Interview zum Unterricht in der Grundschule:Warum die Evolution schon Kindern erklärt werden sollte

Lesezeit: 4 Min.

Menschenaffen, die andere Menschenaffen im Zoo betrachten. Der Nachwuchs findet nichtmenschliche Primaten besonders interessant, gerade weil sie uns so ähnlich sind. (Foto: Rumpf)

In der Grundschule hören die Schüler von der Erschaffung der Welt durch Gott. Von der Evolution erfahren sie noch nichts. Das möchte die Initiative "Evokids" ändern. Die frühe Beschäftigung mit dem Thema sei notwendig, um ein fundiertes Menschenbild zu entwickeln, sagt Dittmar Graf, Professor für Biodidaktik an der Uni Gießen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Von der Schöpfungslehre hören Kinder spätestens in der Grundschule im Religionsunterricht. Die Evolution dagegen ist dort im Sachunterricht kein Thema, selbst wenn Tiere und Pflanzen auf dem Lehrplan stehen. Mit dem Projekt Evokids wollen Wissenschaftler wie Dittmar Graf, Professor für Biologiedidaktik an der Universität Gießen, das ändern. Sie sind überzeugt, dass das Thema schon Kindern in diesem Alter nahegebracht werden sollte.

SZ.de: Die Evolutionstheorie wird auf den weiterführenden Schulen behandelt. Ist das nicht früh genug?

Dittmar Graf: Normalerweise wird die Evolution erst in der siebten, achten oder sogar erst in der zehnten Klasse gelehrt, weil sie sich angeblich erst verstehen lässt, wenn auch Grundkenntnisse in Genetik vorhanden sind. Für Grundschüler soll es deshalb zu früh sein. Das ist das Standardargument gegen Evolution in der Grundschule.

Wieso sehen Sie das anders?

Natürlich gibt es bestimmte Evolutionsmechanismen, die sich ohne Genetik nicht verstehen lassen. Aber die Tatsache, dass sich Organismen im Laufe der Erdgeschichte verändert haben, dass sie sich an die Umwelt angepasst haben, und dass so verschiedene Arten entstanden und auch wieder ausgestorben sind, das können Kinder in der Grundschule natürlich begreifen. Mit altersgerechten Materialien lässt sich dort das Verständnis der Evolution vorbereiten.

In den Grundschulen gibt es den Sachunterricht, in dem auch Arten und ihre Anpassungen an die Umwelt angesprochen werden. Reicht das nicht?

Den Kindern wird dort Detailwissen über einzelne Tier- und Pflanzenarten, über Frühblüher oder die Bedeutung von Hecken beigebracht. Aber die historisch-evolutive Perspektive fehlt komplett, obwohl sie viel wichtiger ist. Es könnte zum Beispiel auch die Menschengeschichte thematisiert werden und unsere Verwandtschaft mit dem Schimpansen. Das ist in vielen Köpfen, die die Lehrpläne für die Grundschulen festlegen, bis jetzt nicht etabliert. Die haben den Stellenwert der Evolution - auch für das Verständnis des Menschen - offenbar selbst noch nicht erkannt.

Dittmar Graf ist Professor für Biologiedidaktik an der Universität Gießen (Foto: Dittmar Graf)

Die Kinder lernen im Religionsunterricht ein Bild von der Entstehung der Welt und der Arten kennen, das auf der Bibel oder auf dem Koran beruht. Dieser Unterricht soll auch ausdrücklich im Sinne der Glaubensgemeinschaften stattfinden. Wie finden Sie das?

Religion ist ein Phänomen, das unsere Gesellschaft durchzieht. Darüber sollten Kinder natürlich etwas erfahren. Und es ist besser, wenn das im staatlich kontrollierten Religionsunterricht geschieht als außerhalb der Schule, wo nicht mehr zu sehen ist, was eigentlich gelehrt wird.

Grundschule
:Wenn Schöpfung, dann auch Evolution

Grundschüler erfahren über die Entstehung der Welt offiziell nur das, was die großen Religionen dazu sagen. Den Kindern werden uralte Mythen vermittelt, während die Lehrpläne ihnen die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften dazu vorenthalten. Wieso das so ist, und warum es Bemühungen gibt, das zu ändern.

Von Markus C. Schulte von Drach

Selbst im Ethikunterricht wird den Kindern manchmal die Schöpfungsgeschichte als Wahrheit vermittelt, und nicht nur als etwas, das religiöse Menschen glauben.

Es kommt da auch entscheidend auf die Lehrer an. Im Zentrum unserer Argumentation steht, dass die Evolutionsbiologie in ihrer Bedeutung für unser Welt- und Menschenbild maßlos unterschätzt wird. Der Unterricht wird dem in den ersten sechs Jahren nicht gerecht.

Es ist also auch eines Ihrer Ziele, den religiösen Schöpfungsmodellen in der Grundschule etwas entgegenzustellen?

Die Evolutionstheorie hat selbst in unserer Gesellschaft ein Verständnis- und Akzeptanzproblem. Aus meiner Sicht ist die frühe Beschäftigung mit ihr auch deshalb notwendig, damit sich beim Nachwuchs ein fundiertes Menschenbild entwickeln kann.

