Süddeutsche Zeitung

Internationale Schulen:Wer nimmt, soll auch geben

Digitalisierung, Integration, bilingualer Unterricht: Die internationalen Schulen hätten zu den Bildungsdebatten in Deutschland jede Menge beizutragen. Es wird Zeit, dass sie es tun.

Gastbeitrag von  Gert Rothstein und Matthias Trüper

In den 1950er-Jahren begannen Angestellte internationaler Firmen in der Bundesrepublik, für ihre Kinder Schulen zu gründen, die ihnen einen reibungslosen Übergang in die Schulen ihrer Heimat ermöglichen würden. Als Grundlage für das Curriculum wurde das International Baccalaureate (IB) entworfen und über die Jahrzehnte zu einem weltweit - auch in Deutschland - anerkannten Schulabschluss ausgebaut. Heute werden mehr als eine Million Schüler nach diesem Lehrplan in mehr als 160 Ländern unterrichtet.

Über Jahrzehnte hinweg gab es in Deutschland nur wenige dieser Schulen. Nach 1991 aber setzte eine rasche Neugründungsphase im Zuge der Globalisierung ein, sodass es heute 23 internationale Schulen gibt, die in der Association of German International Schools (AGIS) organisiert sind. Sie werden vom Council of International Schools (CIS) in regelmäßigen Abständen evaluiert. Aber auch die deutschen Kultusministerien prüfen diese Schulen, wenn sie als Ersatzschulen anerkannt sind. In diesem Fall erhalten die Schulen auch staatliche Förderung. Mit weiteren internationalen Schulformen aller Art gibt es heute etwa 80 Schulen.

Doch in der Öffentlichkeit werden diese Schulen kaum wahrgenommen. Dabei könnten sie zu den Diskussionen über G 8 oder G 9, bilinguales Lernen, sprachliche und kulturelle Integration sowie andere pädagogische Konzepte einen großen Beitrag leisten. Im Bereich Digitalisierung etwa sind internationale Schulen weitaus entwickelter. Warum tun sie es dann nicht? Hinter dieser Zurückhaltung steckt das falsche Selbstverständnis vieler internationalen Schulen, kein Teil des deutschen Bildungssystems zu sein.

Pro Jahr erhalten diese Schulen einen hohen zweistelligen Millionenbetrag vom Steuerzahler

Es ist schon erstaunlich, dass bei den finanziellen Gesamtleistungen durch den Steuerzahler - wir sprechen hier insgesamt über eine hohe zweistellige Millionensumme pro Jahr - die internationalen Schulen gelegentlich zu verstehen geben, mit dem deutschen System nichts zu tun zu haben. Das liegt vor allem an den häufigen Wechseln in Leitungspositionen, der die Schulen oft mehr belastet als fördert. Führungspositionen werden mit Leitern besetzt, die das deutsche System oft wenig kennen, geschweige denn mit den Behörden vor Ort kommunizieren können. Das liegt auch daran, dass die starke Einbindung der internationalen Schulen ins nationale Bildungssystem in anderen Ländern nicht vorhanden ist. Natürlich gibt es Ausnahmen unter den Schulleitern; dies sei ausdrücklich betont.

Aktuelle Diskussionen in Düsseldorf verweisen auf ein weiteres Problem. Medienberichten zufolge erreicht der Leiter der dortigen internationalen Schule fast die doppelte Gehaltshöhe wie etwa die Bundeskanzlerin. Derartig aus dem Ruder gelaufene Gehaltsstrukturen sind kein Einzelfall. Sie zeugen davon, dass viele dieser Schulen nicht wie pädagogische Einrichtungen geführt werden, sondern wie Wirtschaftsunternehmen. Häufig organisieren sich die Schulen zudem über Elternvereine. Auch das birgt ein Problem: Zu sehr sind oft die Interessen der Eltern mehr auf die Schulzeit der eigenen Kinder gerichtet als auf das langfristige Wohl der Schule.

