Von der Schöpfungslehre hören Kinder spätestens in der Grundschule im Religionsunterricht. Die Evolution dagegen ist dort im Sachunterricht kein Thema, selbst wenn Tiere und Pflanzen auf dem Lehrplan stehen. Mit dem Projekt Evokids wollen Wissenschaftler wie Dittmar Graf, Professor für Biologiedidaktik an der Universität Gießen, das ändern. Sie sind überzeugt, dass das Thema schon Kindern in diesem Alter nahegebracht werden sollte.
SZ.de: Die Evolutionstheorie wird auf den weiterführenden Schulen behandelt. Ist das nicht früh genug?
Dittmar Graf: Normalerweise wird die Evolution erst in der siebten, achten oder sogar erst in der zehnten Klasse gelehrt, weil sie sich angeblich erst verstehen lässt, wenn auch Grundkenntnisse in Genetik vorhanden sind. Für Grundschüler soll es deshalb zu früh sein. Das ist das Standardargument gegen Evolution in der Grundschule.
Wieso sehen Sie das anders?
Natürlich gibt es bestimmte Evolutionsmechanismen, die sich ohne Genetik nicht verstehen lassen. Aber die Tatsache, dass sich Organismen im Laufe der Erdgeschichte verändert haben, dass sie sich an die Umwelt angepasst haben, und dass so verschiedene Arten entstanden und auch wieder ausgestorben sind, das können Kinder in der Grundschule natürlich begreifen. Mit altersgerechten Materialien lässt sich dort das Verständnis der Evolution vorbereiten.
In den Grundschulen gibt es den Sachunterricht, in dem auch Arten und ihre Anpassungen an die Umwelt angesprochen werden. Reicht das nicht?
Den Kindern wird dort Detailwissen über einzelne Tier- und Pflanzenarten, über Frühblüher oder die Bedeutung von Hecken beigebracht. Aber die historisch-evolutive Perspektive fehlt komplett, obwohl sie viel wichtiger ist. Es könnte zum Beispiel auch die Menschengeschichte thematisiert werden und unsere Verwandtschaft mit dem Schimpansen. Das ist in vielen Köpfen, die die Lehrpläne für die Grundschulen festlegen, bis jetzt nicht etabliert. Die haben den Stellenwert der Evolution - auch für das Verständnis des Menschen - offenbar selbst noch nicht erkannt.
Dittmar Graf ist Professor für Biologiedidaktik an der Universität Gießen
(Foto: Dittmar Graf)Die Kinder lernen im Religionsunterricht ein Bild von der Entstehung der Welt und der Arten kennen, das auf der Bibel oder auf dem Koran beruht. Dieser Unterricht soll auch ausdrücklich im Sinne der Glaubensgemeinschaften stattfinden. Wie finden Sie das?
Religion ist ein Phänomen, das unsere Gesellschaft durchzieht. Darüber sollten Kinder natürlich etwas erfahren. Und es ist besser, wenn das im staatlich kontrollierten Religionsunterricht geschieht als außerhalb der Schule, wo nicht mehr zu sehen ist, was eigentlich gelehrt wird.
Selbst im Ethikunterricht wird den Kindern manchmal die Schöpfungsgeschichte als Wahrheit vermittelt, und nicht nur als etwas, das religiöse Menschen glauben.
Es kommt da auch entscheidend auf die Lehrer an. Im Zentrum unserer Argumentation steht, dass die Evolutionsbiologie in ihrer Bedeutung für unser Welt- und Menschenbild maßlos unterschätzt wird. Der Unterricht wird dem in den ersten sechs Jahren nicht gerecht.
Es ist also auch eines Ihrer Ziele, den religiösen Schöpfungsmodellen in der Grundschule etwas entgegenzustellen?
Die Evolutionstheorie hat selbst in unserer Gesellschaft ein Verständnis- und Akzeptanzproblem. Aus meiner Sicht ist die frühe Beschäftigung mit ihr auch deshalb notwendig, damit sich beim Nachwuchs ein fundiertes Menschenbild entwickeln kann.
Die Evolution des Menschen thematisiert dieses Bild im Museum Mensch und Natur in München
(Foto: Stephan Rumpf)Interessiert die Kinder selbst die Evolution überhaupt?
Wir haben etwa 200 Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse dazu befragt, worüber sie aus verschiedenen biologischen Bereichen gern mehr erfahren würden. Ob sie zum Beispiel mehr darüber wissen wollen, wie sich ihr Hund verhält, oder wie Bohnen keimen. Am häufigsten wollten sie Dinge aus den Bereichen Evolution und Zoologie wissen, etwa wie Organismen aus dem Wasser an Land übergegangen sind oder wie sich die Erde verändert hat. Über Humanbiologie und Botanik wollten sie nicht so viel erfahren.