Die Evolution des Menschen thematisiert dieses Bild im Museum Mensch und Natur in München (Foto: Stephan Rumpf)

Interessiert die Kinder selbst die Evolution überhaupt?

Wir haben etwa 200 Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse dazu befragt, worüber sie aus verschiedenen biologischen Bereichen gern mehr erfahren würden. Ob sie zum Beispiel mehr darüber wissen wollen, wie sich ihr Hund verhält, oder wie Bohnen keimen. Am häufigsten wollten sie Dinge aus den Bereichen Evolution und Zoologie wissen, etwa wie Organismen aus dem Wasser an Land übergegangen sind oder wie sich die Erde verändert hat. Über Humanbiologie und Botanik wollten sie nicht so viel erfahren.

Bestimmt wollten sie vor allem mehr über Dinosaurier wissen, oder?

Das Thema hatten wir bewusst nicht mit hineingenommen, weil das alles andere überlagert hätte. Aber auch so war das Ergebnis klar. Kinder interessieren sich eindeutig für das Thema Evolution. Und wenn das Verständnis dafür angebahnt werden kann, was spricht dann dagegen, es schon früh zu unterrichten?

Wie lässt sich diese komplizierte Theorie den Kindern denn vermitteln?

Mit einer spielerischen Herangehensweise. Mit Simulationen, bei denen die Kinder sich zum Beispiel selbst als Beutegreifer betrachten und dann beobachten, was mit den Gruppen von Organismen passiert, die sie fangen. Welche Rolle spielen verschiedene Farben der Beutetiere auf einer Wiese, wo die auffälligsten häufiger gefangen werden als die besser angepassten?

Es gibt erstes Unterrichtsmaterial zur Evolution für Grundschüler, das für Evokids erstellt wurde (Foto: Screenshot Evokids)

Es darf nicht zu abstrakt werden, dann werden die Anpassungsmechanismen schon gut verstanden. Das zeigt auch eine Doktorarbeit zu Unterrichtskonzepten, die ich betreut habe. Dort wurde zwar mit fünften Klassen am Gymnasium gearbeitet, aber für die ist die Evolution in der Schule sonst auch noch kein Thema.

Wie sich das Thema Grundschulkindern vermitteln lässt, hat übrigens auch der Schriftsteller Max Kruse - der unser Projekt unterstützt - in seinem jüngsten Urmel-Buch gezeigt. Das Urmel geht in diesem Kinderbuch auf eine Zeitreise, bei der es verschiedene Entwicklungsstadien der Erde erlebt.

Gibt es denn schon passendes Unterrichtsmaterial?

Kaum. Aber ich habe das Glück, an der Universität in der Ausbildung der Biologielehrer tätig zu sein. Deshalb kann ich solche Themen im Rahmen von verschiedenen Arbeiten, auch von Staatsexamensarbeiten, vergeben, um weiteres geeignetes Material zu entwickeln. Derzeit ist bei uns auch eine Stelle ausgeschrieben, auf der im Rahmen einer Promotion das Verständnis der Schülerinnen und Schüler im Grundschulalter und die Wirkung des Unterrichts weiter untersucht werden soll. Außerdem haben wir mit der Giordano-Bruno-Stiftung und dem Arbeitskreis Evolutionsbiologie einen Preis von 5000 Euro ausgelobt für Arbeiten zur Entwicklung solcher Materialien und Konzepte.

Katholischer Theologe
:Evolution in der Grundschule? - Unbedingt!

Kinder hören in Grundschulen von Gottes Schöpfung, Evolution steht nicht in den Lehrplänen. Unser Autor hat den katholischen Theologen Michael Hauber gefragt: Sollte Evolution schon vor der fünften Klasse im Unterricht besprochen werden?

Von Markus C. Schulte von Drach

Wen müssen Sie eigentlich überzeugen, damit Evolution in die Lehrpläne einziehen kann?

Diese Pläne entwickeln Kommissionen, die von den Kultusministerien der Bundesländer eingesetzt werden. In den allermeisten Fällen sitzen darin Sachunterrichtslehrerinnen und -lehrer sowie Leute aus den Ministerien. Diese Kommissionen orientieren sich in der Regel am sogenannten " Perspektivrahmen Sachunterricht". Der enthält Leitideen und auch relativ konkrete Angaben dazu, was im Sachunterricht gemacht werden sollte.

Dieser Perspektivrahmen wird alle paar Jahre von der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts herausgegeben. In dieser Fachgesellschaft sind diejenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertreten, die an den Universitäten die Lehrerausbildung für den Sachunterricht gestalten und in diesem Bereich auch forschen. Diese politischen und wissenschaftlichen Kreise müssen wir überzeugen.

Das klingt nach einem langen Weg.

Wir müssen da dicke Bretter bohren. Das geht nicht von heute auf morgen. Unser Projekt ist deshalb auf Jahre angelegt. Aber wir haben viele gute Argumente auf unserer Seite. In England ist man übrigens schon etwas weiter. Dort soll ab September Evolution immerhin in der sechsten Klasse an der Primary School behandelt werden.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Das Video zeigt ein Projekt an der Theodor-Heuss-Grundschule in Düsseldorf in zusammenarbeit mit dem Künstler Jacques Tilly.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: