Integration:Ein Gefühl von Heimat

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Norbert Kron hat ein Buch über die "beste Schule für Einwanderer" in Tel Aviv geschrieben. Dort gelingt, was anderswo so häufig scheitert.

Von Johann Aschenbrenner

Israel macht es Berhe Gonetse nicht leicht. Seit fünf Jahren lebt der 18-Jährige in Tel Aviv, auf seiner Flucht aus Eritrea hat er schreckliche Dinge erlebt. Und doch ist er nur zu Gast in Israel, alle paar Wochen muss er sein Visum erneuern lassen. Trotzdem hat er hier eine Heimat gefunden. Das hat vor allem einen Grund: die Bialik-Rogozin-Schule in Tel Aviv, an der er vor kurzem seinen Abschluss gemacht hat. "Diese Schule ist mehr als eine Schule", sagt Berhe Gonetse. "Sie ist ein Zuhause."

Der Schriftsteller und Journalist Norbert Kron erzählt die Geschichte von Berhe Gonetse in dem Buch, das er über die Bialik-Rogozin-Schule geschrieben hat. Der Titel: "Ein Zuhause in der Fremde". In reportagehaften Kapiteln schildert er den Schulalltag und erzählt die berührenden Geschichten der Schüler wie Berhe Gonetse. Für Kron ist die Bialik-Rogozin nichts weniger als die "beste Schule für Einwanderer".

Kron stützt sein Urteil nicht allein auf das Gefühl von Heimat, das die Schule vielen ihrer Schüler vermittele - auch wenn sie wie Gonetse keine Juden sind und von manchen konservativen Israelis als "Eindringlinge" gesehen werden. Auch die Zahlen sind beeindruckend: Die Schüler kommen aus 51 verschiedenen Nationen, nicht einmal die Hälfte von ihnen hat einen israelischen Pass. 96 Prozent erreichen die Hochschulreife, was nur gut der Hälfte aller israelischen Schüler gelingt. Warum glückt hier, was anderswo so häufig scheitert: Integration? Und was können deutsche Schulen daraus lernen?

Einer der Grundsätze des Schulleiters Eli Nechama lautet: "Sei zuerst ein Mensch. Das ist wichtiger als Mathematik." Die Schule ist von morgens bis spätabends geöffnet, damit die Kinder und Jugendlichen sich nicht in den zwielichtigen Ecken des südlichen Tel Avivs herumtreiben. Es sei ihm wichtig, für die Schüler so da zu sein, als seien sie seine eigenen Kinder, sagt Nechama. Wichtig ist ihm auch, die Talente jedes Schülers zu entdecken und zu fördern. Die Schule bietet ein breitgefächertes künstlerisches und kreatives Programm - vom Ballettunterricht bis hin zu einem internationalen Garten, in dem auch die Pflanzen die verschiedensten "Migrationshintergründe" haben.

Nechama ist überzeugt, dass Integration nicht ohne Regeln funktioniert. Nicht nur die Kinder, auch deren Eltern sollen lernen, wie die israelische Gesellschaft funktioniert. Für sie gibt es eine Abendschule, mit Sprach-, Werte- und Kultur-Unterricht. Ihre Kinder wiederum sollen über ihre neue Heimat Bescheid wissen und nach der Schule möglichst Militärdienst leisten, die Armee gilt als Schmelztiegel des Landes. Aber sie sollen auch wissen, wo sie herkommen. Es gibt Kurse in neun Herkunftsprachen und ein großes Fest mit vielen Fahnen zum israelischen Nationalfeiertag.

Leseprobe

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(Foto: Verlag)

Norbert Kron: Ein Zuhause in der Fremde. Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus, 240 S., 19,99 Euro. Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

In Deutschland ist das schwer vorstellbar, das weiß auch Kron. Eine der zwölf Thesen, die er am Ende des Buches formuliert, lautet deshalb etwas vorsichtiger: Lehrer müssten Einwandererkindern eine emotionale Identifikation mit Deutschland ermöglichen. Wie das gehen soll, weiß auch Kron nicht so recht. Kegeln? Die Nationalmannschaft? Deutsche Lehrer, rät Kron, sollten ihre Fantasie spielen lassen.

Andere Vorschläge sind konkreter: Kultur und Musik, glaubt Kron, tragen mehr zur Integration bei als klassischer Unterricht. Klare Regeln seien ebenso notwendig wie gemischte Klassen, in denen nicht nur Kinder einer Nation sitzen. Und: Alle Schüler müssten eine Holocaust-Gedenkstätte besuchen. "Nur wer diese Geschichte durchdrungen hat, kann Deutschland verstehen", glaubt Kron.

Ausführlich geht er auf die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Israel ein, als Vergleichsfolie dient ihm die deutsche Unesco-Partnerschule in Essen. Doch ein größeres Problem bei der Übertragung seiner Thesen auf andere Schulen ist ein anderes: In der Bialik-Rogozin-Schule sind ständig Botschafter und Wirtschaftsvertreter zu Besuch. 340 Ehrenamtliche helfen im Alltag mit, Stiftungen unterstützen die Schule finanziell. Ein Film über die Schule erhielt 2011 einen Oscar. Die Bialik-Rogozin in Tel Aviv kann in vielem Vorbild sein, ein "Leuchtturm der Integration", wie Kron schreibt. Andere Schulen aber können von solchen Ressourcen meist nur träumen.

© SZ vom 27.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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