Es wäre den internationalen Schulen zu wünschen, dass sie sich gegenüber dem deutschen Schulsystem entschiedener öffnen: Viele unterrichtsdidaktische Entwicklungen im deutschen Schulsystem könnten auch für internationale Schulen interessant sein. Umgekehrt könnten alle Schulen von den Erfahrungen der internationalen Schulen profitieren: Die Flexibilität des Curriculums, sehr gut ausgebildete Lehrer und auch die Tatsache, dass es an internationalen Schulen in aller Regel kein Sitzenbleiben gibt - all das sind Zielvorstellungen, die auch für viele deutsche Schulen interessant sind. Internationale Schulen sind zudem als Ganztagsschulen organisiert, mit vielfältigen sportlichen und kulturellen Aktivitäten. Hiervon könnten viele Tagesschulen in staatlicher Aufsicht enorm profitieren.

Staatliche und internationale Schulen sollten daher entschieden mehr aufeinander zugehen. Es böte sich an, Lehrer für ein Jahr auszutauschen und Formen der Kooperation für benachbarte Schulen zu finden. Dies würde die internationalen Schulen aus ihrem heutigen "Ghetto" herausführen. Doch nur wenige von ihnen arbeiten aktiv in diese Richtung. Es liegt vermeintlich wenig im Interesse der internationalen Elternschaft. Doch man darf nicht vergessen: Die größte Schülergruppe sind an vielen Schulen Deutsche. Mehr Stipendien für Schüler aus dem regionalen Umfeld würden darüber hinaus helfen, der sozialen Ghettobildung entgegenzuwirken.

Eine internationale Schule sollte idealerweise eine Schule sein, die sowohl dem intellektuell begabten wie auch dem eher praktisch orientierten Schüler eine faire Chance gibt. Dies ist zurzeit kaum der Fall - wer nicht auf die Universität möchte, sondern eine Berufsausbildung vorzieht, ist im System des IB eindeutig benachteiligt. Hier besteht für die internationalen Schulen großer Nachholbedarf, zumal sie in einem Land angesiedelt sind, in dem die duale Berufsausbildung wirklich funktioniert.

Noch fremdeln die beiden Schulsysteme: genau das müsste verändert werden. Diese Aufgabe gilt es anzupacken und auf Seiten deutscher und internationaler Schulen in praktisches Handeln umzusetzen. Viel ist in Bewegung, viel muss sich noch tun - gerade auf Seiten der internationalen Schulen. Es wäre eine Kooperation zum Wohle aller Schüler.

Info

Die beiden Autoren zählen zu den maßgeblichen Initiatoren der Internationalen Schulentwicklung in den 70er und 90er Jahren. Gert Rothsteinhat an der Munich International School und an der Bavarian International School die Grundlagen für staatliche Anerkennung gelegt. Matthias Trüper hat in Potsdam die erste internationale Schule im Großraum Berlin nach der Wende aufgebaut, war Mitgründer der AGIS und führt heute die Campusmondi Studienberatung in Berlin. Beide haben über einen längeren Zeitraum in den Neunziger Jahren mit der Kultusministerkonferenz verhandelt, um eineAnerkennung des IB als deutsche Hochschulzugangsberechtigung zu erreichen

Die beiden Autoren zählen zu den maßgeblichen Initiatoren der internationalen Schulentwicklung in den 70er- und 90er-Jahren. Gert Rothstein hat an der Munich International School und an der Bavarian International School die Grundlagen für staatliche Anerkennung gelegt. Matthias Trüper hat in Potsdam die erste internationale Schule im Großraum Berlin nach der Wende aufgebaut, war Mitgründer der AGIS und führt heute die Campusmondi Studienberatung in Berlin. Beide haben über einen längeren Zeitraum in den Neunzigerjahren mit der Kultusministerkonferenz verhandelt, um eine Anerkennung des IB als deutsche Hochschulzugangsberechtigung zu erreichen.

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SZ vom 25.02.2019
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