Integration:Was Schüler über Flüchtlinge in ihren Klassen denken

Flüchtlinge in einer Berufsschule

Gemeinsames Bankdrücken: Integration ist an vielen Schulen ein Kraftakt.

(Foto: Holger Hollemann/dpa)

300 000 Flüchtlinge sollen bis Jahresende deutsche Schulen besuchen. Eine Umfrage zeigt: Ihre Mitschüler sind skeptisch - aber nicht wegen der Herkunft der Neuen.

Von Johann Osel, Berlin

Da sind die schönen Geschichten: Flüchtlingskinder, die zwischen Pinseln und Klebstofftuben in die Normalität finden, die ihren ersten deutschen Alltagswortschatz lernen, Verben wie essen, trinken, gehen, sitzen. Lehrer kümmern sich rührend um die Neuankömmlinge, die Mitschüler sind offen. Wenn ein neues Kind in die Klasse komme, werde auf dem Globus nachgeschaut, woher es stammt - und "schwuppdiwupp ist es integriert", erzählt eine Mannheimer Grundschulpädagogin.

Auf der anderen Seite sind da täglich Hilferufe von Schulleitern, Kommunalpolitikern und Gewerkschaften: Viel mehr Lehrer seien nötig, Sozialpädagogen, Trauma-Experten und Dolmetscher, in vielen Schulen fehlten auch schon Räume. Und die pädagogische Herausforderung dürfe nicht vergessen werden: Etwa 300 000 schulpflichtige Flüchtlinge kommen 2015 an die Schulen, so die Schätzung, wenn man die bisherige Altersstruktur von Asylbewerbern zugrunde legt.

"Restlos überfordert" seien die Schulen, sagt zum Beispiel der Chef des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus. Doch wie denken Schüler und junge Erwachsene über die Herausforderung? Das zeigt nun eine repräsentative Forsa-Umfrage unter 14- bis 21-Jährigen im Auftrag des Stifterverbands für die Wissenschaft, der SOS Kinderdörfer und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Die Studie, die an diesem Dienstag erscheinen soll, liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Es fehlt an zusätzlichen Lehrern und individueller Förderung

Demnach stehen die Zeichen auf Skepsis: So bezweifelt eine Mehrheit der Befragten, dass die Integration an den Schulen gelingen kann. Drei Viertel trauen es dem Bildungssystem nicht oder kaum zu, die wachsende Anzahl von Schülern mit Zuwanderungsgeschichte zu verkraften - gerade jeder Vierte glaubt, dass die Schulen gut vorbereitet sind. Noch weniger Zutrauen zur Integrationsleistung des Schulsystems haben Jugendliche in Ostdeutschland (88 Prozent) und die bereits Volljährigen unter den Befragten (81 Prozent).

Woran es konkret fehlt? Genannt werden häufig: zusätzliche Lehrer und Betreuer, auch Pädagogen mit Fremdsprachenkompetenz sowie eine individuelle Förderung von Schülern als Grundprinzip - dazu müssten nach Ansicht vieler Befragten die Lehrer besser geschult werden. Interessant ist zudem, was Migranten sagen, die in Deutschland zur Schule gingen: Hier sehen 31 Prozent das Bildungssystem gut vorbereitet für Flüchtlingskinder, geringfügig mehr.

Woher kommt der Pessimismus? Ergebnisse der Bildungsforschung und internationale Vergleichstests, unter anderem die Pisa-Studie, bescheinigen Deutschland, dass es keine Bildungsgerechtigkeit gibt. Auch wenn es seit dem Pisa-Schock Fortschritte gegeben hat; Kinder mit Migrationshintergrund hinken in Vergleichstests hinterher, die Schulabbrecher-Quote ist doppelt so hoch wie die unter Deutschstämmigen; und erst kürzlich hatte der Berufsbildungsbericht der Bertelsmann-Stiftung diese Gleichung aufgestellt: Ausländische Wurzeln plus Hauptschulabschluss bedeutet Chancenlosigkeit.

Die Umfrage zeigt auch: Es gibt kaum Konflikte auf Grundlage von Herkunft

Allerdings zeigt die Umfrage auch: Es gibt an den Schulen kaum Konflikte aufgrund von Herkunft. Fast 90 Prozent aller Befragten berichten von einem guten oder sehr guten Verhältnis zwischen Schülern mit deutschen und ausländischen Wurzeln. Befragte, egal welchen Alters, sehen bei den Dingen, die Schule vermitteln soll, dieselben Kompetenzen an erster Stelle: Teamfähigkeit, Selbstorganisation und gutes Deutsch - mit Abstand folgt Mathematik. Doch nur in gut der Hälfte aller Studiengänge für Deutschlehrer ist "Deutsch als Zweitsprache" (DaZ) fest eingeplant, zeigen Daten des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Das an der Uni Köln angesiedelte Institut versucht seit Jahren, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. DaZ dürfe angesichts der aktuellen Lage "nicht weiter nur ein Randphänomen sein".

Die Schüler-Umfrage veröffentlichen der Stifterverband und die Partner am Dienstag zu ihrem "Tag der Bildung 2015" in Berlin. Aus der erstmals stattfindenden Veranstaltung soll künftig ein jährliches Debatten-Format entstehen - Schwerpunkt Chancengerechtigkeit in der Bildung. Grußworte kommen auch aus dem Bundesbildungsministerium und von der Kultusministerkonferenz (KMK). Politisch steht in diesen Tagen die Finanzierungsfrage, wie das Flüchtlingsthema generell, auf der Agenda.

Die Lehrergewerkschaft GEW und etwa auch die Grünen hoffen, dass nun doch das sogenannte Kooperationsverbot fallen könnte. Die Klausel im Grundgesetz verbietet es dem Bund, die in der Hoheit der Länder stehenden Schulen direkt zu finanzieren. Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD), die in der vergangenen Woche in Berlin zur KMK-Präsidentin 2016 gewählt wurde, kündigte an, die Integration von Zuwandern zu einem Schwerpunkt ihrer Amtszeit zu machen. Für die Bildungspolitik sei "eine ständige Anpassungsleistung an die gesellschaftlichen Gegebenheiten" erforderlich.

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