Prozent) und Physik (9 Prozent) liegen die Werte deutlich darunter. Allerdings gilt dieses Mindestniveau für den Mittleren Schulabschluss in der 10. Klasse - den Schülern, die am Test teilnehmen, bleibt also noch ein Jahr, um aufzuholen.

Ein Viertel der Schüler unter dem Mindeststandard

Die Forscher um IQB-Chefin Petra Stanat werten die Ergebnisse trotz dieser teils hohen Werte als Erfolg. Ihre Begründung: Im Vergleich zu 2012 sind die Leistungen der Schüler stabil geblieben - obwohl die Herausforderungen, vor denen die Schulen stehen, gewachsen sind. Denn auch in den neunten Klassen zeigen sich nun Veränderungen, die in den Grundschulen schon länger sichtbar sind: Sie sind "heterogener" geworden, wie das die Wissenschaftler nennen, will heißen: bunter - und dadurch für die Lehrer nicht einfacher. Um sieben Prozentpunkte hat zwischen 2012 und 2018 der Anteil der Neuntklässler zugenommen, von denen mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde. Bundesweit liegt er nun bei einem Drittel, in Bremen und Berlin bei knapp der Hälfte, in Bayern bei 29 Prozent, in Sachsen bei 12 Prozent.

Dazu besuchen im Zuge der Inklusion deutlich mehr Schüler eine Regelschule, die früher noch auf eine Förderschule gegangen wären. Die Quote der Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die eine Regelschule besuchen, stieg bundesweit um 20 Prozentpunkte. Und nirgendwo wird die Inklusion so konsequent umgesetzt wie in den traditionell links regierten Stadtstaaten Berlin und Bremen. Zwei Drittel der Jugendlichen mit Förderbedarf gehen in der Hauptstadt auf eine Regelschule, in Bremen sind es sogar 88 Prozent. Das schlechte Abschneiden beider Länder hat maßgeblich damit zu tun, dass ihre Klassen sich anders zusammensetzen als in den Flächenstaaten. In Sachsen liegt die Inklusionsquote bei 26 Prozent.

Absturz Ost

Doch obwohl die Leistungen der Schüler mit Blick auf ganz Deutschland keine nennenswerten Veränderungen zeigen, gibt es in einzelnen Ländern durchaus einen Trend - und der zeigt häufig nach unten. Das gilt vor allem für ostdeutsche Flächenländer. In Brandenburg und Sachsen-Anhalt schneiden die Schüler in allen untersuchten Fächern schlechter ab als 2012, auch in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern zeigen sich teils deutliche Abwärtstrends. Bevor jetzt allerdings die Bildungskrise Ost ausgerufen wird: Alle Ostländer erreichten 2012 noch ein sehr hohes Niveau, das sie 2018 - anders als Bayern und Sachsen - nicht zu halten vermochten. Im Ländervergleich landen sie aber immer noch im oberen Mittelfeld.

Eine Erklärung für diese Entwicklung liefern die Forscher nicht, dafür zwei Ansatzpunkte. Erstens: In ganz Deutschland sinken die Leistungen an Gymnasien, besonders in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Zweitens: Der Abwärtstrend betrifft vor allem Jungen. In Brandenburg und Sachsen-Anhalt, aber auch in Schleswig-Holstein und Thüringen schneiden sie 2018 in Mathe und Naturwissenschaften schlechter ab als 2012. Bei Mädchen gibt es einen solchen Abfall in keinem Bundesland.

Die Studie zeigt auch: Jungen interessieren sich im Schnitt weniger für die Fächer und glauben weniger an sich als noch vor sechs Jahren, vor allem in Mathe. Doch zumindest in Mathe ist es auch hier ein Abstieg auf hohem Niveau, nach wie vor rechnen Jungen deutlich sicherer als Mädchen. In Biologie ist es umgekehrt, hier liegen die Mädchen vorne. Interessant sind die Befunde in Chemie und Physik. In beiden Fächern sind sowohl Selbstvertrauen als auch Interesse der Jungen deutlich stärker ausgeprägt. Doch die besseren Leistungen bringen die Mädchen.

Eine Leistungsdelle bei den Gymnasien, ein Abschwung im Osten, ein Gender Gap auch in der Schule: Der IQB-Bildungstrend hat sowohl den Schulen als auch den Bundesländern ausreichend Stoff geliefert, den es nun zu analysieren und aus dem es Lehren zu ziehen gilt. Dazu kommt ein Problem, das zwar längst überall erkannt, aber noch immer nicht gelöst ist: Die Kopplung zwischen der Leistung der Schüler und dem sozialen Status ihrer Familien ist, so heißt es in der Studie, nach wie vor "substanziell".

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